BlackBerry Z10 im ersten Test: RIM schafft den Anschluss

RIM sucht Anschluss: Das Smartphone Z10 mit der neuen Betriebssystem-Version BlackBerry 10 soll es richten. Tatsächlich machen Hardware und Software einen guten Eindruck, in einem Punkt überholt RIM gar die Konkurrenz.

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BlackBerry Z10: flach, schwarz. MicroUSB- und (selten bei Smartphones) MicroHDMI-Buchsen liegen links.

Die BlackBerrys sind seit einem Jahrzehnt im Geschäftsleben etabliert, grundsolide Messaging-Geräte mit der besten Mobiltastatur, zuverlässig – aber langweilig: Die Anwender wollen mehr, coolere Geräte und Inhalte, mehr Sexappeal. Dieser Wunsch wurde unter der Ägide des Gründers und CEOs Mike Lazaridis nie erfüllt. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps.

Seit einem Jahr leitet nun der deutsche Thorsten Heins das Unternehmen RIM, das in Zukunft nur noch unter Blackberry firmieren wird. Heins möchte möchte die Devise von Lazaridis ändern, die neue Plattform BlackBerry 10 soll den Rückgang der Nutzerzahlen stoppen und verlorene BlackBerry-Fans zurückgewinnen. BlackBerry 10 soll zeitgemäßer sein, ist weniger auf eine Provider-Infrastruktur angewiesen und kommt mit einer Besonderheit: der perfekten Trennung von privaten und geschäftlichen Anwendungen und Daten. Davon bekommt der Kunde aber erst etwas mit, wenn er sich unter die Fittiche von RIMs EMM (Enterprise Mobile Management) begibt. Dann erscheint ein abgeschlossener Geschäftsbereich, in dem seine Firma regiert. Der private Bereich bleibt von all diesen Richtlinien frei. Das kann bisher kein anderer Anbieter.

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Doch der Reihe nach. Das erste neue Smartphone mit BlackBerry 10 sieht auf den ersten Blick aus wie ein iPhone 5: Touchscreen, keine Tastatur, flach, abgerundete Ecken. Stünde statt BlackBerry Samsung drauf, müsste man sich Sorgen machen. BlackBerry Z10 heißt die Flunder. Für Freunde der BlackBerry-Tastatur soll es bald auch das Q10 in traditioneller, ans BlackBerry Bold entlehnter Bauform geben. Was beiden bleibt, ist die rote LED, die als Markenzeichen von BlackBerry auf neue Nachrichten hinweist.

Auf dem Sperrbildschirm sieht man den nächsten Termin und die Zahl der eingegangenen Mails, Tweets, Anrufe & Co.

Das Z10 ist ähnlich leicht wie ein iPhone 5, aber größer: Der 4,2-Zoll-Touchscreen zeigt 1280 × 768 Punkte, das sind 355 dpi (etwas mehr als das iPhone 5, weniger als die 5-Zöller mit Full-HD). Auf der Oberseite gibt es mittig einen Einschalter, links davon die Headset-Klinke. Auf der rechten Seite drei Knöpfe für laut, Sprachsteuerung und leise. Links zwei Anschlüsse für MicroUSB und MicroHDMI. Nach Abnehmen der sehr griffigen Rückseite findet man einen auswechselbaren 1800-mAh-Akku, den MicroSIM-Slot und einen MicroSDHC-Einschub (max. 32 GByte). Die übrige Hardware: Ein Zweikern-Prozessor mit 1,5 GHz, 2 GByte Arbeitsspeicher, 16 GByte Flash, zwei Kameras (8 MP/1080p auf der Rückseite, 2 MP/720p an der Front), NFC, Bluetooth 4.0, 11n-WLAN (Dualband), LTE mit den in Deutschland üblichen Bändern. Das liegt alles auf wenig überraschendem Oberklasse-Niveau.

Bedient wird es mit Wischgesten vom Rand des Bildschirms. Von oben erreicht man das Menü, von unten verkleinert man die aktive Anwendung als Kachel und öffnet eine Übersicht der gestarteten Apps. Von dieser Übersicht aus geht es mit einer Geste von links zum zentralen Nachrichten-Sammler BlackBerry Hub, von rechts zieht man das Startmenü herein, also die Liste aller installierten Apps. Das hat man schnell gelernt, aber man sollte sich das Tutorial kurz anschauen, das bei der Neueinrichtung gezeigt wird. An dieser Stelle muss man eine BlackBerry-ID einrichten, so wie bei Apple, Android oder Windows Phone.

Anders als die alten Versionen arbeitet BlackBerry 10 autark: Kein BlackBerry Internet Service (BIS) ist nötig, kein BlackBerry-Service vom Provider, keine provisionierte SIM. Das Gerät richtet den Zugangspunkt des Providers ein und verbindet sich wie alle anderen Smartphones direkt mit dem Internet. Bei der Einrichtung des Mail-Kontos muss man lediglich Adresse und Kenntwort eingeben, den Rest erledigt die Software; man kann aber auch selbst Hand anlegen und die Dienste einzeln konfigurieren. Gibt man etwa eine Gmail-Adresse ein, dann richtet sie automatisch drei Konten ein: IMAP für die Mail, CardDAV für die Kontakte, CalDAV für den Kalender – vorbildlich.

