Die digitale Notdurftanstalt

Seit 40 Jahren sind beheizte Klobrillen in Japan en vogue. Die neuesten Modelle haben mit ihren simplen Vorfahren außer der Wärmfunktion allerdings nicht mehr viel gemeinsam. Hightech sei Dank.

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Von
  • Martin Kölling

Seit 40 Jahren sind beheizte Klobrillen in Japan en vogue. Die neuesten Modelle haben mit ihren simplen Vorfahren außer der Wärmfunktion allerdings nicht mehr viel gemeinsam. Hightech sei Dank.

Gruftige Morgentemperaturen von zehn Grad im Wohnzimmer haben meinen Widerstand eingefroren. Ich bin von meiner abörtlichen Barbarei in die Zivilisation eingetreten und habe meine analoge Klobrille durch ein schon recht digitales Washlet ersetzt. Unter diesem Begriff verstehen Japaner eine beheizbare Klobrille mit Po-Dusche und Bidet-Funktion. Mein Modell beherrscht sogar noch einen weiteren Trick: Sie saugt menschliche Emissionen ab und beseitigt in einem Filterprozess störende Gerüche. Spitzenmodelle öffnen sogar selbsttätig den Deckel, wenn der notdurftleidende Nutzer in den Abort eilt.

Das Fazit meiner ersten Sitzproben vorweg: ein guter Kauf. Jeder Stuhlgang wird zum Auftauerlebnis. Zudem gibt der offenbar ergonomisch geformte Sitz komfortablen Halt und bewahrt die Beine auch bei längeren Sitzungen davor, einzuschlafen. Und der in fünf Stufen regelbare Wasserstrahl der Po-Dusche erfüllt seinen Zweck ebenfalls befriedigend. Besonders interessant finde ich als Technikfan allerdings die stromsparende Funktionsweise von Po-Heizung und -Spülung, die Einwände meines ökologischen Gewissens gegen den vermeintlichen Stromverschwender besänftigt hat. Sensoren sorgen dafür, dass die Heizung nicht mehr wie bei früheren Modellen durchgehend heizt, sondern nur, wenn sich der Hintern auf die Brille senkt.

Verantwortlich dafür ist ein Infrarotsensor am hinteren Rand der Klobrille. Ist der Deckel herunter geklappt oder kein Mensch in der Nähe, bleibt die Heizung für Brille und Duschwasser ausgeschaltet. Öffnet man den Deckel oder tritt bei geöffnetem Deckel an die Toilette, notiert der Sensor die Bewegung und befiehlt der Steuerung, die Heizschlangen in der Brille zuerst steil hochzufahren und dann auf etwas über Hauttemperatur abzusenken. Bis die Normaltemperatur erreicht ist, blinkt eine orange Lampe. Handgestoppt dauerte es nach Hochklappen des Toilettendeckels 6,4 Sekunden, bis das Blinken aufhört. (Wer schneller die Hosen runter lässt, hat ein etwas heißeres, doch keineswegs unangenehmeres Erlebnis.)

Gleichzeitig lässt die Po-Dusche das Wasser im Duschkopf ab. Dies erfüllt zwei Zwecke: 1. Vor allem Japanerinnen mögen es, wenn das Klo durch leichtes Spülen oder andere Geräusche die Nebengeräusche überdeckt, die bei der menschlichen Notdurft entstehen. 2. Das kalte Wasser aus dem Duschkopf wird durch angenehm temperiertes ersetzt, um auf Knopfdruck aus der ausfahrenden Düse zu schießen. Währenddessen surrt der Duftsauger leise vor sich hin. Steht man auf, stellt das Klo seinen Stromverbrauch automatisch wieder ab und verbraucht nur noch etwas Energie im Standby-Betrieb.

Meine persönliche Ökobilanz für diesen Luxus ist eher subjektiv: Ich spare täglich durch das Fehlen einer durchbollernden Zentralheizung und durch Befolgen der japanische Philosophie, die Klimaanlage nur einzuschalten, wenn man zu Hause ist, so viel Energie ein, dass etwas Verbrauch zur extremen Steigerung meines winterlichen Wohlbefindens erlaubt sein muss. Zumal die Energieeffizienz der Brille durch verbesserte Steuerung, leitfähigere Materialien und weniger Heizschlangen um 232 Prozent höher als beim Vorgängermodell sein soll.

Hätte ich sogar die Schüssel durch ein komplettes Hightechklo ersetzt, könnte ich meinen leicht gesteigerten Stromverbrauch zudem durch drastische Einsparungen beim Spülwasser wettmachen. Die neuesten Modelle japanischer Hersteller sind sehr sparsam. Die Spülung eines großen Geschäfts verbraucht bei Totos Spitzenmodell "Neorest" nur 4,8 Liter, bei Panasonic sogar nur 4,6 Liter. Das kleine Geschäft rauscht mit dem Zusatz von etwas mehr als drei Litern durch die Fallrohre in die Kanalisation.

Beide Spitzenmodelle verfügen darüber hinaus über superglatte Oberflächen, um eine Selbstreinigungsfunktion anzubieten. Toto mindert die Haftungstendenzen der Notdurft durch eine Nanobeschichtung namens CeFiONtect, die in der Klokeramik verwendet wird, Panasonic durch den Einsatz von organischem Glas. Dass das Ende der Toilettenentwicklung noch lange nicht erreicht ist, zeigt Toto in diesem Video: Darin beweist sich das Klo als der perfekte Elfmeterkiller. (bsc)