"Insgesamt tickt der Mittelstand ganz anders als große Konzerne"

Die Unterstützung von Startups ist begrüßenswert, aber die Firmen müssen auch darüberhinaus Gelder nutzen können. Häufig fehlen den kleinen Unternehmen entsprechende Kapazitäten und schlichtweg die Zeit, um Fördermittel in Anspruch zu nehmen.

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Von
  • Matthias Parbel

Lieber Herr Sicking,

vielen Dank für Ihren offenen Brief, den ich heute – leider etwas verspätet – beantworten möchte. Aber die von Ihnen angesprochenen Themen sind ja kurz vor Weihnachten, etwas nach dem IT-Gipfel, alle noch aktuell.

Dr. Oliver Grün, Präsident des Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMi) Vorstand der GRÜN Software AG

(Bild: Grün Software)

Leider wird wirklich vielerorts – und nicht selten in der IT-Industrie und den Medien – ein verzerrtes Bild des IT-Mittelstandes verbreitet. Ja, Herr Obermann hat wirklich gesagt, „es fehle in Deutschland nicht an Geld, sondern es fehle an Unternehmern“. Dies verkennt die Wirklichkeit ebenso wie die folgenlose Standarderwähnung des Mittelstandes in Sonntagsreden der Politiker aller Parteien. Die Wirtschaftsstruktur in Deutschland ist grundlegend anders als in Frankreich oder Großbritannien. Die meisten deutschen IT-Arbeitsplätze stellen Mittelständler. Bei diesen überwiegend inhabergeführten Unternehmen setzt niemand Menschen vor die Tür, nur um die Rendite nochmals zu optimieren. Insgesamt tickt der Mittelstand ganz anders als große Konzerne, auch wenn man in Talkshows oder auf anderen Bühnen wie unter anderem dem IT-Gipfel meint, Wirtschaft sind nur die Konzerne.

Die Unterstützung von Startups hat sich die Bundesregierung und auch der BITKOM aktuell auf die Fahnen geschrieben. Das ist nicht nur schick, sondern wird von uns auch ausdrücklich begrüßt. Aber neben Gründung muss auch das Wachstum solcher Unternehmen im Fokus sein, die schon einige Jahre bewiesen haben, dass sie am Markt bestehen können. Wenn wir zum Mars fliegen wollen, starten wir auch von der Raumstation ISS, nicht vom Boden. Also lasst uns doch gute Mittelständler zu 'Facebooks made in Germany' machen. Der starke Mittelstand ist doch die Chance dafür, das stellt übrigens auch die TNS-Infratest Studie zum IT-Gipfel immer wieder fest.

Natürlich fehlt es am Geld zum Wachstum, lieber Herr Sicking. Facebook hatte über 400 Millionen Dollar Venture Capital intus, bevor auch nur 1 Dollar verdient wurde. Das ist für ein einziges Unternehmen mehr als das Gesamtinvestment von VCs in deutsche IT-Unternehmen, das laut Bundesverband deutscher Kapitalgeber 2009 bei 260 Millionen Euro lag.

Auch das Ergebnis der von Ihnen angesprochenen Studie der Beratungsgesellschaft Ernst & Young widerspricht dem Geldmangel aus unserer Sicht keineswegs, ganz im Gegenteil: Fast jedes sechste der befragten KMU, die hier übrigens zum größten Teil aus den Branchen „Handel“ sowie „Bau und Energie“ kommen, beklagt den hohen administrativen Aufwand, darüber hinaus fehlende Informationen und mangelnde Unterstützung. Häufig fehlen den kleinen Unternehmen auch entsprechende Kapazitäten und schlichtweg die Zeit, um Fördermittel in Anspruch zu nehmen.

Wesentlich ist aber auch ein anderes Ergebnis: Für knapp ein Viertel der Befragten war die Förderung notwendig, das heißt: Ohne sie wären die geplanten Vorhaben in den Unternehmen nicht durchgeführt worden oder hätten fremdfinanziert werden müssen. Die Leidtragenden sind in erster Linie die kleinen Unternehmen: Während die größeren von Zuschüssen und Zulagen durchaus profitieren (hier ist sogar von Mitnahmeeffekten die Rede), müssen Kleinst- und kleine Unternehmen ihre Vorhaben zurückstellen oder aufgeben.

Angesichts der erwarteten Kürzung von EU-Fördermitteln in der kommenden Förderperiode 2014-2020 wird es von noch größerer Bedeutung sein, vorhandene Mittel effektiv und zielgerichtet einzusetzen, damit sie da ankommen, wo sie dringend benötigt werden. So kommt ja auch Ernst & Young auf Grundlage der Studie zur Schlussfolgerung, dass „Mitnahmeeffekte auf ein Minimum reduziert werden“ müssen und Förderinstrumente so zu gestalten sind, dass „besonders kleine Unternehmen auf sie zugreifen können“.

Die Forderung des BITMi zielt insbesondere auf eine Stärkung der IT-Unternehmen in Deutschland, die eine Alternative zu herkömmlichen Bankkrediten benötigen und flexibel am Markt agieren wollen. Vorstellbar sind ein mittelständisch geprägtes Private-Equity-Gesetz unter Berücksichtigung der besonderen Lage der Informationstechnologie sowie ein spezieller IT-Fonds Deutschland, in den der Staat, vertreten durch die KfW, und Kapitalgeber zusammen in einem noch auszulotenden Verhältnis einzahlen. So entsteht eine Hebelwirkung: Für jeden Euro staatlichen Geldes kommt ein bestimmter VC-Betrag hinzu. Im Vergleich zu anderen Ländern ist in Deutschland bislang viel zu wenig Risikokapital für IT-Unternehmen und Start-ups verfügbar. Ein erweitertes Risikokapital-Engagement ist daher unser Stichwort für die zukünftige Ausrichtung der deutschen Förderpolitik.

Geldbeschaffung, wie Sie es genannt haben, lieber Herr Sicking, ist also in der Tat ein aktuelles Thema und zentrales Problem für den IT-Mittelstand, doch leider nicht das einzige: Eine weitere Forderung des BITMi ist beispielsweise die steuerliche Förderung von freier Forschung und von Innovationsaktivitäten, die die bewährte Technologieförderung ergänzt. Im innovativen und starken IT-Mittelstand liegt der Schlüssel zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland.

Übrigens möchte ich Ihrer korrekten Anmerkung, BITMi sei so etwas wie ein BITKOM für die kleineren und mittleren IT-Unternehmen hinzufügen, dass wir uns eher als Netzwerk von IT-Unternehmern verstehen und nicht ein Denken als Verbandsfunktionäre in den Vordergrund stellen möchten. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein geruhsames Weihnachtsfest sowie einen guten Start in das neue Jahr.

Ihr
Oliver Grün

Präsident des Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMi)
Vorstand der GRÜN Software AG (map)