"Supergrid" für Ökostrom

Der Elektrotechnikkonzern ABB hat einen neuartigen Leistungsschutzschalter entwickelt, der hocheffiziente Gleichstromnetze ermöglichen soll.

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  • Kevin Bullis

Der Elektrotechnikkonzern ABB hat einen neuartigen Leistungsschutzschalter entwickelt, der hocheffiziente Gleichstromnetze ermöglichen soll.

Wenn sich Ökostrom durchsetzen soll, müssen Länder neue Übertragungsleitungen bauen, um die Elektrizität aus entlegenen Regionen in die Städte zu transportieren – seien es nun Solaranlagen in der Wüste oder Windräder auf dem Meer. Zudem ist eine Zusammenschaltung der Netze notwendig, um Fluktuationen, wie sie bei erneuerbaren Quellen häufiger vorkommen, auszugleichen. In Europa träumt man daher seit Jahren von einem "Supergrid", das die Wasserkraftwerke Skandinaviens mit den Windfarmen Deutschlands und großen Solaranlagen in Spanien oder sogar Nordafrika verbindet.

Doch es gibt noch technische Probleme. Dazu gehört, dass beim Stromtransport über Land normalerweise Hochspannungsmasten und Wechselstrom gesetzt werden. Letzterer muss erst hochgespannt werden, um ihn verlustfrei über weite Strecken zu transportieren. Gleichstrom wäre auf große Distanzen eigentlich effizienter und bietet weitere Vorteile – unter anderem, dass sich entsprechende Leitungen relativ leicht unterirdisch verlegen lassen. Gleichstromkabel werden beispielsweise genutzt, um Elektrizität durch die Nordsee zu leiten oder Wasserkraftanlagen und Städte miteinander zu verbinden. Größere Stromnetze lassen sich so aber derzeit nicht sicher anbinden.

Der Elektrotechnikkonzern ABB hat deshalb nun einen neuartigen Leistungsschutzschalter entwickelt, der das ändern könnte. Er kann laut Angaben des Unternehmens innerhalb von fünf Millisekunden enorme Stromflüsse unterbrechen – ungefähr so viel, wie dem Output eines ganzen Atomkraftwerks entspricht. Mit der Technik soll es möglich sein, Elektrizität in einem Gleichstromnetz nahezu verzögerungsfrei umzuleiten, sollte es Probleme geben. "Normalerweise fällt der Strom aus, wenn an irgendeiner Stelle etwas passiert. Unser Leistungsschutzschalter isoliert den fehlerhaften Bereich und lässt den Rest des Netzes weiterarbeiten", sagt ABB-Technikchef Claes Rytoft.

Die Forschung arbeitet bereits seit 100 Jahren daran, einen Leistungsschutzschalter für Hochspannungs-Gleichstrom zu entwickeln. Mechanische Schalter alleine reichen nicht – sie sind zu langsam. Steuersysteme auf Basis von Transistoren galten als Alternative, doch sind sie nicht effizient genug. ABB kombiniert nun eine Leistungselektronik mit einem mechanischen Schalter, um ein schnelles und effizientes Hybridsystem zu erhalten. Der neue Leistungsschutzschalter soll somit auch deutlich billiger sein als reine Transistorenlösungen. "Die Kosten eines Schutzschalters auf Basis von Leistungselektronik waren bislang enorm", meint Ram Adapa, Experte für Stromnetze am Electric Power Research Institute. "Das Hybridsystem dürfte deutlich billiger sein."

Nachdem die Hürde bei den Leistungsschutzschaltern genommen ist, will ABB nun neuartige Steueralgorithmen entwickeln, die Gleichstromnetze stabiler machen. Das Gesamtsystem muss an den Endpunkten weiterhin mit Wechselstromleitungen arbeiten, um den Strom an den Verbraucher zu liefern – es fehlt derzeit noch an kostengünstigen Gleichstromtransformatoren, um die Energie auf das im Haushalt notwendige Maß herunterzuspannen.

Einer der ersten Märkte für den neuen Leistungsschutzschalter soll Deutschland sein, hofft man bei ABB. Dort soll die Technik bei der Energiewende helfen. Hochspannungs-Gleichstromleitungen könnten außerdem künftig verstärkt unter der Erde verlegt werden. ABB hat berechnet, dass sich das Verfahren tatsächlich lohnen könnte – die Kabel seien bei Verlegung etwa in Straßennähe nur wenig teurer. Experte Adapa ist nicht ganz so optimistisch. Derzeit sei bei unterirdischen Leitungen noch mit einer Verfünffachung der Kosten zu rechnen. (bsc)