Von Krupp zu Krebs

Sein Urteil entscheidet über die vielversprechendsten deutschen Biotech-Newcomer: Der Krupp-Erbe Friedrich von Bohlen und Halbach hat der Szene als Berater bisher 900 Millionen Euro verschafft. Wer ist dieser Mensch, der im Hintergrund seine Fäden zieht?

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Von
  • Sascha Karberg

Sein Urteil entscheidet über das Wohl und Wehe der vielversprechendsten deutschen Biotech-Newcomer: Der Krupp-Erbe Friedrich von Bohlen und Halbach hat der Szene als Berater des SAP-Milliardärs Dietmar Hopp bisher 900 Millionen Euro verschafft – so viel wie niemand sonst. Wer ist dieser Mensch, der im Hintergrund seine Fäden zieht?

Staksigen Schritts betritt Friedrich von Bohlen und Halbach das „Paramount“, ein beliebtes Frühstücks-Café im Bostoner Stadtteil Beacon Hill. Die Beine des passionierten Läufers sind schwer vom frühmorgendlichen Training. Drei Stunden und vierzig Minuten hat er für den letzten Boston-Marathon gebraucht. „Etwas langsamer als erhofft“, sagt er und wirkt trotzdem zufrieden. Friedrich Bohlen, eigentlich bekannt für schnelle Autos, schnelles Denken, schnelles Entscheiden, hat gelernt, dass nicht alles auf dieser Welt so schnell läuft, wie er es sich vorstellt. Dafür aber musste er erst spektakulär scheitern.

Der große, hagere, ordentlich gescheitelte Mann, der sich nun geduldig in die lange Warteschlange reiht und mit Jetlag-müden Augen die Speisekarte mustert, war einst Deutschlands „bekanntester Biotech-Unternehmer“ („Zeit“). Er war eine Leitfigur des Hypes und sammelte 220 Millionen Euro mit seiner Heidelberger Biotech-Firma Lion Bioscience ein. In Interviews entwarf er mit großen Gesten die Zukunft der deutschen Biotech-Branche und schwärmte Investoren von den Möglichkeiten computergestützter Medikamentensuche und von Lion vor, dem zukünftigem „SAP der Gesundheitsbranche“.

Doch als die Biotech-Spekulationsblase platzte, ging wie vielen anderen deutschen Biotech-Firmen und Anlegern auch Lion die Puste aus. Die Aktien verloren über 90 Prozent ihres Wertes. Lion fusionierte mit Axaron zur Sygnis Pharma. Bohlen verschwand aus dem Rampenlicht, viele hatten ihn schon abgeschrieben. Doch der Spross der Krupp-Stahl-Familie, der den adligen Rest seines Namens stets weglässt, ist wieder im Rennen: Zum einen mit dem neuen Unternehmen Molecular Health, das vor allem in den USA aktiv ist. Zum anderen hat er – für die deutsche Biotechnologie viel wichtiger – in SAP-Gründer und Multimilliardär Dietmar Hopp einen liquiden Sponsor für die Realisierung seiner immer noch großen Visionen gefunden: Impfungen gegen Krebs etwa und Therapien für die Alzheimersche und die Parkinsonsche Krankheit.

Je mehr sich die institutionellen Risikokapitalgeber zurückzogen, je weniger sie ihrem Namen gerecht wurden, desto mehr Einfluss bekam Bohlen als Investitionsberater des Biotech-affinen Mäzens. 2008 bis 2011 investierten laut den Branchenanalysten von Ernst & Young sogenannte Familieninvestoren („Family Offices“) in Deutschland, darunter auch die Brüder Andreas und Thomas Strüngmann, Stefan Engelhorn und Christoph Boehringer, 30 Prozent mehr als alle Risikokapitalgesellschaften zusammen (siehe Grafik S. 54). Aber keiner hat über die Jahre so viel Geld in die Hand genommen wie Hopp mithilfe von Bohlen. Das macht den Krupp-Erben zu einem der einflussreichsten Figuren im deutschen Biotech-Markt. Ohne seine Empfehlung ist kein einziger der fast 900 Millionen Euro geflossen, die der SAP-Gründer Dietmar Hopp in den letzten acht Jahren in die Arzneimittelentwicklung investiert hat. Von seinen Entscheidungen hängt damit nicht nur das Schicksal von einem guten Dutzend Unternehmen ab, sondern auch die Zukunft der Biotech-Gründerszene.

Aber nicht nur das: In seiner Karriere spiegelt sich auch das Schicksal der Branche hierzulande. Bohlen kennt beides aus unmittelbarer Nähe: den früheren Hype genauso wie die heutige Angst der Investoren vor dem Risiko. Er weiß sowohl um die euphorischen als auch um die deprimierenden Momente auf dem Weg zum Erfolg – und hat gelernt, wie wichtig ein langer Atem ist. Nicht nur beruflich.

In seiner Freizeit läuft er seit über dreißig Jahren, als 19-jähriger Fallschirmjäger bei der Bundeswehr fing er an. Auch während der Biochemie- und Jura-Studien sowie der Promotion in Neurobiologie an der ETH Zürich schnürt er drei- bis viermal pro Woche seine Laufschuhe, meist früh am Morgen. Er läuft, als er Trainee bei Fresenius und Assistent bei FAG Kugelfischer wird. Im Spurt bringt er die 1997 gegründete Lion Bioscience schon drei Jahre später an die Börse, bevor ihn die Krise Ende 2003 ins Straucheln bringt. Er lag am Boden. Dann traf er Dietmar Hopp –„eine der wichtigsten Begegnungen in meinem Leben“, wie er sagt.

„Wir hielten beide einen Vortrag auf der Geburtstagsfeier eines gemeinsamen Bekannten“, erzählt Bohlen, während er – ganz der Sportler – Buttermilch-Pancakes, Ei, Toast, Joghurt und Orangensaft verdrückt. „Herr Hopp redete über zukünftige IT-Systeme, ich über personalisierte Medizin.“ Elf Jahre sei das jetzt her, die stürzenden Aktien von Lion waren gerade Börsenthema Nummer eins – doch Hopp interessierte die Kritik an Bohlen nicht. „Lion war nie ein Thema zwischen uns.“ Stattdessen drehte sich der Small Talk um die Faszination und die Möglichkeiten der Biotechnologie.

Wolfgang Hartwig, heute Geschäftsführer der Pharmafirma LTS Lohmann, kennt Bohlen, seit er 2000 als Bayer-Forschungschef eine 25-Millionen-Euro-Kooperation mit Lion Bioscience abgeschlossen hat. „Bei Bayer singen viele vor“, sagt Hartwig, aber Bohlen sei anders gewesen. „Er wollte erst einmal gar nichts verkaufen, sondern führte einfach ein anregendes Gespräch auf wissenschaftlicher Ebene.“ Das habe ihm gefallen. Dass der Familienname in der Anbahnung solcher Gespräche wohl ein Türöffner ist, gibt Hartwig gern zu. „Natürlich ist man neugierig, und sicher weiß er das auch.“ Aber für mehr reiche der Name wiederum auch nicht. Geschäfte würden aufgrund von Fakten beschlossen. (vsz)