Die Rückkehr des Gilbs

So viel Einigkeit war selten. Google, die US-Regierung, die EU und die OECD sind einer Meinung: Vereinte Nationen, Hände weg vom Internet! Und das ist auch gut so, meint iX-Chefredakteur Jürgen Seeger.

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Von
  • Jürgen Seeger

So viel Einigkeit war selten. Google, die US-Regierung, die EU und die OECD sind einer Meinung: Vereinte Nationen, Hände weg vom Internet!

Es geht um den Versuch der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), künftig nicht nur die Telefonnetze regulieren zu dürfen, sondern auch das Internet. Die ITU ist eine Sonderorganisation der UN, stimmberechtigte Mitglieder sind die 193 Staaten der Vereinten Nationen. Aufgebracht wurde diese Idee zur ITU-Konferenz WCIT (World Conference on International Telecommunications), die vom 3. bis 14. Dezember in Dubai stattfindet.

Bekanntlich funktioniert das Internet bislang ohne nationale oder supranationale Regulierungsbehörden, es ist selbstorganisiert durch Zusammenschlüsse wie ICANN und IETF. Die sind natürlich durch „den Westen“ dominiert, denn da wurde das Internet erfunden. Das findet wiederum ITU-Generalsekretär Hamadoun Touré ungerecht: „Es sollte einen Mechanismus geben, bei dem viele Länder eine Gelegenheit zur Mitsprache haben. Ich meine, das ist demokratisch.“

Den passenden Antrag dazu stellten China, Russland und verschiedene arabische Staaten – aus der Riege der üblichen Verdächtigen in Sachen Menschenrechtsverletzungen und Zensur fehlten eigentlich nur die Internet-Abschalter aus Syrien, aber die sind ja gerade anderweitig beschäftigt. Die genannten Staaten möchten nicht nur die Regulierungszuständigkeit für das Internet bei der ITU ansiedeln, sondern auch mehr Mitsprachemöglichkeiten für die Nationalstaaten. Der Antragstext war eigentlich nicht für die Öffentlichkeit gedacht, wurde aber „geleakt “ (siehe „Alle Links“).

Es bleibt Tourés Geheimnis, wie mehr Mitsprache durch Diktaturen zu mehr Demokratie führen soll. Wenn je eine Technik demokratiefördernd war, dann das nicht staatlich regulierte Internet – allerdings im Sinne von mehr Demokratie für die Menschen, nicht von mehr Macht für Regierungsoberhäupter. Und gegen den Willen von Putin & Co.

Damit wäre eigentlich fast schon alles gesagt, was zu den ITU-/UN-Begehrlichkeiten zu sagen ist. Wenn es da nicht noch einen Verbündeten der genannten Staaten gebe: die ETNO, eine Organisation europäischer Telkos, und zwar der ehemaligen oder Noch-Staatsmonopolisten. Etwa der Deutschen Telekom.

Die möchten nämlich Schluss machen mit Mechanismen wie dem kostenneutralen Zusammenschluss von Provider-Netzen (Peering) und bevorzugen das Prinzip „Der Sender zahlt“ (sending party network pays). Denn dann könnten sie nicht nur von den Endkunden, sondern auch von den Content-Providern Gebühren verlangen. Und darum unterstützt die ETNO den Antrag, die Regulierungszuständigkeit der ITU auf das Internet auszudehnen.

Sprich: Die Ex- und Noch-Monopolisten wittern Sonderprofite und legen sich deswegen mit den Autokraten und Diktaturen dieser Welt ins Bett.

Als ich das las, kam umgehend der alte Anti-Gilb-Impetus wieder hoch. (Für Leser unter 45: Der „Gilb“, die Deutsche Bundespost, war bis zur Telko-Liberalisierung die auch für Telefonie und „Datenfernübertragung“ zuständige Behörde und als solche Hassobjekt der Computer-Szene).

Was letztendlich auf der WCIT beschlossen wird, stand beim Schreiben dieser Zeilen [Redaktionsschluss für iX 1/13 war der 13.12.12, das Heft erscheint am 20.12.] noch nicht fest. Hoffen wir einfach, dass die Europäische Union und die USA gegenüber den UN-Begehrlichkeiten standhaft bleiben.

Jürgen Seeger

PS v. 14.12.12: Wie es aussieht, sind die meisten Demokratien wirklich standhaft geblieben und haben die neuen Regeln defacto scheitern lassen.

PPS v. 15.12.12: Und noch eine gute Nachricht: Auch Deutschland unterzeichnet die neuen ITR nicht.

Alle Links: www.ix.de/ix1301003 (js)