Der Assistent im Posteingang

Lässt sich die E-Mail-Technologie noch verbessern? Einige US-Start-ups sind überzeugt davon und wollen unseren Umgang mit der Nachrichtenflut intelligenter gestalten.

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Von
  • Rachel Metz

Lässt sich die E-Mail-Technologie noch verbessern? Einige US-Start-ups sind überzeugt davon und wollen unseren Umgang mit der Nachrichtenflut intelligenter gestalten.

Als sich Ray Tomlinson 1971 an ein Computerterminal setzte und eine kurze Test-Nachricht über das ARPANET an den Nachbarrechner im Raum absetzte, ahnte er wohl nicht, dass er gerade Geschichte geschrieben hatte. Tomlinson hatte die erste E-Mail verschickt. Mehr als vier Jahrzehnte später nutzen 2,1 Milliarden Menschen diesen Kommunikationskanal. Erstaunlicherweise hat sich die zugrunde liegende Technologie seit Tomlinsons Tagen jedoch kaum geändert.

Die meisten Innovationen haben nur die Art und Weise verändert, wie wir E-Mails lesen und schreiben können. Und seit der Einführung von Googles Gmail im Jahre 2004, das Nutzern den damals unerhörten Speicherplatz von einem Gigabyte und eine Nachrichten-Darstellung im so genannten "Conversation View" bescherte, hat sich eigentlich gar nichts mehr geändert. Nur die E-Mail-Flut, mit der viele täglich kämpfen, ist noch weiter angestiegen.

Einige Start-ups schicken sich nun an, unseren Umgang mit E-Mails intelligenter zu gestalten und an heutige Bedürfnisse anzupassen. Denn inzwischen wird die Technologie für Dinge genutzt, für die sie nie gedacht waren. So organisieren viele Firmen Gruppenprojekte mittels E-Mails. Dann sollte man es aber richtig machen, dachte man sich bei Orchestra in Palo Alto: Dessen Smartphone-App namens Mailbox soll den Posteingang in eine To-Do-Liste verwandeln.

Bereits jetzt würden dies manche Nutzer mit dem Trick versuchen, gelesene E-Mails wieder auf „ungelesen“ setzen, sagt Gentry Underwood, CEO von Orchestra. Auf diese Weise leuchtet ihnen wieder eine Nachricht entgegen, die unbedingt noch beantwortet werden muss. Mailbox will solche Tricks überflüssig machen.

Die App wird zunächst nur mit Gmail-Konten funktionieren. Nutzer können dann mit einem Fingerstrich ausgewählte E-Mails in einen „Snooze“-Zustand versetzen und vorübergehend aus dem Eingang entfernen. So wie Wecker nach Drücken der Snooze-Taste nach einigen Minuten noch mal klingeln, kommen die E-Mails dann zum Beispiel einen Tag später auf Wiedervorlage. Einzelne E-Mails können dabei auch so lange in den Hintergrund verbannt werden, bis bestimmte, zuvor festgelegte Bedingungen erfüllt sind. So könnte etwa eine Nachricht erst dann wieder erscheinen, wenn der Nutzer in San Francisco gelandet ist und sein Smartphone ihn dort lokalisiert hat.

Dass E-Mail als Kommunikationsform stagniert, liege an der Technologie, sagt Underwood. Die beiden grundlegenden Datenprotokolle sind IMAP und POP. „Das sind schwerfällige Protokolle, die in den Anfangstagen des Internet entwickelt wurden“, bemängelt Underwood. „Sie sind schon gar nicht in Hinblick auf ein mobiles Internet ausgelegt worden.“

Ein weiteres Problem für Innovationen ist die Komplexität, die sich aus der individuellen Nutzung von E-Mails ergibt. Es sei schwierig, etwas zu verbessern, ohne E-Mail-Nutzern nicht gleichzeitig verschiedene Optionen wegzunehmen, sagt Alex Obenauer, Gründer des Start-ups Mail Pilot aus Blacksburg, Virginia.

Auch Mail Pilot hat sich für eine Benutzerführung entschieden, die sich an einer To-Do-Liste orientiert. Anstatt E-Mails als „gelesen“ oder „ungelesen“ zu markieren, werden sie als „vollendet“ oder „unvollendet“ eingestuft. Derzeit befindet sich die Abo-pflichtige Anwendung in einem öffentlichen Beta-Test, allerdings vorerst nur als Web-Dienst. Eine App soll folgen. Dass Obenauer und sein Mitgründer Josh Milas bei den Nutzern einen Nerv getroffen haben, zeigte ihre Kickstarter-Kampagne Anfang 2012: Dort sammelten sie 54.000 Dollar ein – 19.000 Dollar mehr als geplant.

Einen anderen Weg als Orchestra oder Mail Pilot schlägt das Start-up Tray aus San Francisco ein. Es will E-Mail mit einer Art automatischem Assistenten versehen. Die Nachrichten sollen in einem Kontext analysiert und dann hinsichtlich ihrer Wichtigkeit oder ihres Absender dargestellt werden, beschreibt Tray-Mitgründer Rich Waldron den Ansatz. „Wir lernen aus Ihren E-Mails.“

Hierzu gibt Tray seinen Nutzern einige Aufgaben, ähnlich wie beim Webdienst IFTT (“if this, then that”). Das kann etwa eine voreingestellte Antwort an ausgewählte Personen sein, die nur dann rausgeht, wenn diese nach einer bestimmten Uhrzeit mailen. Tray könne auch Beziehungen zwischen Absendern und Terminkalender herstellen, sagt Waldron. Wenn ein wichtiger Kunde eine E-Mail schicke, während man in einer Besprechung sitze, bekomme der automatisch eine Antwort, dass man sich später melde. Auch Tray ist in einem öffentlichen Beta-Test. Es soll später in einer kostenlosen Grundversion und in einer bezahlpflichtigen Premiumversion verfügbar sein.

Ob diese Start-ups Erfolg haben, hängt jedoch davon ab, ob sie überhaupt eine kritische Masse an Nutzern an sich binden können. Paul Buchheit, der die Entwicklung von Gmail leitete und heute beim Start-up-Helfer Y Combinator ist, hält dies für schwierig. Als Gmail entwickelt wurde, sei es leichter gewesen, innovativ zu sein. „E-Mail hatte seit Jahren stagniert, es gab jede Menge Gelegenheit, grundlegende Probleme zu lösen“, sagt Buchheit. Dazu gehörten zu kleine Posteingänge, schlechte Suchfunktionen und Massen von Spam, die sich noch nicht kanalisieren ließen.

Doch auch Gmail und die anderen großen Dienste bleiben nicht stehen. Erst im Dezember haben Gmail und Yahoo Mail aufpolierte Smartphone-Apps herausgebracht. Die meisten Probleme mit E-Mails seien heute sozialer Natur, sagt Buchheit. Versuche, den Posteingang durch eine bessere Analyse in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen, würden da wenig helfen. Für Buchheit ist das größte ungelöste Problem die Erwartungshaltung von Kollegen und Freunden, unseren Posteingang permanent auf neue E-Mails zu checken und sofort darauf zu reagieren. „Das kann man leider nicht technisch lösen“, sagt Buchheit.

(nbo)