Konservieren mit Viren

Ähnlich wie bei Bakterien gibt es auch unter Viren rechtschaffene Spezialisten. Diese Phagen töten schädliche Bakterien ab und dienen Lebensmittelherstellern als nebenwirkungsfreie Schutzmittel.

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Von
  • Bettina Hofer

Ähnlich wie bei Bakterien gibt es auch unter Viren rechtschaffene Spezialisten. Diese Phagen töten schädliche Bakterien ab und dienen Lebensmittelherstellern als nebenwirkungsfreie Schutzmittel.

Viren auf Käse klingt dramatisch. Tatsächlich ist ihr Einsatz in der Lebensmittelherstellung gang und gäbe: Sie machen unser Essen gesünder – und damit das genaue Gegenteil dessen, was jeder erwarten würde. Den meisten Menschen sind Viren nur als Krankheitserreger bekannt. Doch ähnlich wie es bei Bakterien auch rechtschaffene Arten gibt – die etwa der Joghurt-Herstellung dienen –, so haben auch Viren gutartige Spezialisten in ihren Reihen: Die Bakteriophagen, oft auch "Bakterienfresser" genannt, befallen ausschließlich Bakterien und sind für Menschen und Tiere harmlos. Damit können sie gesundheitsgefährdende Keime auf dem Essen abtöten.

Nun kommen immer mehr Produkte mit den gutartigen Viren auf den Markt. "Bakteriophagen sind in der deutschen Lebensmittelindustrie seit einiger Zeit gut etabliert", sagt Martin Loessner von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, der selbst Listerien und deren Phagen erforscht. Lebensmittelhersteller interessieren sich besonders für diejenigen unter ihnen, die Listerien, Salmonellen oder krankmachende Varianten von Escherichia coli abtöten.

Lebensmittelinfektionen mit Listeria monocytogenes etwa zählen zu den gefährlichsten und haben häufig einen schweren Verlauf. 30 Prozent der Infizierten sterben sogar. Besonders gefährdet sind Schwangere und deren ungeborene Babys, sehr junge, alte und immungeschwächte Menschen. Am häufigsten kommen Listerien auf Rohmilchprodukten, Räucherlachs, verzehrfertig abgepackten Lebensmitteln wie Fertigsalaten oder Wurst- und Fleischaufschnitt sowie Bioprodukten vor.

Bei einigen dieser Produkte kommen klassische Konservierungsmittel nicht infrage, weil etwa eine Hitzebehandlung das Lebensmittel schädigen würde oder chemische Zusätze unerwünscht sind.

In diesen Fällen können Phagen den Bakterienbefall gezielt bekämpfen. Zwei Mittel gegen Listerien befinden sich bereits dem auf Markt. Das vom US-Unternehmen Intralytix angebotene "ListShield" enthält einen Cocktail aus sechs spezialisierten Phagen. Das zweite Mittel, "Listex P100", entwickelt vom niederländischen Unternehmen Micreos, ist gewissermaßen ein Breitband-Phage. Er tötet alle für den Menschen gefährlichen Listeria-Arten ab.

Die Phagen-Behandlung muss bereits früh in der Verarbeitung erfolgen. Denn da Listerien auch bei niedrigen Temperaturen langsam weiterwachsen, kann sich eine zunächst unbedenkliche Menge selbst bei intakter Kühlkette rasch vermehren. Die Listex-Phagen werden etwa bei der Herstellung von Weich- und Rotschmierkäse der Lake zugegeben, mit der die Käseoberfläche wiederholt eingestrichen wird. Beide Mittel töten nur Listerien ab, nicht aber die fürs Reifen wichtigen Bakterien, Schimmelpilze und Hefen. Würstchen und Fleischprodukte dagegen passieren vor dem Verpacken einen Sprühnebel aus Phagen, genauso wie Wurst- oder Bratenaufschnitt während des Schneidens.

Daneben sind auch Phagen-Mittel gegen krankmachende Arten des Darmbakteriums Escherichia coli (EcoShield von Intralytix) sowie gegen Salmonellen (SalmoFresh von Intralytix und Salmonelex von Micreos) bereits auf dem Markt oder werden für die Zulassung geprüft. Die dienstbaren Viren als "mikrobiologische Schädlingsbekämpfer" einzusetzen sei unbedenklich, sagt Loessner. Zum einen "spielen sie im Endprodukt keine aktive Rolle mehr". Zum anderen haben sie sich im Verlauf der Evolution auf Bakterien spezialisiert und sind schon lange überall dort zu finden, wo auch ihre Wirte leben: zum Beispiel auch auf der menschlichen Haut, im Darm und auf anderen Schleimhäuten. Der Mikrobiologe schätzt, dass "wir täglich Milliarden von Phagen über Getränke und Speisen zu uns nehmen".

Unverträglichkeiten oder Allergien hätten sich bisher nicht gezeigt und seien angesichts der langen Koexistenz auch nicht zu erwarten. Darüber hinaus sei die Rate der Resistenzbildung gegen Phagen so niedrig, dass sie praktisch keine Rolle spiele. Offen mit dem Phagen-Einsatz umgehen mögen die Hersteller aber lieber nicht. Laut Micreos-Geschäftsführer Mark Offerhaus zählt unter anderem "einer der weltgrößten Lebensmittelhersteller" zu den langjährigen Kunden des Unternehmens.

Die Namen seien jedoch vertraulich, weil die Verbraucher deren Produkte dann womöglich mit den problematischen Listerien und nicht mit der keimtötenden Wirkung in Verbindung bringen. Martin Loessner kann die Bedenken verstehen: Eine simple Deklaration "würde die Verbraucher möglicherweise verunsichern". Es braucht vielleicht mehr Erklärung, aber die Mühe wäre es wert. (bsc)