Ab Werk sind Twitter, Facebook, LinkedIn und Evernote installiert, aus dem Appstore BlackBerry World kann man zum Beispiel Google Talk nachrüsten. Diese Services existieren nicht einfach nur als Apps nebeneinander, sondern sind ins System eingebettet: So tauchen etwa alle Kalender in einer gemeinsamen Ansicht auf, Nachrichten aus Facebook und LinkedIn erscheinen bei den Mails, aus der Notizbuch-App Remember heraus greift man auf seine Evernote-Notizen zu, Dropbox-Dateien tauchen im Filemanager auf. RIM spricht bei diesem Zusammenwirken aller Komponenten vom BlackBerry Flow.

Im Geschäftsleben ist Microsoft Exchange als integrierte Mail- und Kalenderlösung verbreitet. Wie auch andere Smartphones nutzt BlackBerry 10 nun das Exchange ActiveSync-Protokoll für den Zugriff auf diese Server. Man braucht also keinen BlackBerry Enterprise Server mehr. Auch auf Lotus Domino wird man über Lotus Traveler in der gleichen Art zugreifen. Setzt der Admin auf dem Exchange-Server Policies wie etwa eine Passwort-Richtlinie, oder löscht er ein Gerät aus der Ferne, unterscheidet sich BlackBerry 10 nicht von anderen Smartphones.

Nach oben Wischen öffnet eine Übersicht der gestarteten Apps, dann ein Wisch nach rechts, und schon sieht man die aus allen Kanälen eingegangenen Nachrichten.

Für eine konsequente Trennung privater und geschäftlicher Daten muss in der Firma der neue BlackBerry Enterprise Service 10 (BES 10) laufen. Der wird nach Zugriffsberechtigungen (CALs) lizenziert, für alte BES-Lizenzen gibt es ein Trade-Up. Eine kostenlose 60-Tage-Lizenz ermöglicht den Test.

Beim BES 10 provisioniert der Admin ein Mailkonto vom internen Server, der nicht im Internet sichtbar sein muss. Der BES verbindet sich mit der BlackBerry-Infrastruktur von RIM, das Smartphone des Anwenders ebenfalls – dessen SIM-Karte muss entsprechend berechtigt sein. Für den Anwender ist die Provisionierung eine einfache Veranstaltung: Er richtet ein Konto ein und gibt seine Business-Mailadresse und das vom Admin mitgeteilte Aktivierungskenntwort ein. Den Rest verhandeln dann BES 10 und BlackBerry-Endgerät.

Das kennt man so auch von den alten BlackBerrys, neu ist die Architektur: Der bisherige BES 5 hat eine Synchronierungskomponente, die Exchange-Nachrichten mit dem BES abglich. Beim BES 10 entfällt das, er routet den Traffic des Endgeräts einfach an den Exchange-Server. BES10 und Endgerät bauen über die BlackBerry-Infrastruktur einen sicheren Tunnel auf, der Mailserver bleibt nur intern sichtbar, aber das Endgerät spricht direkt mit dem Mailserver. Im Ergebnis ist BES 10 damit auf viel höhere Nutzerzahlen skalierbar, weil er weniger zu tun hat. Ein zweiter Vorteil: Beim BES 5 gab es nur ein Endgerät pro Anwender, beim BES 10 entfällt diese Beschränkung.

Der Knackpunkt dieser Lösung ist die notwendige Provisionierung der SIM-Karte für den Zugang zur BlackBerry-Infrastruktur. Hier steuert der Carrier, der mit RIM eine Geschäftsbeziehung hat, bei der RIM für die Nutzung seiner Infrastruktur Geld sehen will. Und hier ist noch nicht klar, wie das funktionieren wird. Wenn die neuen Smartphones kommen – vielleicht im März zur CeBIT –, dann wird man sehen, was bei den Verhandlungen herausgekommen ist.

Auch RIMs Nachrichtendienst BBM (BlackBerry Messenger) hängt dummerweise von der gleichen Provisionierung ab – ohne Zugriff auf die BlackBerry-Infrastruktur funktioniert BBM einfach nicht, und an dieser Stelle steht ein Kassenhäuschen zwischen Carrier und RIM. Hier stellt sich RIM potentiell selbst ein Bein, denn die vorwiegend privaten Nutzer des BBM werden nicht bereit sein, dafür Geld zu zahlen, zumal es reichlich Alternativen wie Facebook Messenger oder Whatsapp gibt. Auch wenn BBM nun kostenlose Voice- und Videocalls anbietet, so bleibt das eine geschlossene Lösung, die nur mit anderen BlackBerry-Nutzern funktioniert.

