Coole Kabel

Keramische Supraleiter leiten Strom ohne Verluste. Nach langen Jahren der Entwicklung werden sie nun allmählich marktreif.

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Von
  • Frank Grotelüschen

Keramische Supraleiter leiten Strom ohne Verluste. Nach langen Jahren der Entwicklung werden sie nun allmählich marktreif.

Die Wanne ist mit Plexiglas abgedeckt. Unter der Scheibe wachsen Eisblumen, an den Seiten kriecht Nebel heraus. „Flüssigstickstoff“, erklärt der Physiker Wil-fried Goldacker. „Er ist minus 200 Grad kalt, aber mit einigen Vorsichtsmaßnahmen gut handhabbar.“ Die frostige Spezialwanne steht in einer Halle des Karlsruher Instituts für Technologie. In ihr werden Komponenten für ein ehrgeiziges Projekt getestet: „AmpaCity“, das längste supraleitende Kabel der Welt.

Ab nächstem Frühjahr verlegt es ein Konsortium aus Unternehmen und Forschungseinrichtungen mitten in der Innenstadt von Essen. Das symbolträchtige Pilotprojekt soll der Anwendung der Supraleitung endlich zu ihrem ersehnten Durchbruch verhelfen.

Die Supraleitung ist ein ebenso faszinierender wie wirtschaftlich bedeutender Effekt: Kühlt man bestimmte Materialien auf sehr tiefe Temperaturen ab, verschwindet ihr elektrischer Widerstand komplett – Strom fließt vollkommen ohne Verluste. Damit ließen sich theoretisch extrem effiziente Stromnetze bauen oder kompakte Motoren mit riesiger Leistung. Lange kannten die Experten das bizarre Phänomen allerdings nur von wenigen Metallen wie Niob. Dort zeigt es sich ausschließlich bei Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt, bei rund minus 273 Grad Celsius. Als Kühlmittel dient teures Flüssighelium. Nicht zuletzt deshalb finden sich die metallenen Supraleiter bis heute nur in Spezialanwendungen, etwa Magneten für Kernspintomografen oder Teilchenbeschleuniger (siehe TR 4/2011).

Doch 1986 entdeckten zwei IBM-Physiker überraschend eine neue Klasse von Supraleitern – Keramiken, die bei höheren Temperaturen als Niob supraleitend werden. Ihnen reichen minus 200 Grad Celsius. Diese Temperatur ist mit Flüssigstickstoff zu erreichen – und macht die Technologie sehr viel einfacher und vor allem billiger. Allerdings sind diese Hochtemperatur-Supraleiter so spröde und brüchig, dass sie für Anwendungen lange völlig unbrauchbar waren.

Die Experten mussten sich erst raffinierte Kniffe einfallen lassen, um die Materialien überhaupt zu Drähten verarbeiten zu können. Momentan greifen viele Hersteller zu feinen Filamenten einer Wismut-Keramik, die zur Stabilisierung in Silber eingebettet ist. Dadurch sind diese Kabel jedoch rund fünfmal teuer als gleichwertige Kupferstrippen. Nun, mehr als 25 Jahre nach der Entdeckung der Hochtemperatur-Supraleitung, scheint den Materialforschern aber ein Durchbruch gelungen zu sein: Sie verwenden eine Yttrium-Barium-Keramik, die – per Bedampfung oder Druckverfahren – hauchfein auf ein dünnes Band aus Nickel oder Edelstahl aufgetragen wird. Da die Grundmaterialien nicht viel kosten, sind diese Verfahren potenziell preisgünstig – vorausgesetzt, man hat den Produktionsprozess im Griff. (wst)