Wie funktioniert die Twitter-Revolution?

Neue Computermodelle zeigen, wie Twitter und Facebook dem arabischen Frühling geholfen haben könnten. Der Kampf um die Demokratie in Ägypten spitzt sich unterdessen erneut zu.

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Neue Computermodelle zeigen, wie Twitter und Facebook dem arabischen Frühling geholfen haben könnten. Der Kampf um die Demokratie in Ägypten spitzt sich unterdessen erneut zu.

So schnell vergeht die Zeit: Als die Ägypter am 25. Januar 2011, dem „Tag des Zorns“ auf dem Tahrir-Platz zusammenströmten, hielten im Internet Zehntausende den Atem an. Denn auf dem Platz stand nicht nur ein unterdrücktes Volk, das nach Jahrzehnten der Diktatur nun endlich Demokratie wollte. Auf dem Platz stand - stellvertretend auch für viele Menschen in der westlichen Welt - die Hoffnung auf den Sieg der „Twitter-Revolution“, die Hoffnung, dass die Diktaturen dieser Welt der befreienden Kraft des Internets nicht standhalten können.

Das Wagnis gelang, die Ägypter verjagten ihren Diktator und Internet-Gurus wie Clay Shirky feierten das Ereignis als Beweis für die Kraft der Technologie, auch wenn die These nicht unwidersprochen blieb.Kürzlich haben zwei kanadische Wissenschaftler die Frage, welche Rolle das Internet im Arabischen Frühling hatte, noch einmal genauer unter die Lupe genommen: Hans De Sterck und sein Doktorand John Lang von der University of Waterloo haben ein Computermodell solcher Umsturzsituationen programmiert.

Das Modell, mit dem die beiden arbeiteten ist stark vereinfacht, liefert aber dennoch interessante Einblicke.

Wie sich in diesem Modell die Zahl der Menschen ändert, die sich an Protest oder Widerstand gegen eine ungeliebte Diktatur beteiligen, hängt von zwei Faktoren ab: Wieviele Menschen die Widerstandsbewegung überzeugen kann, sich anzuschließen, und wieviele Menschen das Regime davon abhalten kann, das zu tun.

Soweit klar. Der erste Teil der Gleichung - also wieviele Menschen dazu kommen - ist proportional zu der Menge an Menschen, die zur Verfügung stehen, die also noch keine Aktivisten sind. Der Proportionalitätsfaktor, sagen De Sterk und Lang, ist die „Sichtbarkeit“ des Widerstandes - also so etwas wie seine Außenwirkung. Diese Sichtbarkeit ist nicht konstant, sondern von der Größe der Widerstandsbewegung abhängig - aber auch von anderen Faktoren, wie zum Beispiel der Möglichkeit, soziale Netzwerke zu benutzen.

Der zweite Teil der Gleichung, wie viele Menschen die Diktatur verhaftet oder abschreckt, ist zunächst proportional zur Größe des Widerstandes: Je mehr Menschen demonstrieren, desto mehr können auch verhaftet werden. Der Proportionalitätsfaktor hat aber zwei eingebaute Parameter: Die Effektivität des Unterdrückungsapparates und einen Schwellwert, über dem die Regierung den Widerstand einfach nicht mehr handhaben kann.

Die komplette Formel sieht relativ simpel aus - sie besteht nur aus zwei Klammerausdrücken, funktioniert aber schon ganz gut. Integriert man nämlich diese Gleichung im Computer für verschiedene Werte der Sichtbarkeit, Repression und Schwellwerte, kann man tatsächlich vier verschiedene Zonen unterscheiden: stabile Polizeistaaten, metastabile Polizeistaaten, vorrevolutionäre Diktaturen und zusammengebrochene Staaten. Und man kann am Computer durchspielen, wie sich die Lage ändert, wenn die Sichtbarkeit des Widerstandes sich durch Dinge wie Facebook und Twitter drastisch erhöht.

Unglücklicherweise hält die Wissenschaft mit der Realität nicht Schritt. Während ich hier über Computermodelle berichte, versuchen jugendlichen Aktivisten der Bewegung 6. April auf dem Tahrir-Platz verzweifelt zu verhindern, dass die ägyptische Revolution ihre Kinder frisst. Es sieht aber so aus, als ob Facebook und Twitter diesmal nicht helfen gegen die vereinte Macht von Militär und Muslim-Bruderschaft. Das ist eigentlich nicht wirklich erstaunlich. Schon vor zwei Jahren sagte die Soziologin Zeynep Tufekci:„Einen Diktator zu stürzen ist eine Sache. Eine funktionierende Demokratie aufzubauen, ist ein ganz anderes Problem. Technologie kann helfen, dieses Problem zu lösen. Aber sie kann die Dinge auch komplizierter machen.“ Gefallen muss mir das aber noch lange nicht. (wst)