Die nächste Reaktor-Vision

Transatomic Power, eine MIT-Ausgründung, will einen verbesserten Flüssigsalz-Reaktor entwickeln, der halb so teuer ist wie herkömmliche Kernkraftwerke. Kann das klappen?

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Von
  • Kevin Bullis

Transatomic Power, eine MIT-Ausgründung, will einen verbesserten Flüssigsalz-Reaktor entwickeln, der halb so teuer ist wie herkömmliche Kernkraftwerke. Kann das klappen?

In der Bundesrepublik ist die Kernenergie derzeit politisch mausetot. Alles dreht sich nun um die Energiewende. Nicht so in den USA: Die MIT-Ausgründung Transatomic Power entwickelt einen Reaktor, mit dessen Hilfe sich die Gesamtkosten für den Neubau eines Kernkraftwerks halbieren sollen. Die Konstruktion ist eine Weiterentwicklung des Flüssigsalzreaktors, der ursprünglich in den 1960er Jahren am Oak Ridge National Laboratory entwickelt worden war. Ein Prototyp wurde damals für sechs Jahre betrieben, doch die Technologie wurde anschließend nie kommerzialisiert.

Bislang existiert das neue Konzept auf dem Papier. Wenn es funktioniert, würde es 20 Mal so viel Energie liefern wie der Oak-Ridge-Prototyp. Damit ließen sich dann kleinere, aber leistungsstarke Reaktoren errichten, die sogar per Bahn transportiert werden könnten. Bislang werden Kernreaktoren auf dem Kraftwerksgelände montiert. Zudem soll der neue Reaktor mit dem radioaktiven Abfall anderer Kraftwerke betreibbar sein.

Obwohl es in den USA und anderen Ländern Pläne für neue AKWs gibt, ist bislang außer in China, Finnland und Frankreich nirgendwo mit dem Bau begonnen worden. Ein Grund sind die hohen Baukosten. Für den Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) etwa werden sie mit mindestens drei Millionen Euro pro Megawatt installierter Leistung veranschlagt – was für einen EPR mit 1600 Megawatt eine Rechnung von fast fünf Milliarden Euro ergibt.

Einige Firmen versuchen seit längerem, kleinere Konstruktionen im 200-Megawatt-Bereich zur Marktreife zu bringen. Der Reaktor von Transatomic Power ist immerhin für 500 Megawatt ausgelegt. Die Gesamtkosten veranschlagt die Firma mit rund 1,7 Milliarden Dollar. Bislang hat sie eine Million Dollar Wagniskapital eingesammelt, unter anderem von Investor Ray Rothrock.

Die Firmengründer Mark Massie und Leslie Dewan sind derzeit noch Doktoranden am MIT. Doch hat ihr Konzept bereits namhafte Größen aus der amerikanischen Kernenergie-Szene beeindruckt, darunter Regis Matzie, Vorstand des Reaktorbauers Westinghouse Electric, und Richard Lester, Leiter der Kerntechnik-Abteilung des MIT.

Neben der einfacheren Bauweise sollen auch neue Sicherheitsvorkehrungen die Kosten senken, weil mit ihnen weniger Stahl und Beton verbaut werden müssten als in heutigen Reaktoren. Außerdem würde das Kühlmittel im Kühlkreislauf unter Atmosphären- und nicht unter Hochdruck zirkulieren.

In einem herkömmlichen Druckwasserreaktor siedet das Kühlwasser im ersten Kreislauf weit unterhalb von 2000 Grad Celsius im Reaktorkern. Wird der Reaktor heruntergefahren, muss beständig Kühlwasser hinzugeführt werden. Kommt es nicht mehr nach, so wie in Fukushima 2011, wird nach einer Weile Wasserstoff freigesetzt, der sich entzünden und Explosionen auslösen kann, bis im schlimmsten Fall die Kernschmelze beginnt.

