Piraten-Parteitag: Lebenspraktische Fragen und vage Forderungen

Real life habe eben auch seinen Charme, meinte Parteichef Schlömer auf dem Bundesparteitag der Piraten. Dort trafen sich über 2000 Menschen, um Programm-Eckpfeiler rund um Internet, Urheberrecht und Transparenz zu setzen.

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Von
  • Thomas Lanig
  • dpa

Das Erstaunlichste an einem Bundesparteitag der Piraten ist immer noch die Tatsache, dass sich über 2000 Menschen aus ganz Deutschland ein komplettes Wochenende Zeit nehmen dafür. Die persönliche Begegnung hat also doch einen hohen Stellenwert, trotz "Liquid Feedback" und anderen Tools zum virtuellen Meinungsaustausch. "Real life hat eben auch seinen Charme", sagt Parteichef Bernd Schlömer.

Parteichef Bernd Schlömer: "Real life hat eben auch seinen Charme."

(Bild: dpa)

Das echte Leben in einer dunklen Halle in Bochum hat die Piraten – zuletzt in der Gunst der Wähler abgestürzt – ein gutes Stück Richtung Bundestagswahl 2013 vorangebracht. Dass ihnen auf die großen Fragen der Politik, auf Eurokrise, Klimawandel, Globalisierung oder demografischen Wandel, nicht viel anderes einfällt als den anderen Parteien, ist allerdings auch klar geworden.

Immerhin haben die Piraten auf dem Parteitag in Bochum nun Eckpfeiler eines Programms errichtet. Ob sie deshalb bei den Wählern besser ankommen? Schlömer sagt, die Piraten würden vor allem für ihre Kernthemen Internet, Urheberrecht, Transparenz etc. gewählt. Und er will die Kompetenz der Partei für "lebenspraktische Fragen" herausstellen. "Wie wird mein Kind betreut oder wie komme ich zur Arbeit", nennt er als Beispiele. Aber Schlömer weiß auch, dass die Partei nicht in den Bundestagswahlkampf ziehen kann, ohne zum Euro, zur Rente und zur Außenpolitik Programmaussagen vorzuweisen. In diesem Sinne hat die Partei in Bochum einige Lücken geschlossen.

Geschäftsführer Johannes Ponader: "Schlömer ist Beamter, ich Künstler."

(Bild: Detlef Borchers)

Dennoch ist erkennbar, dass die Piraten von diesem Spagat zwischen Alt und Neu überfordert sind. Netzpartei und Basisdemokratie einerseits, große Politik und effizienter Apparat andererseits. Die stundenlangen Antragsberatungen haben gezeigt, dass der gut gemeinte Einsatz von vielen tausend Mitgliedern oft keine belastbaren Vorlagen produziert hat. Zu viel, zu lang, zu beliebig, und jeder konnte, wenn er wollte, ein paar Fehler finden, die man den Antragstellern um die Ohren schlagen konnte.

Sehr allgemein blieb es etwa in der Außenpolitik: "Leitmotiv des globalen Handelns der Piratenpartei ist das Engagement für Menschenrechte und eine gerechte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung." Dem wollte vermutlich kaum jemand widersprechen. Ebenso die Forderung nach Mindestlohn und Mindestrente: Breite Zustimmung ist sicher; fragt sich nur, wer es finanzieren soll. Da bleiben die Piraten dann – wie andere Parteien auch – wieder ganz vage. Ein Alleinstellungsmerkmal ist das nicht.

Immerhin ist es der Parteiführung gelungen, die zum Teil dramatischen Personalstreitigkeiten der vergangenen Monate bis auf weiteres zu beenden. Und vermutlich bleibt der Vorstand sogar bis nach den Bundestagswahlen im Amt. Der nach wie vor umstrittene Politische Geschäftsführer Johannes Ponader durfte am Sonntagmorgen mit einer kämpferischen Rede wieder Sympathien bei den Mitgliedern sammeln. Ansonsten hielt er sich zurück, zu groß war der Zorn über die Eskapaden des Mannes, der so gerne in TV-Talkshows saß. In einem Interview der Bild am Sonntag sagte er zu dem mühsam überbrückten Streit: "Schlömer ist Beamter, ich Künstler."

Mit knapp über 2000 Teilnehmern brach der Parteitag alle Rekorde. Das Publikum wie gewohnt: vor allem männlich, Kapuzenpullover schwarz oder orange, Laptop, Smartphone, Mate-Sprudel, Pizzareste, vereinzelt wurde gestrickt. Als exotischer Gast tauchte am Samstag der Ex-68er Rainer Langhans auf, Mitglied ist er aber nach Auskunft der Partei nicht.

Die jüngsten Umfragen sehen die Piraten ebenso wie die FDP bei vier Prozent. Die einen überflüssig wie die anderen, meinen manche, wobei sich beide Parteien in ihrem liberalen Selbstverständnis ja nicht allzu fern sind. Welche der beiden es aber im nächsten Jahr in den Bundestag schafft, Piraten oder FDP oder beide oder keine, das könnte allerdings ziemlich wichtig werden. (dpa) / (uk)