Fliegen mit Teamgeist

Sie spielen Pingpong miteinander, bauen Türme oder tanzen Luft-Ballett in perfekter Choreografie: Schwärme autonomer Mikrokopter haben erstaunliche Fähigkeiten entwickelt. Erste Ideen für praktische Anwendungen gibt es auch schon.

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Inhaltsverzeichnis

Sie spielen Pingpong miteinander, bauen Türme oder tanzen Luft-Ballett in perfekter Choreografie: Schwärme autonomer Mikrokopter haben erstaunliche Fähigkeiten entwickelt. Erste Ideen für praktische Anwendungen gibt es auch schon.

Nur das hohe Sirren der Rotoren ist zu hören. Wenn die Mikrokopter aus der "flying machine arena" der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH ihre neuesten Kunststücke zeigen, hält das Publikum gern mal den Atem an. Wie zu groß geratene Libellen stehen sich zwei dieser Kleinfluggeräte in der Luft gegenüber, auf ihrer Oberseite ist ein Netz montiert, das wie bei einem Tennisschläger in einem runden Holzrahmen eingespannt ist. Jetzt fehlt eigentlich nur noch der Trommelwirbel. Ein Assistent wirft den Ball ein, der linke Kopter taucht blitzschnell ab, nimmt den Ball von unten und schlägt ihn sanft in Richtung seines Gegenspielers. Der nimmt den Ball nicht minder elegant auf und spielt ihn zurück – bis zu 20-mal geht das, bevor der Ball auf den dick gepolsterten Boden fällt.

Die Vorführung ist weit mehr als bloße Unterhaltung. Sie zeigt, wie weit die Technologie für diese winzigen unbemannten Fluggeräte mittlerweile fortgeschritten ist.

Vor etwa fünf Jahren kamen die ersten kleinen, flinken Mikrokopter auf den Markt: Ausgestattet mit vier, sechs oder acht Propellern, ließen sich die handlichen Geräte erheblich leichter steuern als Modellflugzeuge. Sie konnten selbstständig starten und landen, eine feste Position in der Luft halten – und sie konnten genug Gewicht tragen, um kleine Kameras zu transportieren, die ihre Bilder live an den Piloten schicken.

Nun zeigt Raffaello D'Andrea, Professor am Institut für dynamische Systeme und Regelungstechnik, dass weitaus mehr in den kleinen Maschinen steckt. "Wir wollen das System an seine Grenzen treiben", sagt der Forscher. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern arbeitet er daran, sie nicht mehr nur einzeln, sondern in Gruppen agieren zu lassen: Die Mikrokopter spielen nicht nur zusammen Ball, sie demonstrieren perfekte Formationsflüge, in denen sie rhythmisch zu beliebiger Musik in der Luft tanzen und Formationen wechseln wie ein gut gedrilltes Garderegiment. Sie balancieren Stäbe in der Luft oder bauen selbstständig gemeinsam meterhohe, abenteuerlich in sich verdrehte Türme aus Styroporblöcken wie ein Schwarm dressierter Riesen-Insekten.

Sieht so die Zukunft aus? Schwärme autonomer Mikrokopter überwachen Industrieanlagen oder suchen nach Naturkatastrophen nach Überlebenden? Gemeinsam transportieren auch kleine Kopter große Lasten. Sie liefern spektakuläre Luftaufnahmen von Sportveranstaltungen, könnten aber auch Menschenmengen aus der Luft überwachen, indem sie untereinander die optimale Abdeckung des zu kontrollierenden Geländes aushandeln. Sie können in einer Menschenmenge gleichzeitig verschiedene Einzelpersonen oder mehrere kleine Gruppen verfolgen, indem sie sich aufteilen. Und sie könnten natürlich auch selbst aktiv werden: In seinem neuesten Thriller "Kill Decision" beschreibt der Science-Fiction-Bestseller-Autor Daniel Suarez, welche verheerenden Auswirkungen der koordinierte Angriff Tausender Mikrokopter haben kann, selbst wenn der einzelne Kopter wie ein Spielzeug wirkt.

Wer Bilder von Heuschreckenschwärmen im Anflug sieht oder Ameisen beim gemeinsamen Transport schwerer Futterstücke, hat wenig Zweifel an der Macht solcher Schwärme: Lebewesen mit beschränkten Fähigkeiten können im Verbund auch komplizierteste Probleme lösen. Die Individuen wissen nicht, was der Schwarm als Ganzes tut – wahrscheinlich haben sie keine Ahnung, dass ein Schwarm überhaupt existiert. Trotzdem entsteht im Verbund so etwas wie intelligentes Verhalten. Dieses Fähigkeiten wollen Wissenschaftler nun auch ihren Robotern beibringen. Sie können dafür auf einfache Gesetzmäßigkeiten zurückgreifen, die Verhaltensforscher bereits in den achtziger Jahren entdeckten. Der Biologe Brian L. Partridge etwa untersucht, wie sich Fischschwärme organisieren. Dabei fand er heraus, dass sie eigentlich nur zwei simplen Regeln gehorchen: Folge dem Fisch vor dir und halte die ungefähre Geschwindigkeit des Fisches neben dir.