Flüssigsalz als Kühlmittel soll dieses Problem lösen. Sein Siedepunkt ist deutlich höher als die Betriebstemperatur des Brennstoffs. Der ist im Salz verteilt, genauer gesagt: Bestandteil der Salzmischung, zum Beispiel als Uranfluorid UF4. Heizt sich das Flüssigsalz stärker auf als vorgesehen, dehnt es sich aus und verteilt damit den Brennstoff. Folge: Die Kernspaltung verlangsamt sich, die Temperatur beginnt zu sinken. Die Konstruktion ist gewissermaßen ein nuklearer Thermostat.

Im Falle eines Stromausfalls schmilzt eine Barriere am Boden des Reaktorkessels durch. Die Mischung aus Flüssigsalz und Brennstoff fließt in ein darunterliegendes Auffangbecken. In diesem Fall stoppt die Kettenreaktion, weil der Brennstoff zu weit verteilt ist, um noch eine kritische Masse bilden zu können. Die Salzmischung erstarrt irgendwann und schließt damit radioaktive Spaltprodukte ein. „Das ist so sicher, da können Sie währenddessen weggehen“, sagt Dewan.

Er und sein Kollege haben nun die Geometrie des Reaktors verändert. Außerdem wollen sie andere Materialien verwenden. Mit Details ist Transatomic Power bislang aber sehr sparsam. Bekannt ist nur, dass sie auf Graphit als Moderator verzichten wollen. In den Brennelementen des Oak-Ridge-Reaktors machte das Graphit 90 Prozent des Materials aus. Als weitere Neuerung soll der Reaktor schnellere Neutronen produzieren und damit den Kernbrennstoff gründlicher abbrennen.

Dadurch würde weniger hochradioaktiver Abfall entstehen. In einem herkömmlichen Reaktor sind es rund 20 Tonnen pro Jahr. Dieser Teil des Abfalls müsste für mindestens 100.000 Jahre unzugänglich gelagert werden. Der Transatomic-Reaktor soll hingegen nur vier Kilogramm pro Jahr produzieren. Hinzu kämen 250 Kilogramm schwächer radioaktive Abfälle, deren Lagerzeit nur einige Hundert Jahre betragen würde.

Ob Transatomic Power die Konstruktion zum Laufen bringen und verkaufen kann, ist noch nicht klar. Die US-Kernenergiebehörde NRC lässt derzeit nur Leichtwasser-Reaktoren zu. Die Firma müsste also einen eigenen Zulassungsprozess bei der NRC bekommen. Die wiederum müsste davon überzeugt werden, dass die Sicherheit trotz geringerer Stahl- und Betonbarrieren gewährleistet ist.

Die Behörde habe das Konzept von Transatomic Power wohl wahrgenommen, sagt NRC-Sprecher Scott Burnell, aber die Konstruktion sei bisher nicht zur Prüfung eingereicht worden. In den kommenden Jahren konzentriere sich die NRC auf konventionellere Konzepte für kleine modulare Reaktoren. Um den Transatomic-Reaktortyp zu zertifizieren, seien mindestens fünf Jahre nötig. Nicht eingerechnet sind weitere Prüfungen, wie der radioaktive Abfall entsorgt werden soll.

Allerdings muss Transatomic Power erst einmal eine detailierte Konstruktion ausarbeiten. Das Start-up will nun Geldgeber für fünf Millionen Dollar finden, um das Grunddesign experimentell überprüfen zu können. Transatomic-CEO Russ Wilcox – ehemals Chef von EInk – schätzt, dass der Bau eines Reaktor-Prototyps acht Jahre dauern wird. Kosten: 200 Millionen Dollar.

Selbst wenn die Investoren ihr Geld erst nach zehn Jahren zurück bekämen, müsse das Wagniskapitalgeber nicht abschrecken, sagt Investor Rothrock. „Es ist nicht die Technik, die mir Kopfzerbrechen macht. Ich habe volles Vertrauen in die Leute. Ich wünschte nur, das Ding würde endlich gebaut. All die anderen Faktoren beschäftigen mich.“ Noch ein Faktor ist China. Dort wird derzeit mit einem Budget von 350 Millionen Dollar über fünf Jahre ein Flüssigsalz-Reaktor von zwei Megawatt entwickelt. Der Test-Reaktor soll 2020 laufen. Es könnte sein, dass Transatomic Power diesen Wettlauf verliert.

(nbo)