WCIT: Streit um Anwendungsbereich des ITU-Telecomvertrags eskaliert

Für wen sollen künftig die International Telecommunications Regulations (ITR) gelten? Auf der ITU-Weltkommunikationskonferenz wird heftig darum gestritten, den Telecom-Vertrag auf Telefonie-Carrier zu beschränken und Internetbetreiber außen vor zu lassen.

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Von
  • Monika Ermert

Bis zuletzt hatte der Vorsitzende der World Conference on International Telecommuncaiton (WCIT) den Grundsatzstreit um den Anwendungsbereich der International Telecommunication Regulations (ITR) aufgeschoben. Die ITR wurden zuletzt 1988 überarbeitet, sie legen die Regularieren sowohl zwischen Staaten als auch zwischen Carriern fest, die für ein reibungsloses Funktionieren der weltweiten Telefonie sorgen. Auf dem WCIT sollen sie nun überarbeitet und an die heutigen Gegebenheiten angepasst werden.

Fieberhafte Versuche: Im kleinen Kreis soll die Eskalation bei den WCIT-Verhandlungen abgewendet werden.

(Bild: Monika Ermert / heise online)

Am vorletzten Verhandlungstag machte Richard Beaird, Diplomat vom US-Außenministerium, dem WCIT-Plenum nun klar, dass seine Delegation auf den engen Anwendungsbereich in Bezug auf die Adressaten der ITR besteht. "Dies ist von erheblicher Bedeutung für die Vereinigten Staaten", sagte Beaird den Delegierten der über 160 Mitgliedsstaaten. Eine Fußnote, die den im Kompromissvorschlag des Vorsitzenden gewählten und nicht näher erläuterten Begriff "Betreibergesellschaften", einschränkt, reicht aus Sicht der USA offenbar nicht aus, um die Gültigkeit der ITR auf Telefonie-Carrier festzulegen und Internetbetreiber sicher auszuschließen. In der Fußnote zur Definition des Begriffes "Betreibergesellschaften" heißt es lediglich: "authorised or recognised by a Member State to establish, operate and engage in international telecommunications services to the public", was den Gültigkeitsbereich der ITR nicht wirklich eindeutig einschränkt.

Die harte Haltung der USA kann wohl auch als eine Reaktion darauf verstanden werden, dass der Kompromissvorschlag des WCIT-Vorsitzenden Mohamed Al Ghanim, Chef der Telecom-Regulierungsbehörde der Vereinigten Arabischen Emirate, zu viele Kröten enthält, die die USA oder die EU zu schlucken hätten. Die Europäischen Union in Gestalt mehrerer Mitgliedsländer siganlisierte bereits, dass sie den Vorschlag der USA für eine Verbesserung halte. Aus dem Koordinierungstreffen der Europäer vom heutigen Mittwochmorgen war zu erfahren, dass die Mitgliedsländer im Verlauf der weiteren Diskussion klar Stellung gegen eine Reihe von Vorschlägen beziehen wollen.

Der Kompromissvorschlag enthält unter anderem eine Bestimmung, die Ländern ausdrücklich eine nationale Verwaltung von Namen, Nummern und IP-Adressen erlaubt, sowie eine Internetresolution, die grünes Licht für internet-bezogene Arbeit der ITU gibt. Weitere Punkte, um die in den nächsten 48 Stunden gestritten wird, sind ein Paragraph der Mitgliedsstaaten auffordert, den grenzüberschreitenden Zugang zur Telekommunikation, zu Internetdiensten, Webseiten und Ressourcen nicht zu behindern. Dazu kommt ein in der Nacht noch neu eingefügter Punkt, der den Aufbau von Internet Exchanges anregt. All diese Regelungen würden die ITR aufs Internet ausdehnen – und genau das ist es, was die USA, Europa und weitere Länder ablehnen und unbedingt verhindern wollen.

Beaird unterstrich, dass die US-Delegation in den im kleinen Kreis geführten Vorverhandlungen zum Entwurf des Vorsitzenden der Fußnotenregelung für die Adressaten nur zugestimmt habe, weil ITU-Generalsekretär Hamadoun Touré höchstpersönlich in Aussicht gestellt habe, der Text könne noch eine "Massage" bekommen. Mit dem von den USA nun eingebrachten, verklausulierten Vorschlag für den Artikel 1.1 des Vertrages mache man nichts anderes, betonte Beiard: "Wir massieren den Text."

Zahlreiche arabische Delegierte und Russland warnten dagegen davor, die Verhandlungen über den Grundsatzpunkt wieder zu eröffnen. Die Konsequenzen einer erneuten Verhandlung darüber seien "unvorhersehbar", warnte der russische Delegierte, der es sich in der aufgeheizten Situation überdies nicht nehmen ließ, das Auftreten der Europäischen Kommission scharf zu kritisieren.

Als "Beobachterin" hat die Kommission streng genommen kein Rederecht in der ITU. Die Vertreterin von Kommissarin Neelie Kroes, Megan Richards, verwies auf ihre Zugehörigkeit zur zypriotischen Delegation und durfte damit ihre Unterstützung für die USA zu Protokoll geben. Kroes hat in einem Blogpost noch einmal unterstrichen, dass die EU Änderungen in den ITR, die Auswirkungen aufs Internet haben, nicht unterstützen könne. Dass man auch gegen die Aufnahme von Internet Governance in den Vertrag sei, bedeute nicht, dass die aktuelle Art der Verwaltung von Netzressourcen in Stein gemeißelt sei.

Die Eskalation schon im ersten Plenum über den Kompromissvorschlag des Vorsitzenden stellt den Erfolg der Konferenz kurz vor Abschluss nochmals in Frage. Bereits am Dienstag war auf den Gängen zu hören, dass mancher es auch als Erfolg verbuchen könnte, den Vertrag einfach gar nicht zu zeichnen.

Bislang haben sich die Mitgliedsländer bei der ITU – anders als bei anderen UN-Organisationen – in letzter Minute immer wieder zusammengerauft. Die kommenden 48 Stunden werden für die ohnehin bereits ermatteten Delegierten nochmals zum Marathon. Nach 10 intensiven Verhandlungstagen, erklärte der japanische Delegierte im Plenum, könne er selbst etwas Massage vertragen. Allerdings sei der Grundsatzpunkt zu den Adressaten der künftigen ITR noch nicht zu Ende diskutiert.

Der derzeit aktuelle Verhandlungstext ist bei dot.nxt erhältlich.

Ein auch online verfügbarer Artikel in der aktuellen c't 26/2012 verdeutlicht Hintergründe und Interessenlagen zur World Conference on International Telecommunications:

Eine Themenseite versammelt die Berichte von heise online zur WCIT:

(jk)