Ähnlich einfach funktionieren eigentlich alle Schwarmsysteme. Meist reichen weniger als fünf Verhaltensregeln, um auch komplexe Aufgaben zu bewältigen. Weder ein Masterplan noch eine zentrale Kontrolle ist nötig, weil jedes Individuum sich am Nachbarn ausrichtet: Wenn A dies tut, macht B jenes, was wiederum Individuum C dem Schwarmverhalten folgen lässt. So ein System funktioniert mit zehn Individuen genauso wie mit hundert, tausend oder zehntausend. Und ein Schwarm kann Fehler oder sogar Ausfälle einzelner Individuen verkraften.

Als Erstem gelang es dem Informatiker Eric Bonabeau Ende der neunziger Jahre, Robotern dieses Schwarmverhalten beizubringen. Sechs autonome Maschinen mussten von zufällig gewählten Positionen aus eine Kiste (das Futter) finden und zu ihrem "Nest" bringen. Die Kiste war allerdings so schwer, dass ein einzelner Roboter sie nicht transportieren konnte. Gleichzeitig aber konnten die Roboter nicht miteinander kommunizieren, um sich die Position der Kiste mitzuteilen. Die Teamarbeit gelang stattdessen mit einer simplen Regel: Hatte ein Roboter die Kiste gefunden, überprüfte er, ob sich das "Futter" zwischen ihm und dem Nest befindet. Wenn ja, versuchte er die Kiste vorwärtszuschieben. Wenn nicht, setzte er zurück, drehte und suchte nach einem neuen Angriffspunkt. Wenn mehrere Roboter zufällig an derselben Kiste hantierten, arbeiteten sie – ohne es zu wissen – zusammen und schoben die Beute Richtung Nest.

Rund zehn Jahre später lassen die besten Schwarmroboter ihre primitiven Vorfahren ziemlich alt aussehen: Im europäischen Forschungsprojekt Swarmanoid haben Wissenschaftler einem kleinen Schwarm Roboter beigebracht, im Labortrakt ein Zimmer mit einem Bücherregal ausfindig zu machen und von diesem Regal ein ganz bestimmtes Buch zu hohlen. Die einzelnen Maschinen sind dabei hochspezialisiert: "Fußroboter" sind die Träger, die darauf programmiert sind, gemeinsam schwere Lasten zu tragen. Der "Handroboter" kann per Seilzug am Bücherregal hochklettern, das Buch bergen und sich wieder abseilen. Als "fliegende Augen" schließlich dienen Quadrokopter, die mit ihren vier Propellern sehr beweglich sind und vergleichsweise schnell große Areale abscannen können. Hat einer der "Augenroboter" das Regal mit dem gesuchten Buch gefunden, hängt er sich mit einem Saugnapf an die Zimmerdecke, ruft die restlichen Mitglieder des Schwarms herbei und schickt seine Kamerabilder an diese übrigen Roboter.

"So etwas funktioniert allerdings nur in extrem strukturierten Umgebungen", schränkt Marco Dorigo ein, der das 2011 abgeschlossene Projekt koordiniert hat. "Wenn Sie einen Schwarm Roboter bauen wollen, der ein beliebiges Objekt auf einer Fläche von sagen wir mal einem Quadratkilometer finden und zu einem Ziel transportieren soll, ist das extrem schwierig." Denn ein Schwarm ist zwar im Prinzip leistungsfähiger als einzelne Roboter. Aber die einzelnen Maschinen sind "nur so gut oder so schlecht, wie autonome Roboter zurzeit eben sind", sagt Dorigo. "Die meisten autonomen Roboter sind nicht wirklich für den Einsatz in der Außenwelt geeignet. Wir denken nicht ernsthaft über reale Anwendungen nach."

Viel mehr interessieren Dorigo, der mittlerweile als Professor für intelligente technische Systeme an der Universität Paderborn arbeitet, die "grundlegenden Verhaltensweisen" seiner Roboter im Schwarm: Wie kann man die Zusammenarbeit der Maschinen am besten organisieren? Was müssen die Roboter tun, damit sie sich nicht gegenseitig behindern? Wie wird die Arbeitsteilung untereinander ausgehandelt? Vor allem aber treibt ihn ein noch immer ungelöstes Problem um: Wenn ich ein beliebiges Schwarmverhalten vorgebe, wie komme ich dann zu den Regeln, die das Verhalten des einzelnen Individuums vorgibt, um das komplexe Ergebnis zu erzeugen? Denn so einfach die Regeln sind, sie sind keineswegs für alle Schwarmsysteme gleich. Was für Fische gilt, passt nicht automatisch für Ameisen, und was für Ameisen gilt, ist nicht unbedingt auf Roboter anwendbar. "Es gibt noch keine allgemeine Lösung", sagt Dorigo.