Die Verwandlung

Gollum, die schillerndste digitale Filmfigur der jüngeren Geschichte, kommt wieder in die Kinos – und setzt erneut technische Maßstäbe.

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Von
  • Siegfried Tesche

Gollum, die schillerndste digitale Filmfigur der jüngeren Geschichte, kommt wieder in die Kinos – und setzt erneut technische Maßstäbe.

Er schimpft oder jammert in einer Tour, ist verschlagen und hinterhältig, besitzt einen viel zu großen Kopf und groteske Glupschaugen. Trotzdem hat er es zu einer der schillerndsten Filmfiguren der jüngeren Kinogeschichte gebracht: Gollum, der Neben-Bösewicht aus der 2001 bis 2003 erschienenen Fantasy-Trilogie „Herr der Ringe“. Nun kommt Gollum zurück ins Kino – und zwar im Film „Der kleine Hobbit“. Auch diesmal will Regisseur Peter Jackson nicht nur künstlerische, sondern auch technische Maßstäbe setzen.

Schon mit den ersten Streifen war der Neuseeländer seiner Zeit weit voraus, was die digitale Nachbearbeitung betraf – jeder der drei Filme bekam einen Oscar für seine visuellen Effekte. Paradebeispiel dafür ist die übellaunige Kreatur Gollum: Wenn sie ihre Augen so weit aufreißt, dass sie fast aus den Höhlen fallen, oder Verwünschungen faucht, dass der Zuschauer instinktiv vor ihrem schlechten Atem in Deckung geht, steckt dahinter die gelungene Zusammenarbeit von Mensch und Maschine. Die Bewegungen stammen vom britischen Schauspieler Andy Serkis (siehe Interview S. 40), seine ausgemergelte Gestalt erhielt Gollum aber vom Computer. Dahinter steht die neuseeländische Firma Weta Digital, die Jackson damals mit einem Budget von 20 Millionen Dollar für alle drei Teile ausgestattet hat. Auch beim Hobbit soll Weta Fachwelt wie Publikum abermals zum Staunen bringen. Wie hoch das Budget diesmal war, darüber gibt Jackson keine Auskunft. Doch man darf getrost unterstellen, dass er bei der Technik nicht gegeizt hat.

Die offenkundigste Neuerung beim „Hobbit“: Er wurde als erster großer Kinofilm seit 1927 nicht mehr mit 24, sondern mit 48 Bildern pro Sekunde gefilmt („High Frame Rate“, HFR). Die schnellere Bildfolge und die damit einhergehende kürzere Belichtungszeit pro Bild soll Ruckler, Flimmern und Bewegungsunschärfe verringern. Das ist vor allem für störungsfreie Kameraschwenks sowie für die Tiefenwirkung der parallel produzierten 3D-Fassung wichtig. Gleichzeitig schraubt Jackson auch die Auflösung auf eine neue Rekordhöhe: Die 48 verwendeten Digitalkameras des Herstellers Red erfassen 5120 mal 2700 Bildpunkte (5K). Bisher waren maximal 4096 mal 2150 Pixel (4K) üblich. Die hochauflösende HFR-Technik verschaffe „die Illusion, dass man quasi mitten im Geschehen ist“, behauptet Jackson auf der Fachmesse CinemaCon im April 2012 im kalifornischen Burbank. „Seit über einem Jahr schaue ich mir nun das täglich gedrehte Material an und stelle fest, dass die Augen weniger belastet werden als je zuvor.“

Die schnelle Bildfolge erzeugt in der Tat einen ganz neuen Seh-Eindruck – der allerdings nicht jeden auf Anhieb überzeugt. Simon Spielmann, Forscher an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg, konnte sich auf Fachmessen schon die ersten Ausschnitte ansehen. Er findet die HFR-Anmutung „gewöhnungsbedürftig“ – die Bewegungsunschärfe sei schließlich auch ein künstlerisches Mittel, das nun wegfalle. Für die neue Produktionsweise mussten selbst die Textilien geändert werden, weil plötzlich die Kleider ganz anders wallen und fallen. Peter Jackson nahm die Kritik nach den ersten Vorführungen gelassen auf – das sei eben Gewöhnungssache, so wie beim Umstieg von der Schallplatte auf die CD. (grh)