Sachverständige streiten sich über Leistungsschutzrecht

In der Bundestagsanhörung zu dem Regierungsentwurf für das Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse prallten Expertenmeinungen frontal aufeinander.

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In der Bundestagsanhörung zum Regierungsentwurf für ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger, die vorab ein heftiges Lobbygetöse ausgelöst hatte, prallten am Mittwoch Expertenmeinungen frontal aufeinander. Das Vorhaben sei "verfassungsrechtlich geboten", befand etwa Jürgen Ensthaler, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Technikrecht an der TU Berlin. Der "investierte Gewerbefleiß" der Herausgeber müsse geschützt und verhindert werden, dass Artikel "Eins-zu-Eins" in Suchmaschinen oder ähnlich arbeitende Newsdienste übernommen werden.

Rolf Schwartmann von der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht verwies auf den Grundsatz der Gleichbehandlung und bezeichnete es als "verfassungsrechtlich nicht haltbar", wenn Presseverlagen ein Leistungsschutzrecht verwehrt werde. Schließlich bestünden vergleichbare Privilegien bereits etwa für Tonträger- und Filmproduzenten sowie die Erzeuger von Datenbanken.

Auch aus ordnungspolitischen Gründen müsse der Gesetzgeber dafür sorgen, dass ein Markt für Verlegerleistungen entsteht. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die etwa mit der Paperboy-Entscheidung Suchmaschinen erlaubt, kleine Textauszüge in Form sogenannter Snippets anzuzeigen, ist für Schwartmann dagegen "nicht mehr hundertprozentig anwendbar". Die Technik sei inzwischen deutlich fortgeschritten.

Der Berliner Rechtsanwalt Till Kreutzer hält das geplante Leistungsschutzrecht für verfassungswidrig. Die Interessen der Verlage müssten gegen die der Nutzer und der Allgemeinheit abgewogen werden. Der Regelungsbedarf sei nicht zu erkennen, es gebe keinerlei Anhaltspunkte, dass der Markt nicht funktioniere. So könnten Verlage ihre Angebote von sich aus jederzeit aus Suchmaschinen heraushalten, doch das werde kaum getan. Ansonsten erzeugten viele schwammige Begriffe auf Jahre hinweg Rechtsunsicherheit. So sei etwa unklar, ob etwa auch Twitter oder Facebook unter das Gesetz fielen. Insgesamt werde es auf eine "Lex pro Google und pro Springer" hinauslaufen, da alle anderen Marktbeteiligten unter dem neuen Schutzrecht extrem leiden dürften.

"Was ist eine 'presseähnliche Veröffentlichung'", verwies der Göttinger Medienrechtler Gerald Spindler ebenfalls auf eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe im Entwurf. Offen bleibe auch, ob etwa der Wetterbericht oder Börsenwerte unter das neue Schutzrecht fielen. Von einer staatlichen "Schutzpflicht" zu sprechen gehe "absolut zu weit". Das Vorhaben beiße sich zudem mit dem Pressespiegelparagraphen im Urheberrechtsgesetz, wonach eine "öffentliche Wiedergabe" von Nachrichten aus der Presse "unbeschränkt zulässig" sei. Sollten die Abgeordneten trotz der Bedenken auch zahlreicher Urheberexperten das Gesetz verabschieden, so müsse deren Gültigkeit zumindest befristet werden.

Als "schädlich für den Medienstandort Deutschland" bezeichnete der Düsseldorfer Wirtschaftswissenschaftler Ralf Dewenter das Vorhaben. Verlage stünden damit nicht mehr unter dem Druck, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die Herausgeber kleinerer Blätter dürften von dem geplanten Recht aber nicht profitieren, sondern eher "massenkompatible Inhalte". Google würde angesichts zu zahlender Lizenzgebühren nämlich voraussichtlich nur noch "das verlinken, was extrem viele Leute interessiert". Der vielbeschworene Qualitätsjournalismus werde so nicht gefördert.

Thomas Stadler, Freisinger Fachanwalt für IT-Recht, verwies auf einen "unauflösbaren dogmatischen Widerspruch" im Entwurf. Falls ein freier Journalist einen gleich lautenden Text an drei verschiedene Verlage gebe und diesen einfache Nutzungsrechte einräume, müssten bei allen drei Leistungsschutzrechte entstehen. Dies sei mit dem vorgesehenen "Ausschlussrecht" aber nicht möglich. Unvereinbar sei das Leistungsschutzrecht auch mit den Haftungsprivilegien für Diensteanbieter nach der E-Commerce-Richtlinie der EU, da eine unbeschränkte originäre Verantwortlichkeit von Suchmaschinen für Presseerzeugnisse etabliert würde. Generell sei eine schützenswerte verlegerische Leistung bei Snippets nicht erkennbar.

Der Technikrechtler Ensthaler tat viele der vorgebrachten Einwände als konstruiert ab. Er zeigte sich zuversichtlich, dass weiterhin "jeder frei Informationen aufsuchen, verarbeiten und wieder öffentlich zugänglich machen kann". Anerkannte Geschäftsmodelle von Internet-Navigatoren dürften nicht in ihrer Kernfunktion beeinträchtigt werden, Links blieben ohnehin zulässig. Vergleichbar etwa zum Softwareschutz könne der Gesetzgeber aber letztlich "nur die Richtung vorgeben".

Christoph Keese, "Außenminister" von Axel Springer, signalisierte, dass doch ein paar Gemeinsamkeiten zwischen allen Seiten zu erkennen seien. "Überschrift, Fundstelle und Autor" dürften in jedem Fall übernommen werden. Die Länge eines Auszugs aus einem Pressetext sei nicht entscheidend, sondern die Aufbereitungsform eines aus fremden Quellen gespeisten Nachrichtenangebots. Stille dieses das Informationsinteresse in der Mittagspause auf einen Blick, sei dies viel problematischer als etwa über soziale Netzwerke verteilte Verweise auf Presseerzeugnisse. Schließlich erstrecke sich die durchschnittliche Nutzungszeit für Nachrichten pro Tag auf dreimal je 90 Sekunden. Einhalt geboten werden soll so laut Keese einer "florierenden Branche von Aggregatoren, die Verlagsinhalte abgreift".

Der Vorsitzende des federführenden Rechtsausschusses, Siegfried Kauder, sah den vorab von ihm als "Mogelpackung" bezeichneten Entwurf zeitweilig in dem Gremium als "fehl am Platz" an. Im Kern drehe sich alles um die einfache wirtschaftspolitische Frage: "Die einen wollen Geld, die anderen nicht zahlen." Offenbar erreiche man mit dem Gesetz gar nichts, sinnierte der CDU-Politiker an anderer Stelle. Schließlich versicherte er, dass die Abgeordneten die Anregungen der Experten noch ausführlich reflektieren würden. Der FDP-Netzpolitiker Jimmy Schulz zog als Fazit, dass die Beteiligten trotz dreistündigem Austausch von Argumenten weiterhin verunsichert seien, daher sei "mehr Zeit" für das weitere Verfahren nötig. (anw)