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Was war. Was wird.

Promigeschichten? Hier doch nicht. Hal Faber ist schließlich keine Klatschbase. Das einzige, was hier klatscht, sind zum double facepalm ins Gesicht geschlagene Hände, wenn es über Estland Meteoriten regnet.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Klatsch definierte das alte Wörterbuch der deutschen Sprache einstmals als "Geräusch, das entsteht, wenn etwas Weiches oder Schweres flach auf etwas Hartes schlägt." Später wurde aus dem lautmalerisch beschreibenden Wort der Klatsch, dudifiziert als "der Neugier entgegenkommende Neuigkeiten aus dem Bereich Anderer." So oder so, der Klatsch hat wenig mit den harten Nachrichten zu tun, die tagein, tagaus in diesem löblichen Newsticker auftauchen, um ebenso unermüdlich von den Besten der Besten (Sir!) kommentiert zu werden: Heise-Forumsleser sind vielleicht nicht das Salz dieser Erde, ätzen aber gnadenlos alles weg, was zu einer Klatschung gehört. Gemeinsam dürfen sich darum Leser wie Redakteure über die Wertschätzung freuen, die heise.de nach einer Studie der TU Darmstadt über die Nachrichtenverbreitung in sozialen Netzwerken bei Technikthemen an der Spitze sieht, mit deutlichem Abstand vor der Konkurrenz:

  1. Heise.de (662.570)
  2. Chip.de (301.945)
  3. Focus Online (152.623)
  4. Bild.de (137.323)
  5. Spiegel Online (125.384)

Bei den Gesamtzahlen mag es etwas anders aussehen, schließlich hat eine Meldung wie Putzfrau rammt Haus (aus Versehen) nicht allzuviel mit IT zu tun. Sport ist auch ein seltenes Thema in den IT-Nachrichten, weil Superdoper Lance Armstrong lieber mit einer handzahmen Moderatorin blufft, als sich einem Lügencomputer auszusetzen. Bleiben Sex, in der IT gemeinhin als Internetsucht definiert, und Politik: Die armen Piraten in Niedersachsen werden am heutigen Sonntag sicher lamentieren, was alles drin gewesen wäre ohne ihre Klatschhaftigkeit. Und alle, alle machen so weiter bis zum Herbst: "Dieses Ergebnis wird uns ein besonderer Ansporn für die kommende Bundestagswahl sein."

*** Nun gibt es im Leben Momente, in denen der Klatsch oder die Verschwörungstheorie der trockenen Nachricht den Rang ablaufen. Heise-Leser verlinken dann in den Foren gerne auf Fefe, der etwas anderen Nachrichtenagentur am Rande des laufenden Irrsinns. Dort war dieser Tage ein EU-Dokument aufgeklatscht und man konnte in der fnordistischen Zusammenfassung nicht nur lesen, dass Programmierer des dauerverspäteten SIS-II-Projekts fehlerhafte Konvertersoftware geschrieben haben, sondern auch noch kosmische Ereignisse als Begründung für den offiziellen Pfusch herangezogen haben. Weil Heise-Leser eben diesen Konverter lobten, begann die Suche nach dem genauen Wortlaut des EU-Dokumentes. Von Estland wurde der Konverterpfusch und die Fragilität der zentralen Datenbank C.SIS tatsächlich so kommentiert:

"EST äußerte die Ansicht, dass aus Sicht von EST das Risiko mit den beschriebenen Verfahren ausreichend abgesichert sei. Schließlich könne auch ein Meteorit das C.SIS treffen und es gäbe nun mal ein allgemeines Lebensrisiko."

Dass ein derart mit Meteoritenhilfe argumentierenden allgemeines Lebensrisiko in einem offiziellen Protokoll zu einem IT-Projekt auftaucht, das über 200 Millionen Euro kosten wird, schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht, wie ein weiser Mann zu sagten pflegte. Wenn wieder einmal irgendwo in Deutschland ein lasches IT-Projekt gegen die Wand gefahren wird, sollte das Argument vom einschlagenden Meteorit fürderhin nicht fehlen. Alternativ könnte man auch die real existierende Gefahr zitieren, dass uns der Himmel eines Tages auf den Kopf fällt. Man sollte den Vertreter Estlands für diese elegante Argumentation mit der nicht tragbaren St. Nimmerleins-Medaille in Gold (PDF-Datei) auszeichnen.

