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Was war. Was wird. (Sonderausgabe)

Ein Artikel in c't hat viele, viele Leserinnen und Leser provoziert und ihnen den Glauben an das Gute im IT-Journalisten genommen. Ihnen zu Ehren folgt eine Collage aus den Leserbriefen und den Gratulations- und Kritik-Mails, die die Redaktion erhielt.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Was? Ist schon wieder Sonntag? Gemach, gemach, dies ist eine WWWW-Sonderausgabe zu einem Aprilscherz, die am 1. April ganz ohne jeden Aprilscherz erscheint. Denn die Lage ist zu ernst, um darüber Witze zu machen. Ein Artikel in c't hat viele, viele Leserinnen und Leser provoziert und ihnen den Glauben an das Gute im IT-Journalisten genommen. Ihnen zu Ehren folgt eine Collage aus den Leserbriefen und den Gratulations- und Kritik-Mails, die die Redaktion erhielt.

Was war.

"Euer Osterhase hat ein faules Ei gelegt", so ein verärgerter Leser, der sich um sein verdientes Ostern vergackeiert sah. Schuld hat natürlich die Geschichte vom "Volks-Facebook", vom BürgerInnennetz der Bundesregierung, über das c't berichtete. Sie erzeugte großen Zuspruch, Ratlosigkeit, aber auch den Wut und Zorn der Datenschutzbeauftragten über das Ausmaß der Überwachung, zu dem diese unsere Bundesregierung fähig ist.

"Ich habe den Artikel mittlerweile bei einigen Freunden und Bekannten herumgezeigt, die Facebook tatkräftig mit Infos versorgen. Die meisten von denen hat der Sinneswandel des schleswig-holsteinischen Datenschützers Thilo Weichert erstaunt, da er in Ihrem lustigen und etwas trickreichen Artikel nun Facebook empfiehlt."

Ja, ein Klarnamenzwangnetz, in dem sich Bürger mit bereits vom Staat und der GEZ erhobenen Daten einloggen müssen, in dem die Punkte aus Flensburg an der Pinnwand erscheinen und in dem die mit dem Internet noch fremdelnden Bürger ihre vernetzten Bürgerfreunde in Einwohnermeldeämtern und Postfilialen einsehen dürfen, das klingt ziemlich gruselig. Kein Wunder, dass man Thilo Weichert angesichts des Berichts nur seufzen hören konnte, dass er jetzt jedem Bürger nur noch Facebook empfehlen könne.

Die Redaktion wurde mit Leserpost eingedeckt, die von einer interessanten Stimmungslage in diesem unseren Lande künden. So heißt es hier: "Vielen Dank für diesen wahrlich gelungenen Aprilscherz. Ich habe mich tatsächlich richtig aufgeregt. Dass es so lange gedauert hat, bis bei mir der Groschen gefallen ist, liegt vermutlich daran, dass ich unseren Volksvertretern im IT-Bereich so ziemlich jeden Unsinn zutraue."

Oder, um es salopp in einer etwas jüngeren Sprachversion auszudrücken: "Voll geil eye! Solche Artikel brauchen wir mehr. Parteien gut gewählt, fehlen vielleicht noch n paar Interwies. Da gibts im Bundestag bestimmt einige Typen die da in echt reinpassen, insbesondere was das Problem des Technikers betrifft."

Natürlich gab es auch politischen Protest, insbesondere zu dem im Text berichteteten Problem des Technikers mit dem Binnen-I in der URL, das aus dem schlichten Bürgerinnennetz den korrekten gender-neutralen Ausdruck hervormendeln sollte:

"Aus gewohnt gut unterrichteten Kreisen ist mir zu Ohren gekommen, dass nicht nur Unionspolitiker am Namen der Plattform Anstoß genommen haben. Speziell aus den Reihen der Grünen und Linken regt sich immer größerer Unmut, dass die Plattform im aktuellen Zustand die hegemoniale Zweigeschlechtlichkeit in unserer Gesellschaft zu zementieren droht. Es sei in keinster Weise Rücksicht auf die Menschen genommen worden, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen. Die Verwendungen des Gender Gaps würde diese Probleme lindern. Es wurde daher auf die Umbenennung des Portals in Bürger_innennetz oder Bürger*innennetz gedrängt.

Da diese zusätzliche Anforderung bezüglich der URL ebensowenig mit den Internet-Standards in Einklang zu bringen ist wie die Forderungen aus dem Unionslager, wird nun über ein neues Browser-Plug-in nachgedacht. Dieses soll vollautomatisch die politische Einstellung der Nutzer aus der Regierungsdatendank abfragen. Damit ist es in der Lage, eine entsprechende Eingabe korrekt auf die eigentliche URL aufzulösen, sowie in der URL-Leiste die politisch gewünschte Adresse anzuzeigen. Auf der Plattform selbst wird diese 'politische Lokalisierung' genannte Lösung durch das CMS automatisch durchgeführt."

