Die Gunst der Geographie

Fön und Tiefschnee: Die Verbindung von Lage und Technik macht Tokio zum perfekten Wintersportort.

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Von
  • Martin Kölling

Fön und Tiefschnee: Die Verbindung von Lage und Technik macht Tokio zum perfekten Wintersportort.

Der Bremer wird mit einem Schirm geboren, heißt es. Oder: Es regnet in Bremen nur zwei Mal pro Jahr, einmal elf Monate und einmal einen. Die Sprüche aus meiner Jugend sind natürlich maßlos übertrieben, dennoch wohnt ihnen ein Körnchen Wahrheit inne. Vielleicht liegt es an meiner winterlichen Vergangenheit, dass ich die Gegenwart in Tokio so sehr schätze. Blauer Himmel, trockene Luft, solange der Winter dauert – so sieht mein Alltag aus. Denn Tokio bietet etwas, dass kaum eine andere Stadt der Welt für sich in Anspruch nehmen kann: eine permanente Fönwetterlage.

Die mit Wasser vollgesogenen eiskalten Wolken aus Richtung Sibirien schneien sich an fast allen Tagen an den Nordhängen der japanischen Alpen mit ihren mehr als 3000 Meter hohen Gipfeln ab. Nach Tokio schafft es in der Regel nur knochentrockene Luft. Nur an wenigen Tagen schwappen die Wolken über die Kämme und sorgen für etwas Schnee in Japans Hauptstadt, der sich allerdings sofort in Schneematsch verwandelt. Im Westen schirmt der Fuji mit umgebenden Bergen die Stadt gegen herannahende nasse Wolken ab. Auch in Japan ist diese Lage einmalig. Zwar werden auch Kyoto und Osaka durch Berge von der japanischen See getrennt, doch sind die niedriger und schmaler, so dass Zentraljapan viel eher als Tokio unter nasskalter Winterluft zu leiden hat.

Trotz dieses permanenten Schneemangels ist Tokio zugleich ein sehr guter Wintersportort, wahrscheinlich sogar besser als München. Der Grund ist japanische Verkehrstechnik: Vom Stadtzentrum brauchen Skifahrer mit dem Shinkansen-Superschnellzug nur zwei Stunden zu den olympischen Pisten von Nagano oder in den Tiefschnee von Niigata. Und wer es ein bisschen pulveriger mag, kann mit einer anderen Linie in den Norden der Hauptinsel Honshu jagen, wo der Schnee teilweise so hoch liegt, dass Skifahren nicht mehr möglich ist. Oder der Skifahrer steigt in einen der Jumbos nach Sapporo, der am stärksten frequentierten Flugroute der Welt, um in den Skigebieten auf Hokkaido die Hänge hinab zu gleiten.

Ich muss gestehen, als eingefleischter Flachlandtiroler und wintersportlicher Analphabet spreche ich wie ein Blinder von der Farbe. Aber ich habe kaum einen Skifahrer getroffen, der sich hier über den Schnee beschwert. Nur das Aprés-Ski könnte besser sein, heißt es. Denn die Japaner feiern oft in ihren kleinen Grüppchen auf ihren kleinen Hotelzimmern und lassen nicht in Kneipen, Bars und Tanzlokalen die Puppen tanzen. Von diesem Manko einmal abgesehen kann ich mir keinen Ort vorstellen, der besser als Tokio die Vorteile des Winters (Schnee) bietet, ohne gleichzeitig im Alltag unter dessen unfallträchtigen Nachteilen (Schnee) zu leiden. (bsc)