Abschied vom Wahlgeheimnis

Obamas Wiedereinzug ins Weiße Haus im November 2012 wurde als Sieg der Datenanalysten gefeiert. Barack Obamas Wahlkampfteam war es gelungen, mithilfe von Big-Data-Analyse die Wähler individuell zu motivieren.

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Von
  • Sasha Issenberg

Obamas Wiedereinzug ins Weiße Haus im November 2012 wurde als Sieg der Datenanalysten gefeiert. Barack Obamas Wahlkampfteam war es gelungen, mithilfe von Big-Data-Analyse die Wähler individuell zu motivieren.

Im Jahr 2010, zwei Jahre nach Barack Obamas erster Wahl zum Präsidenten, erlitten die Demokraten ihre schlimmste Niederlage seit Jahrzehnten. In den Zwischenwahlen – den jeweils nach der Hälfte der Amtszeit eines US-Präsidenten stattfindenden Kongress- und Senatswahlen – wurden die Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses hinweggefegt. Die Kontrolle über das Repräsentantenhaus wechselte zum Gegner, die Mehrheit im Senat schrumpfte auf einen schmalen Vorsprung. Dan Wagner hatte die Misere kommen sehen. Der Direktor des Wahlkampfkomitees der Demokraten (DNC) war seit 2009 im Amt und für das Sammeln und Analysieren von Wählerdaten verantwortlich. Die Informationen sollten dem Wahlkampfkomitee helfen, einzelne Wähler gezielt per Brief oder Telefon anzusprechen. Wagner erkannte, dass die Rohdaten, mit denen er seine Statistikprogramme fütterte, so viel über die Wähler verrieten, als hätte er eine ganze Serie von Umfragen zu Einstellungen und Präferenzen der Wähler gemacht. Er bat die IT-Abteilung des DNC, eine Software zu entwickeln, mit der er die Informationen in übersichtliche Tabellen umwandeln konnte. Das Ergebnis nannte er Survey Manager. Mit diesem Instrumentarium prognostizierte Wagner vor den Zwischenwahlen für einige ausgewählte Senatsposten und 74 Kongress-Wahlbezirke Wahlergebnisse. Sie sollten sich als sehr präzise erweisen.

Wagners Erfolg bedeutet jedoch weit mehr als lediglich eine präzise Vorhersage. Sein Ansatz brach mit den Methoden der Meinungsforschung des 20. Jahrhunderts, bei der kleine, isolierte Datenproben die Gesamtheit repräsentieren sollten. Wagner kam aus einer Analysten-Schule, die Wähler als Individuen betrachtet und so lange Informationen über ihre Ansichten und ihr Verhalten sammelt, bis sich für jeden ein umfassendes Bild ergibt. Seine Techniken reduzierten Personen nicht mehr auf die von Call-Centern abgefragten demografischen Merkmale wie Alter oder Geschlecht. Sondern er sah in ihnen eine Gruppe individueller Bürger, von denen jeder entsprechend seiner Eigenschaften angesprochen werden konnte.

In einem ersten Schritt zog Wagners Team die während des ersten Wahlkampfes gesammelten Daten heran. Obamas Analysten hatten jeden Wähler über Telefonumfragen wie folgt eingeteilt: die Wahrscheinlichkeit, dass er überhaupt zur Wahl ging, und seine Bereitschaft, Obama zu wählen. Diese Merkmale verknüpften sie algorithmisch mit einer ganzen Reihe anderer Eigenschaften der jeweiligen Person – gewonnen aus Wählerregistrierungen, Kundenkarteien und früheren Wahlkampagnen.

Obamas Wahlkampfteam begann das Wahljahr 2012 daher in dem Bewusstsein, jeden der 69456697 Amerikaner, die den Präsidenten vier Jahre zuvor ins Weiße Haus gebracht hatten, namentlich zu kennen. Die Wähler hatten durchaus geheim abgestimmt. Doch Obamas Analysten betrachteten die Gesamtstimmen der Demokraten in jedem Bezirk und identifizierten all diejenigen, die ihn mit großer Wahrscheinlichkeit unterstützt hatten. Genau die gleiche Wählerkoalition wollten die Wahlkämpfer Stimme für Stimme für Obamas Wiederwahl durch persönlichen Kontakt wieder herstellen. (kd)