*** Während die Fahndung nach den ins Nichts konvertierten "wenigen" SIS II-Datensätzen weiterläuft, bietet sich ein Blick nach Berlin an. In der Stadt der Liebe findet bald ein kleiner Europäischer Polizeikongress statt, der sich mit dem "Schutz im digitalen Raum" befasst. Aus diesem Grunde wurde in Berlin von Autonomen der Wettbewerb Camover ausgerufen, bei dem verschiedene Kommandos Überwachungskameras abreißen. Über die Sinnhaftigkeit einer solchen Protestaktion lässt sich trefflich streiten. Wer allen Ernstes glaubt, dass so dem Staat das Augenlicht genommen werden kann, scheint kein helles Licht zu sein. Ein Ergebnis der ersten Aktionen: die meisten der abgerissenen Kameras sollen Attrappen gewesen sein. Verträgt Big Brother kein Big Data? Dabei wäre die Welt doch so schön, wenn wir eine hundertprozentige Überwachung durch Kameras hätten, immer und überall: Man könnte Armeen abschaffen und den Unsinn mit den Passwörtern vergessen.

*** Big Brother BKA macht es sich jedenfalls leicht und hat eine Software für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung von Gamma eingekauft. Wie berichtet, soll diese Software von CSC mit einer Typmusterprüfung daraufhin untersucht worden sein, dass Mitschnitte aus dem Kernbereich der privaten Lebensführung gesperrt und gelöscht werden können, dass es Protokolle der Überwachungsmaßnahmen gibt und dass sichergestellt ist, das nur autorisierte Überwacher mit der Software arbeiten. Dies alles sind Punkte, die bei der zuvor eingesetzten Software von Digitask bemängelt wurden. Ob sie tatsächlich überprüft worden sind? In Fefes Blog taucht dazu der böse Gedanke auf, dass besagte Firma CSC in den USA einen Rahmenvertrag mit der NSA hat. Die Krönung dieser Nachricht kann schließlich bei den Aufdeckern von Netzpolitik gelesen werden. Dort hat sich Gamma-Entwicklungschef Ingo Münch mit bekannten Argumenten zu Worte gemeldet und behauptet:

"Hinzu kommt zudem, dass wir derzeit in aktiven Gesprächen mit verschiedenen Menschenrechtsorganisationen sind um einen möglichen “Code of Conduct” für Firmen wie unsere in dieser Branche zu entwerfen und durchzusetzen und wir wollen diese Gespräche durch Veröffentlichung von Internas nicht in Gefahr bringen."

Es könnte schließlich auch ein Meteorit dort runterkommen, wo diese Gespräche geführt werden. Ob Menschenrechtsorganisationen tatsächlich mit Gamma verhandeln, dürfte die Zukunft zeigen. Im Zweifelsfall verliert diese Firma wieder einmal ihre Demo-Software auf einer der einschlägigen Überwachungs-Fachmessen.

*** Die tragische Geschichte von Aaron Swartz hat viele Facetten, von einer halbherzigen Entschuldigung der Staatsanwältin bis hin zu einem neuen Gesetz, das die Aktionen der Strafverfolger in den USA beim Tatbestand des Computermissbrauches einschränken soll. Die öffentliche Anteilnahme ist groß, nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen. Unmittelbar Betroffene wie der Jurist Lawrence Lessig flüchten sich ins Schweigen, während Wikileaks entgegen der eigenen Schutzregeln für Whistleblower versucht, den jungen Mann für sich zu reklamieren. Auch so kann man Ignoranz demonstrieren.

Was wird.

Am kommenden Dienstag hält der Investor Peter Thiel in München einen öffentlichen Vortrag im Anschluss an seinen Auftritt bei der DLD-Konferenz. Die von Thiel gegründete Firma Palantir Technologies zählt die US-amerikanischen Geheimdienste CIA und NSA zu ihren Hauptkunden. We are family, heißt es dann: auch der Bundesnachrichtendienst soll diese Software anschaffen. Ob dabei der Quellcode geprüft wird?

Dienstag ist Schautag für Bildungsministerin Annette Schavan. Dann entscheidet der Fakultätsrat der Universität Düsseldorf, was an den Plagiatsvorwürfen dran ist. Es soll ein Gutachten vorgestellt werden, dass sich anders als das nur auf den Text beschränkte Schavanplag anonymer "Internetler" umfassend mit der Vorgeschichte und den wissenschaftlichen Bedingungen ihrer Dissertation beschäftigt. Erste Klatschen melden, dass die Ministerin entlastet wird. Dennoch soll ein Verfahren zur Aberkennung der Promotion eingeleitet werden. Bekommt Deutschland eine Einbildungsministerin? Bundeskanzlerin Merkel schaut aus sicherer Entfernung zu und referiert beim Weltwirtschaftsforum in Davos lieber über "Resilient Dynamism".

Schließlich treffen sich in Brüssel die europäischen Datenschützer zu ihrer Konferenz. Neben den üblichen Themen steht diesmal auch eine Diskussion über die Überwachungsdrohnen auf dem Programm. Und weil alles mit Liquid vorneweg so mega cyberschick ist, sei die Debatte um Liquid Surveillance erwähnt, die alltägliche Überwachung durch ständig anfallende kleine Datenmengen geleistet werden kann, mit Data Mininng und anderen Analysen. Big Data ist Big Brother. (vbr)