Immer mehr Tempo-30-Zonen im Südwesten Deutschlands

Im Kampf gegen Lärm und Feinstaub bremsen immer mehr Städte im Südwesten Deutschlands selbst auf Durchfahrtsstraßen den Verkehr. Rund 15 Kommunen haben nach Angaben des Umweltbundesamts Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen eingeführt

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Von
  • Martin Franz

Im Kampf gegen Lärm und Feinstaub bremsen immer mehr Städte im Südwesten Deutschlands selbst auf Durchfahrtsstraßen den Verkehr. Rund 15 Kommunen haben nach Angaben des Umweltbundesamts Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen eingeführt, um Anwohner vor Lärm und gesundheitsschädlichem Feinstaub zu schützen.Doch diese Maßnahme ist umstritten. Experten sind uneins, ob der langsame Verkehr überhaupt zur Senkung der Feinstaubwerte beiträgt. Und der Automobilclub ADAC fürchtet, dass Abkürzungen quer durch Wohngebiete attraktiver werden. Trotzdem werden viele Kommunen gar keine Wahl haben: Das EU-Recht zwingt sie, Tempolimits einzufügen.

In immer mehr Städten im Südwesten werden Tempo-30-Zonen eingerichtet, die für weniger Lärm und Feinstaub sorgen sollen.

(Bild: GVD)

In der Tübinger Innenstadt müssen Autofahrer seit ein paar Wochen den Fuß vom Gas nehmen. Ende November hat Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) die Tempo-30-Schilder am Stadtring nördlich der Altstadt enthüllt – zum Ärger vieler Autofahrer. In Leserbriefen ist Palmer zum Buhmann geworden. Mutmaßliche Raser demolierten prompt einige der Schilder. Dabei kann Palmer gar nichts für das Tempolimit: Die Stadt ist wegen EU-Rechts dazu gezwungen, das Regierungspräsidium hatte es durchgesetzt. „Wir hätten es ohne Anordnung des Regierungspräsidiums nicht gewagt“, sagte Palmer. „Wir hatten gar keine Wahl“, erklärte Carsten Dehner vom Regierungspräsidium Tübingen. „Wenn die Feinstaubwerte zu hoch sind, müssen wir etwas machen. Sonst besteht die Gefahr, dass die EU Strafzahlungen festsetzt.“

Anderen Städten droht ähnliches. ULM und Reutlingen sind im Regierungspräsidium unter Beobachtung. Und auch in Ravensburg werden die Feinstaubwerte allmählich zum Problem. Auch in Friedrichshafen gilt auf manchen Hauptverkehrsstraßen Tempo 30 - meist allerdings nur nachts zwischen 22.00 und 6.00 Uhr. Der Verkehrslärm kommt vor allem von der Bundesstraße 31, die auf mehreren Kilometern durch Friedrichshafen führt. Durch den Stadtteil Fischbach fahren beispielsweise täglich rund 20.300 Autos und 2400 Lastwagen. Die Stadt erhoffe sich von dem Tempolimit eine merkliche Lärmminderung in der Nacht, heißt es aus dem Rathaus. Ein Ausbau der Bundesstraße wird seit Jahrzehnten in der Region gefordert, der Baubeginn dafür ist aber noch immer ungewiss.

Auch im Regierungspräsidium Stuttgart gilt auf einigen Durchfahrtstraßen schon Tempo 30. Im Waiblinger Stadtteil Hegnach wurde das Tempo im Frühjahr gedrosselt, um die Anwohner vor dem Verkehrslärm zu schützen. Rund 20.000 Fahrzeuge rollen Hochrechnungen zufolge täglich über die Straße, die Waiblingen mit Ludwigsburg verbindet. Weil jetzt langsamer gefahren wird, gebe es schon weniger Lärm, sagte Werner Nußbaum, Fachbereichsleiter der Stadt Waiblingen.