Hat man das Smartphone am BES 10 angemeldet, kommt der größte Vorteil von BlackBerry 10 zum Tragen: BlackBerry Balance, die Trennung privater und geschäftlicher Daten, die in dieser Form iOS, Android und Windows Phone nicht bieten. Das Smartphone errichtet einen sicheren Bereich (Perimeter genannt), in dem Business-Anwendungen und -Daten abgelegt werden. Der Admin legt beispielsweise fest, wie dieser Bereich geschützt wird, welche Policies gelten und welche Anwendungen automatisch installiert werden. Die Trennung geht bis ins Dateisystem; an der Oberfläche gibt es zwei verschiedenen Reiter für private und geschäftliche Anwendungen.

Schützt das Unternehmen seine Daten mit einem Kennwort, dann muss der Anwender es nur eingeben, wenn er die geschäftlichen Apps nutzen will. Diesen Bereich kann er aufschließen und wieder absperren. Wer seine privaten Daten ebenfalls mit einem Kennwort schützen will, der kann das gleiche Passwort als Gerätekennwort nutzen, das man bei jedem Einschalten eingeben muss. Wer weniger Wert auf Sicherheit und mehr auf Bequemlichkeit legt, kann den privaten Bereich offen lassen.

Beim Tippen erscheinen Wort-Vorschläge über den Anfangsbuchstaben der Tastatur, von wo aus man sie in den Text schnippt.

Auch einige kleinere Gimmicks bekommt man bei der Konkurrenz nicht. Dazu gehört die Bildschirmtastatur – RIM hat ja stets Wert auf eine gute Tastatur-Lösung gelegt, was wie beim Bold und Curve mal gut, aber wie beim Storm auch mal schlechter funktioniert hat – mit einer so noch nicht gesehenen Vorschlagsfunktion: Während man tippt, tauchen über verschiedenen Buchstaben der virtuellen Tastatur Vorschläge auf, die man mit dem Finger in den Text schnippst. Mit der Zeit kommen bessere Vorschläge, weil das Gerät lernt, was man häufiger schreibt. Bei den gut trainierten Demo-Geräten mussten wir fast gar nichts mehr außer dem ersten Buchstaben tippen. Der Clou: Das funktioniert in bis zu drei Sprachen gleichzeitig. So kann man das typische Business-Denglisch tippen, ohne die Sprache zu wechseln.

Die Kamera bietet einige gute Lösungen. So gibt es eine Voreinstellung für das typische Business-Szenario "Abfotografieren von Whiteboards". Bei der Aufnahme von Menschengruppen erkennt die Kamera Gesichter und komponiert (ähnlich wie das Nokia Lumia) aus einer schnellen Serie von Aufnahmen das beste Bild, in dem man zunächst die beste Totale wählt und dann die Gesichter so zusammenstellt, dass gerade keiner doof guckt oder blinzelt. Die Photo-App kann Bilder editieren, mit Filtern aufhübschen und einrahmen. Wer mehr erzählen will als in ein Bild passt, findet mit dem Story Maker eine Anwendung, die aus Photos und Videos eine Geschichte zusammenschneidet und mit Musik unterlegt.

Den Bereich Navigation deckt das Z10 mit einer eigenen Anwendung ab, die Karten, POIs und Verkehrsdaten von TomTom nutzt. Dazu gibt es noch einen schicken Kompass mit Geokoordinaten, mit dem man auch zu Fuß durch's Gelände stolpern kann. Da die Karten im Vektorformat übertragen werden, benötigen sie nur wenig Übertragungsvolumen; vorab herunterladen lassen sie sich anscheinend nicht.

Schließt man das Z10 an einen PC oder Mac an, dann installieren diese zunächst Treiber, die eine Netzwerkverbindung zwischen BlackBerry und Computer herstellen. Die Speichermedien lassen sich dann über USB oder auch WLAN direkt bearbeiten. Dazu gibt es eine neue Software namens BlackBerry Link, die Multimedia-Dateien zwischen Computer und BlackBerry synchronisiert.

Das BlackBerry Z10 ist ein leistungsfähiges Smartphone, das sich hinter keinem Konkurrenten verstecken muss. Erstmals seit vielen Jahren hat RIM die Konkurrenz eingeholt, und sogar überholt: BlackBerry 10 bietet das Alleinstellungsmerkmal, private und geschäftliche Daten perfekt zu trennen. Das funktioniert aber nur, wenn das Unternehmen einen BlackBerry Enterprise Service 10 einsetzt und die SIM-Karten entsprechend provisionieren lässt. Wie gut das BlackBerry Z10 bei Privatkunden ankommt, hängt auch vom Content ab, also vom Angebot an Apps, Musik, Filmen, Zeitschriften und Spielen.

Update 4.2.: In der ersten Textfassung stand, dass das Z10 leichter als ein iPhone 5 ist. Das stimmt nicht: Das iPhone 5 wiegt 112 Gramm, das Z10 138 Gramm. (jow)