Collaboratory-Denkfabrik: Vom Rat der Internetweisen zu Beta-Gesetzen

Der hauptsächlich von Google unterstützte Think Tank Collaboratory hat sich in seinem neuen Bericht zu "Innovation im digitalen Ökosystem" über Formate und Strukturen auch für den Gesetzgebungsprozess Gedanken gemacht.

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Der hauptsächlich von Google aufgebaute und finanzierte Think Tank Collaboratory hat sich in seinem neuen Bericht zu "Innovation im digitalen Ökosystem" unter anderem über Formate und Strukturen für den Gesetzgebungsprozess Gedanken gemacht. Dabei haben die 25 Experten, die im Sommer drei Monate lang an dem Themenbereich arbeiteten und jetzt ihre Ergebnisse in Berlin präsentierten, unter anderem Beratungsgremium in Internetfragen ins Spiel gebracht, das analog zum Rat der Wirtschaftsweisen der Regierung zuarbeiten soll.

"Wir sind der Überzeugung, dass gute Regulierung gerade im Technologiebereich durch Expertenberatung besser funktioniert als durch die traditionellen politischen Gremien", erklärte der Berliner IT-Berater Carl Philipp Burkert. Der "Rat der Internetweisen" würde ihm zufolge am besten bei der Exekutive ansetzen, um zu einem in sich stimmigen Gesetzgebungsansatz rund um den Internetbereich zu kommen und verschiedene Verfahren gemeinsam zu betrachten. Bestehende Ansätze zum Einbezug von Sachverständigen etwa im Rahmen von Anhörungen im Parlament würden "dem Stellenwert der Innovation in der Gesellschaft nicht gerecht". Eine "Leuchtfackel" wie der vorgeschlagene Netzrat wäre da gut.

In der Bevölkerung würde ein solches die Regierung in Internetfragen beratendes Expertengremium begrüßt, hat die Denkfabrik in einer repräsentativen Forsa-Umfrage bereits herausfinden lassen. Insgesamt fänden 62 Prozent der Teilnehmer einen solchen Ansatz sinnvoll. Bei den Anhängern der FDP und der Grünen liegt die Zustimmungsrate sogar bei je rund 80 Prozent.

Die Politik sei in Fragen der Netzregulierung bisher nicht auf das beste Ergebnis aus, ergänzte Max Senges, Collaboratory-Kontaktmann bei Google Deutschland. Sie müsse daher – ähnlich wie viele Unternehmen – einen "Innovationsraum schaffen, um neue Dinge einzuspielen". Im Vordergrund solle dabei die "strukturelle Zusammenführung von Erkenntnissen" stehen. Auf EU-Ebene gingen bereits die von einzelnen Mitgliedsstaaten auserkorenen "Digital Champions" in die gleiche Richtung. Interessanterweise habe Deutschland noch keinen benannt, sodass die Regierung offenbar nicht an dieses Steuerungsmittel glaube. Als Alternativen würden zudem der viel beschworene Internetminister oder ein ständiger Netzausschuss des Bundestags diskutiert.

Auch das unter UN-Ägide durchgeführte Internet Governance Forum (IGF) sieht Senges als Vorbildfunktion. In dem offenen Debattierclub könnten alle Teilnehmer Ziele und Themen auf die Tagesordnung setzen. Dies habe den Vorteil, dass vor Ort anwesende Vertreter aus Entscheidungsgremien über entsprechende Belange und aufgebrachte Punkte frühzeitig informiert seien. Entscheidend für das Funktionieren solcher Gruppen und Prozesse sei die Formatfrage, die eine klare Struktur enthalten müsse. Sonst könne es sein, dass offene Gremien wie die sich um Standards kümmernde Internet Engineering Task Force (/IETF) von unheimlich vielen Vorschlägen etwa aus einer geographischen Region strategisch blockiert werde.

Eine weitere Anregung des Collaboratory ist es, in den Gesetzgebungsprozess einen "Innovationscheck" analog zum derzeitigen Hochrechnen von Bürokratiekosten einzuführen. Die Rechtsetzung könne so besser einen Freiraum garantieren, in dem sich Innovationsprozesse möglichst fruchtbar entwickeln können, führte der Jurist Jiannis Koudounas aus. Generell solle es eine "Vorfahrt" für technische Neuerungen im Recht geben.

Der Geschäftsführer des Think Tank, Sebastian Haselbeck, kann sich vorstellen, Verfahren zum Erstellen von Gesetzen im Einklang mit dem "Open Government"-Ansatz noch weiter zu öffnen. Über Instrumente wie das jüngst vorgestellte Bundesgit der Open Knowledge Foundation könnten Änderungen und der gesamte Prozess im Detail digital nachverfolgt werden. "Man müsste genau sehen können, wer hat was dazu beigetragen und wer hat was wann geändert", lautet Haselbecks Vorstellung. Damit könne auch Schluss sein mit der althergebrachten Praxis, Referentenentwürfe aus Ministerien in der Regel nur an große Lobbyverbände zu schicken. Erst Monate später stehe das Ding dann für alle zugänglich im Netz, wenn es "fast fertig und zwischen den Ressorts abgestimmt ist". Besser sei es, "fett Beta draufzuschreiben und offen um Feedback zu bitten".

Burkert führte aus, dass Innovation "nie schmerzfrei einhergeht" und "mit schöpferischer Zerstörung" daherkommt. "Facebook tötet StudiVZ", brachte der Informationswirtschaftler ein Beispiel. Trotzdem seien Versuche von Seiten der Politik gefährlich, "böse" Innovation eindämmen zu wollen. Dies würde auch positive Veränderungen blockieren.

Der Report zum digitalen Ökosystem, der auch auf den Mehrwert von Netzen und Schnittstellen zwischen alter und neuer Wirtschaft eingeht, bildet die siebte Collaboratory-Initiative. Im Oktober hat bereits das Folgepanel zum Lernen in der digitalen Gesellschaft begonnen. Von Februar an soll die "Nachhaltigkeit in der digitalen Welt" beleuchtet werden. Die Denkfabrik ist inzwischen als Verein eingetragen und strebt die Gemeinnützigkeit an. "Wir versuchen verstärkt, neue Partner zu gewinnen", betonte Haselbeck. Derzeit wird der Zusammenschluss oft als Google-Lobbykreis angesehen. Senges kündigte parallel an, dass sich der Suchmaschinenriese aus der Förderung weiter zurückziehen werde. (jk)