Karlsruhe hat bei zwei Durchgangsstraßen zumindest nachts Tempo 30 vorgeschrieben. Der Lärm dort sei nachweisbar geringer geworden. Auch Ulm bremst die Autofahrer während der Nacht an sogenannten Lärmbrennpunkten ab. „Berichte von Anwohnern zeigen auf, dass sich die Wohnsituation in den entsprechenden Straßenabschnitten zumindest gefühlt deutlich verbessert hat“, sagte eine Sprecherin. In Baden-Baden gibt es zwar Tempo-30-Bereiche – „aber weder aus Gründen der Feinstaubproblematik noch wegen Lärmemissionen“, betonte ein Sprecher. Der Sicherheit zuliebe seien auf Bundes-, Land- und Kreisstraßen auf bestimmten Streckenabschnitten nur 30 km/h erlaubt.

Mit dem Tempolimit 30 werden Abkürzungen durch Wohngebiete attraktiv, fürchtet der ADAC.

(Bild: ADAC)

Auch in Heilbronn und Leonberg gibt es Tempo 30 vor allem wegen der Sicherheit. Für Leonbergs großes Feinstaub-Sorgenkind, die Grabenstraße, bringe eine solche Geschwindigkeitsbegrenzung nichts, machte die Stadtsprecherin deutlich. Dort staue sich die Luft zu stark. „Hier hilft eigentlich nur, wenn man direkt am Auto ansetzt und dessen Abgase reduziert.“ In Heilbronn gab es Überlegungen für Tempo 30 auf einer Hauptstraße, doch der Gemeinderat lehnte ab. In Stuttgart dagegen beschloss das Kommunalparlament im Sommer, auf einem Teil der B27 (Hohenheimer Straße) stadtauswärts Tempo 40 einzurichten. Außerdem ist eine dynamische grüne Welle für eine Verkehrsader der Innenstadt (B14) geplant, mit der das Tempo bei Bedarf gedrosselt werden kann. Die B14 führt mitten durch Stuttgarts Feinstaub-Hochburg Neckartor. Ein „Flickenteppich verschiedener Geschwindigkeiten“ mache aber keinen Sinn, betonte der Sprecher.

In Pforzheim ist man beim Thema Tempo 30 skeptisch. „Sofern das Thema Lärm auch anderweitig in den Griff gebracht werden kann oder Belastungswerte eher gering sind, sollte nicht unnötigerweise in den Verkehrsfluss eingegriffen werden“, sagte ein Sprecher. Maßnahmen wie ein Flüsterasphalt seien „wesentlich wirkungsvollere Alternativen“. Auch der ADAC hat Bedenken. „Feinstaub muss heute für alles herhalten“, sagte Reimund Elbe vom ADAC Württemberg. „Wir wollen doch gerade, dass sich die Verkehrsströme auf den Hauptstraßen bündeln und dass der Verkehr dort auch fließt.“ Bei Stop-and-go-Verkehr mit Tempo 30 auf der Hauptstraße werde es wieder attraktiver, Abkürzungen durch ein Wohngebiet zu fahren. „Man muss schauen, dass man nicht mehr Schaden anrichtet als dass man Gutes tut.“

Unter Wissenschaftlern sind Tempolimits zur Feinstaub-Bekämpfung ohnehin umstritten. Die Landesumweltanstalt hat vorgerechnet, dass ein Auto mit 30 km/h im zweiten Gang oft mehr Schadstoffe ausstößt als mit 50 km/h im vierten oder fünften Gang. Lediglich die Reifen wirbeln bei höheren Geschwindigkeiten mehr Staub auf. Verkehrs-Staatssekretärin Gisela Splett (Grüne) sieht deshalb Vor- und Nachteile. Beim Kampf gegen Lärm sei Tempo 30 ohne Frage sinnvoll, beim Kampf gegen Feinstaub sei die Lage nicht so eindeutig. Letztlich gelte: „Nur wenn durch das Tempolimit eine Verstetigung des Verkehrsflusses erreicht wird, führt dies in der Regel auch zur Reduzierung der Emissionen.“ (dpa)

(mfz)