Verfassung per Crowdsourcing: Island legt Verfassung 2.0 auf Eis

Das isländische Parlament hat die Abstimmung über den neuen, mit Hilfe von Crowdsourcing erstellten Verfassungsentwurf in die nächste Legislaturperiode verschoben. Zusätzlich soll ein Volksentscheid über das Vorhaben nötig sein.

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Das isländische Parlament hat die Abstimmung über den neuen, mit Hilfe von Crowdsourcing erstellten Verfassungsentwurf auf die nächste Legislaturperiode verschoben. Zugleich hat das Althing das Verfahren für eine Verfassungsänderung überarbeitet. Künftig sollen demnach nicht mehr Neuwahlen und eine zweimalige Mehrheit vor und nach den Wahlen in der Volksvertretung dafür nötig sein, sondern ein Beschluss mit Zweidrittelmehrheit im Parlament und einem anschließenden Volksentscheid. Dabei müssen nicht nur 50 Prozent der Teilnehmer, sondern auch mindestens 40 Prozent aller Wahlberechtigten für eine Reform der Verfassung stimmen.

Die Isländer hatten nach dem Bankenkollaps 2008 die konservative Regierung aus dem Amt gejagt und eine neue, linke Regierung gewählt. Diese versprach, die seit langem geforderte Verfassungsänderung anzugehen. Dafür durften zunächst 950 teils repräsentativ und teils zufällig ausgewählte Bürger der Insel in kleinen Gruppen Ideen sammeln, die zu Themenblöcken gebündelt wurden. Den eigentlichen Entwurf erarbeitete ein Verfassungsrat mit 25 Mitgliedern, wobei jeder Isländer getreu den Prinzipien von Wikis und Liquid Democracy online Änderungen vorschlagen und am Text mitschreiben konnte. Das Ergebnis strebte nicht nur neue Formen der direkten Demokratie über Referenden an, sondern schrieb auch ein Recht auf Zugang zum Internet fest.

Anfang März empfahl die für Verfassungsfragen zuständige "Venedig-Kommission" des Europarates aber in einem Bericht, die Feinarbeit an dem Werk erst nach den Ende April anstehenden Neuwahlen anzugehen. Die vorgesehenen vielen Möglichkeiten für die direkte Intervention der Bürger seien zwar zu begrüßen, meinten die Experten. Sie könnten aber auch Risiken der Blockade und der Instabilität mit sich bringen. Zudem blieben viele Bestimmungen des Entwurfs noch zu vage.

Der isländische Ökonomieprofessor Thorvaldur Gylfason, der dem Verfassungsrat angehörte, wertet den Aufschub trotzdem als "Putsch", da sich eine große Bevölkerungsmehrheit bereits hinter die neue Verfassung gestellt habe. Nationale Medien sprechen von einem Betrug am Wähler. Bislang größtenteils steckengeblieben ist auch die Umsetzung einer Entschließung des Althing aus dem Jahr 2010, mit der das Eiland eine Insel der Meinungs- und Informationsfreiheit etwa durch einen besonders hohen Schutz für Whistleblower werden sollte. (jk)