Politische Beschwerden gab es auch direkt per Telefon, weil unsere 1979 so hübsch angezogene Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bürgerinnennetz auf der Einstiegsseite vom Start weg 81.725.999 Freunde aufwies, Vizekanzler Philipp Rösler hingegen keinen einzigen Bürger hatte, der sein Freund ist. Das sei im Zeichen des beginnenden Wahlkampfs ein böser Tritt gegen die Fünf-Prozent-Hürde. Ganz zu schweigen von den Beschwerden zum Internet-Auftritt des BürgerInnennetz, mit der geschützten Schriftart BundesSans und dem "kleinen Bundesadler":

"Auf der von Ihnen genannten Seite prangt links oben der 'kleine Bundesadler'. Nach § 124 I 1OWiG ist die Benutzung des Bundesadlers – auch des kleinen – ordnungswidrig und kann nach Absatz 3 dieser Vorschrift mit einem Bußgeld geahndet werden. Die Verwendung zu künstlerischen Zwecken ist – so das Bundesverwaltungsamt (BVA) – aber frei. Das muss sich wohl aus der Verfassung oder anderen exotischen Vorschriftssammlungen ergeben, im OWiG steht das mit der Kunstfreiheit jedenfalls nicht. Jede sonstige Verwendung des Bundesadlers und des Bundeswappens ist nur mit Genehmigung des BVA gestattet. Einer schriftlich einzureichenden Anfrage hätte der Entwurf der beabsichtigten Darstellung des Bundesadlers beigefügt werden müssen.

Fragt sich also, ob das Kunst war. Ich kann nur dazu raten, auf jeden Fall zu leugnen, dass es sich um einen Aprilscherz handelte. Aprilscherzen fehlt es nämlich i.d.R. an der erforderlichen Gestaltungshöhe (siehe Mephisto-Entscheidung des BVerfG). Hier haben Sie aber zu sehr von der Wirklichkeit geklaut. Sagen Sie einfach, es war Satire. Bleiben Sie dabei, auch wenn man Ihnen nachweist, dass nichts in dem Artikel parodistisch, sarkastisch oder wenigstens sardonisch überhöht wurde, sondern im Durchschnitt zumindest absolut glaubhaft und damit zu nahe der Realität dargestellt ist. Satire darf alles."

Wird's was?

Satire darf alles, auch eine Realsatire sein. Denn die Pläne für ein BürgerInnennetz sind gar nicht so abstrus, wie es auf dem ersten Blick erscheint. Tatsächlich arbeitet Baden-Württemberg an einem Bürgerportal. Wer sich an De-Mail erinnert, welches ein tatsächlich existierendes Projekt der Bundesregierung ist, wird vielleicht darauf stoßen, dass es einstmals im Jahre 2007 als "Bürgermail" begann, komplett mit einem Bürgerportal. Dieses Bürger-Portal sollte mit einem Bürger-Postfach und einem Bürger-Safe ausgestattet werden. Auch eine Telefonbuchseite war bei den ersten Planungen im Gespräch, eine Art Pinnwand, auf der sich jeder Bürger seinen Mitbürgern vorstellen konnte.

Geblieben ist von alledem nur die De-Mail. Dass sie vor wenigen Tagen mit dem "Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung" für amtlich sicher erklärt wurde, könnte man für einen verfrühten Aprilscherz halten, ist aber Realität: Die "kurzzeitige automatisierte Entschlüsselung durch den akkreditierten Diensteanbieter zum Zweck der Überprüfung auf Schadsoftware und zum Zweck der Weiterleitung an den Adressaten" ist keine Offenlegung, basta. Auch die Punkte in Flensburg, die an der Bürgerpinnwand auftauchen sollen, sind nahe dran an der Lebenswirklichkeit der Bürger. Wenn er oder sie einen neuen Personalausweis hat, kann der Punktestand online abgefragt werden. Die Auskunft kommt derzeit postwendend als Briefchen – nein, auch das ist kein Aprilscherz. In Kürze soll sie elektronisch als De-Mail verschickt werden können, sofern man ein "Bürger-Postfach" sein Eigen nennt.

Kurzum, die Zutaten sind da, doch der richtige Mix fehlt. Wünscht sich doch der IT-Berater für Entscheider bange: "Hoffentlich lesen Politiker keine c't. Nicht das der Artikel als Steilvorlage für künftige fraktionale Diskussionsrunden dient." Andere wollen gar dieses BürgerInnennetz als Wohlfühl-Alternative: "Die Idee, warum man nicht ein EU-weites öffentliches soziales Netzwerk entwickelt, hatte ich Ihnen sogar schon einmal in einem Leserbrief vorgeschlagen. Insofern finde ich Ihren Aprilscherz gar nicht einmal so verkehrt; wenn Facebook & Google so viele sensible Daten sammeln und vermarkten, und Regierungsbehörden sowieso einen Auskunftsanspruch haben, wäre dann nicht ein soziales Netz im Auftrag einer Datenschutzbehörde die bessere Alternative? Ihr wirklich unterhaltsamer Artikel wurde mir bei der Beschreibung der Passwortvergabe endgültig als Aprilscherz bewusst: So viel Naivität würde selbst die Bundesregierung nicht besitzen." Vertrauen wir also auf unsere Regierung? Es wäre nicht der erste Aprilscherz der c't, der Jahre später realisiert wurde ... (hob)