Gravis-Übernahme durch Freenet: Die Kirche im Dorf lassen!

Die Übernahme von Gravis durch Freenet sei "ein Befreiungsschlag für Freenet" und werde "die Vertriebslandschaft für kleine und große Computer in Deutschland mit einem Schlag verändern". Geradezu euphorisch feierte die Wirtschaftswoche den Eigentümerwechsel bei dem IT-Filialisten aus Berlin. Heise-Kolumnist Damian Sicking sieht das wesentlich nüchterner.

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Von
  • Damian Sicking

Gravis-Gründer Archibald Horlitz

(Bild: Gravis)

Lieber Gravis-Gründer und –Verkäufer Archibald Horlitz,

die meisten Menschen wissen nicht, wem welcher Laden in unseren Fußgängerzonen, in den Shopping-Malls und den Einkaufsgebieten am Stadtrand gehört, und es interessiert sie auch nicht. Dass Media-Markt und Saturn Tochterunternehmen der Metro AG sind, dass Cyberport und Computeruniverse zum Burda-Konzern zählen oder – um den Namen schon mal ins Spiel zu bringen – Mobilcom-Debitel zu Freenet, das ist dem Großteil der kaufenden Bevölkerung in Deutschland nicht nur nicht bekannt, sondern auch völlig schnuppe. Daher beeinflussen diese Verwandtschaftsbeziehungen auch nicht ihre Kaufentscheidung.

Auch dass Gravis, der 1986 von Ihnen und Ihrem damaligen Kompagnon Wilfried Gast gegründete Apple-Handelspartner, (bald) nicht mehr Ihnen gehört, sondern dem Telekommunikationsunternehmen Freenet, haben die meisten Menschen nicht mitbekommen. Das liegt nicht nur daran, dass die Übernahme kurz vor Weihnachten bekannt gemacht wurde und ganz Deutschland mit Weihnachtseinkäufen, Plätzchenbacken und Vorfreude beschäftigt war, sondern schlicht und ergreifend daran, dass sich nur ein kleiner Teil der Verbraucher für diese Art von Wirtschaftsmeldungen interessiert. Wem Gravis gehört, das ist vermutlich 99,9 Prozent der (potenziellen) Kunden vollkommen egal. Hauptsache das Angebot stimmt, die Preise sind in Ordnung, das Verkaufspersonal ist kompetent und freundlich und die Ladengestaltung ansprechend.

Gravis genießt bei IT-affinen Kunden in Deutschland einen guten Ruf, die Läden sind stylisch, die Kunden kommen gerne und kaufen. Mit einem Satz: Gravis ist gut aufgestellt. Das ist im Wesentlichen Ihr Verdienst, lieber Herr Horlitz. Dass Gravis heute noch immer nicht da steht, wo Sie es gerne hätten – bereits vor fünf Jahren wollten Sie einen Umsatz von 170 Millionen Euro erzielen und planten einen Ausbau auf 60 Outlets –, hat einen simplen Grund: Es fehlte Ihnen an dem dafür nötigen Kleingeld bzw. einem starken Partner. Nach der unglücklichen und im Jahr 2001 wieder geschiedenen Ehe mit dem TK-Unternehmen Teles hatten Sie die vergangenen zehn Jahre damit zugebracht, Finanzierungsmöglichkeiten für die Expansion des Unternehmens auszuloten. Mal bemühten Sie sich um einen strategischen Partner – zeitweilig war die Douglas-Holding mit der Tochter Thalia Ihr Favorit –, mal sahen Sie einen Börsengang als möglichen Weg an. Aber sowohl die eine wie die andere Lösung funktionierte nicht. Der angedachte Börsengang wurde wegen des schwierigen Umfeldes 2008 abgeblasen, die Annäherung an den inzwischen vom Erdboden verschwundenen Handelskonzern Karstadt/Arcandor wurde nach einer einjährigen Pilotphase im selben Jahr beendet. Was blieb, waren die Probleme: Es fehlte einfach das Geld für den weiteren Ausbau der Filialkette. Vor zwei Jahren sagten Sie, dass Sie zehn bis 15 Millionen Euro für den geplanten Ausbau auf 50 Standorte bräuchten, jeder neue Laden würde einen Finanzbedarf von 400.000 bis 500.000 Euro erfordern. Dazu käme der damit verbundene Anstieg der benötigten Liquidität zur Vorfinanzierung des wachsenden Warenbestandes. Woher nehmen, wenn nicht stehlen?, könnte man da mit dem Volksmund sagen.

Vor diesem Hintergrund ist die Übernahme von Gravis durch das am Tecdax notierte Unternehmen Freenet sicher eine gute Lösung. Geld ist vorhanden und es ergeben sich auch eine Menge Möglichkeiten der gegenseitigen Befruchtung. Außerdem kennt man sich schon eine ganze Weile durch eine gemeinsame Verlobungszeit. Wichtig für den neuen Eigentümer erscheint mir aber eines, und damit bin ich wieder am Anfang meiner Kolumne angelangt: Die Freenet-Manager um den Vorstandschef Christoph Vilanek sind klug beraten, wenn sie Gravis so weit wie möglich Gravis sein lassen und bei der Integration des Unternehmens in den Konzern nur sehr behutsam vorgehen. Denn wie gesagt: Kunden kaufen vor allem deshalb bei Gravis, weil das Angebot stimmt, die Preise in Ordnung sind, das Verkaufspersonal kompetent und freundlich und die Ladengestaltung ansprechend ist. Hier nun alles umkrempeln und die Freenet- oder Mobilcom/Debitel-Flagge hissen, halte ich für einen riskanten und falschen Weg.

Man sollte die Erwartungen auch nicht zu hoch hängen. Sehr wundern musste ich mich zum Beispiel über einen Bericht auf der Online-Seite der Wirtschaftswoche, nach dem der Gravis-Kauf "ein Befreiungsschlag für Freenet" sei und dieser "Scoop" – damit wird eigentlich ein Knüller in den Medien bezeichnet – "die Vertriebslandschaft für kleine und große Computer in Deutschland mit einem Schlag verändert". Wer so etwas sagt oder schreibt, legt dem Unternehmen Gravis eine Bürde auf, unter derer Last es eigentlich nur einknicken kann. Zwar ist Gravis auch nach meiner Meinung eine Verstärkung für den Freenet-Konzern, man sollte aber doch die Kirche im Dorf lassen und die Bedeutung eines 150-Millionen-Umsatzunternehmens in einem Markt von vielen Milliarden Euro nicht künstlich nach oben stilisieren.

Vielleicht haben Sie ja die Möglichkeit, weiterhin Einfluss auf die Zukunft von Gravis im Freenet-Unternehmensverbund zu nehmen, lieber Herr Horlitz. Denn wie zu lesen ist, werden Sie sich zwar aus dem Unternehmen Gravis zurück-, aber womöglich in den Aufsichtsrat von Freenet einziehen. Das wäre sicher keine schlechte Lösung.

Wie auch immer: Ich hoffe, dass Sie, lieber Herr Horlitz, für Ihre Firma Gravis richtig viel Geld bekommen haben. Denn 26 Jahre Unternehmertum mit allen Höhen und Tiefen müssen belohnt werden.

Alles Gute!

Damian Sicking

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