Vorsprung durch Maschinenlesen

General Electric will mit einem 1,5 Milliarden schweren Forschungsprogramm dem "Internet der Dinge" zum Durchbruch verhelfen und Industriemaschinen effizienter als je zuvor machen.

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Von
  • Jessica Leber

General Electric will mit einem 1,5 Milliarden schweren Forschungsprogramm dem "Internet der Dinge" zum Durchbruch verhelfen und Industriemaschinen effizienter als je zuvor machen.

Jede Krise ist eine Chance, heißt es. Geht es nach General Electric, könnte die seit 2008 schwelende Finanzkrise einem Konzept zum Durchbruch verhelfen, das bisher nicht mehr als ein Schlagwort war: dem „Internet der Dinge“. Sämtliche Maschinen und Geräte sollen darin mittels Sensoren konsequent vernetzt werden. Als „Industrial Internet“ will GE diese Vision nun anpacken – und Motoren, Triebwerke, Tomographen und andere Anlagen aus dem eigenen Hause zu Quellen von Datenmassen machen. Klug ausgewertet, sollen sie den Anlagenparks der Industrie zu einer ganz neuen Effizienz verhelfen.

1,5 Milliarden Dollar investiert GE in den kommenden drei Jahren in das Industrie-Internet und baut dafür im kalifornischen San Ramon ein eigenes Forschungszentrum auf. Einer der Software-Spezialisten dort ist Anil Varma. Er arbeitet an einem neuen Wartungssysem für die rund 20.000 GE-Triebwerke, die in Flugzeugen weltweit in Betrieb sind.

Für einige Triebwerksmodelle könnten seine Algorithmen schon mit einer Genauigkeit von 70 Prozent berechnen, wann sie das nächste Mal zur Inspektion müssen – und zwar einen Monat im Voraus. Auf diese Weise, so Varma, ließen sich kostspielige Verzögerungen vermeiden, wenn Maschinen wegen unerwarteter Triebwerksprobleme am Boden bleiben müssen.

Denn bislang werden Sensoren in Anlagen und Maschinen vor allem als Warnsystem genutzt. Erst wenn ein ernstes Problem auftritt, leuchten auf Betriebsanzeigen die Alarmlampen auf. Dabei messen Sensoren selbst in älteren GE-Triebwerken kontinuierlich Größen wie Temperatur, Druck oder Spannung. Die so anfallenden Daten würden jedoch nicht systematisch ausgewertet, sagt Varma. Bei den meisten Flügen speichere man nur Durchschnittsdaten für den Start und die Landung sowie für einen einzigen Zeitpunkt während des Fluges.

Für neue Triebwerke wie das GEnX, mit dem Boeing-787-Jets fliegen werden, soll sich das ändern. Sämtliche Messdaten, vom Start bis zur Landung, sollen gespeichert und möglichst in Echtzeit ausgewertet werden, so Varma. GE werde damit im Laufe eines Jahres mehr Daten produzieren als die gesamte Luftfahrt in ihrer Geschichte.

„Wir haben einige der umfangreichsten Datensätze der Industrie, weil die entsprechenden Geräte schon lange im Einsatz sind“, sagt Varma. „An ihnen können wir jeden beliebigen Algorithmus testen und sehen, wie gut er funktioniert.“

Es sei die Finanzkrise gewesen, die den Anstoß zum Industrial Internet gegeben habe, sagt William Ruh. GE hat den ehemaligen Cisco-Manager angeheuert, um das neue Forschungsprogramm zu leiten. Immer mehr Firma überlegten, wie sie eine unsichere Konjunktur mit höherer Produktivität begegnen könnten. GE-Kunden würden zunehmend fragen, ob der Konzern auch „Datenstrategien“ anbiete, weil sie von „Big Data“-Verfahren gehört hätten, sagt Ruh.

Solche Datenstrategien seien jedoch nicht immer leicht umzusetzen, gibt Venkat Venkatasubramanian, Informatiker an der Columbia University in New York zu bedenken. Für einen Einzelhändler reiche es vielleicht, neue Korrelationen in den Kundendaten zu entdecken - Kunden, die Bier kaufen, packen möglicherweise auch regelmäßig Windeln in ihren Einkaufswagen. „Standard-Algorithmen aus dem Maschinenlernen bieten hier schnelle Erfolge“, sagt Venkatasubramanian. In komplexeren Anlagen müssten Datenmodelle hingegen auch erklären, warum es bestimmte Beziehungen zwischen Messgrößen gibt.

Damit Ingenieure in Kontrollzentren den Zustand ihrer Maschinen besser lesen können, entwickelt GE in San Ramon auch neue Benutzeroberflächen. Die sollen die einlaufenden Daten mit Hile von Karten, Simulationen oder Twitter-artigen Netzwerken für Anlagen aufbereiten. In einem Raum experimentieren die GE-Forscher mit der Kinect-Gestensteuerung für Videospiele. Ingenieure könnten sich mit ihrer Hilfe durch Datenvisualisierungen bewegen, anstatt Tasten zu drücken. Am Ende geht es in den Leitwarten von Kraftwerken und Fabriken vielleicht so zu wie im Film „Minority Report“ von 2002, in dem eine fiktive Gestensteuerung für Computer ein Millionen-Publikum beeindruckte.

Dank neuer Datenvisualisierungen, wie sie im GE-Forschungszentrum in San Ramon entwickelt werden, soll Techniker in Leitwarten künftig besser über ihre Anlagen informiert sein.

(Bild: General Electric)

Für einen kanadischen Energieerzeuger entwickelt das GE-Zentrum ein System, um das Risiko umstürzender Bäume für das Stromnetz vorherzusagen. Hierzu werden Satellitenaufnahmen, Wetterdaten und Orte früherer Stromausfälle ausgewertet. Auch das New Yorker Mount Sinai Medical Center ist an der GE-Technologie interessiert. Es erhofft sich, mittels Sensoren an den Krankenhausbetten und medizinischen Geräten einen besseren Überblick zu bekommen, wie stark es zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgelastet ist. Laut GE könnte das Krankenhaus, das über 1100 Betten verfügt, jährlich 10.000 zusätzliche Patienten aufnehmen, wenn entsprechende Daten ausgewertet würden.

Manchmal genügten schon kleine Verbesserungen, um den Betrieb deutlich zu verbessern, sagt William Ruh. Würde man die Treibstoff-Effizienz um nur ein Prozent erhöhen, könnte die Luftfahrt-Industrie jährlich zwei Milliarden Dollar einsparen, die Energiebranche immerhin eine Milliarde. 25 Prozent des weltweit erzeugten Stroms stammen aus Turbinen von GE. „Wir wissen, dass wir dieses eine Prozent schaffen können“, sagt Ruh. „Aber eben nicht durch noch bessere Maschinen, weil wir die physikalischen Grenzen bereits ziemlich ausgereizt haben.“

(nbo)