Französischer Geheimdienst verlangt Löschung eines Wikipedia-Artikels

Ein Artikel über eine militärische Funkstation im Online-Lexikon Wikipedia ist dem französischen Geheimdienst ein Dorn im Auge. Das beschert den vermeintlich geheimen Informationen nun besonders viel Aufmerksamkeit.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Torsten Kleinz

Mit Strafandrohung gegen einen Wikipedia-Administrator versucht der französische Geheimdienst Direction Centrale du Renseignement Intérieur (DCRI) einen Artikel über eine militärische Funkstation aus der Online-Enzyklopädie löschen zu lassen. Doch die Wikipedia-Community und die US-Stiftung Wikimedia Foundation wehren sich gegen die staatlichen Maßnahmen. Der Artikel wurde wieder hergestellt.

In einem Statment teilt die Justiziarin der Wikimedia Foundation, Michelle Paulson, mit, der DCRI habe bereits Anfang März mit der US-Stiftung Kontakt aufgenommen, um den Artikel löschen zu lassen. Die Begründung: Dieser enthalte vertrauliche militärische Informationen, deren Veröffentlichung nach französischem Gesetz unter Strafe stehe. Die Stiftung konnte nach Prüfung jedoch keine Geheimnisse entdecken – alle Informationen aus dem Artikel schienen bereits öffentlich bekannt zu sein. Die Online-Enzyklopädie lässt gemäß ihren Regeln nur Informationen zu, die bereits an anderer Stelle veröffentlicht wurden. Da der Geheimdienst sich weigerte, nähere Informationen zu geben, lehnte die US-Stiftung die Bitte um Löschung ab.

Mit der Antwort unzufrieden wandten sich die französischen Behörden daraufhin an einen Funktionär von Wikimedia France und Administrator auf der Plattform. Ihm wurden ernsthafte strafrechtliche Konsequenzen angedroht, sollte er den Artikel nicht löschen, was er daraufhin tat. „Dieser Administrator ist nicht für das Hosten der Inhalte in Wikipedia verantwortlich, war nicht an der Erstellung des Artikels beteiligt und gehört auch nicht der Wikimedia Foundation an“, stellt Michelle Paulson klar. Die Länderorganisationen der Wikimedia sind rechtlich eigenständig, allein die Wikimedia Foundation mit Sitz in San Francisco ist rechtlich für den Betrieb der Online-Enzyklopädie verantwortlich.

Der Erfolg der französischen Behörden war nur von kurzer Dauer: Nachdem der Fall bekannt wurde, stellte ein Adminstrator außerhalb von Frankreich den Artikel umgehend wieder her. Der von Löschung bedrohte Artikel erfährt nun viel Aufmerksamkeit: Wurden die Informationen zur Funkstation bisher kaum abgerufen, widmen sich nun viele Autoren dem Thema – es gibt bereits eine englische Version des Artikels.

Die Wikimedia Foundation muss sich immer wieder mit Löschanforderungen auseinandersetzen. So verhinderte Wikimedia-Gründer Jimmy Wales die Veröffentlichung von Details über die Entführung eines US-Journalisten, um dessen Leben nicht zu gefährden. Auch bei Verstößen gegen das US-Urheberrecht wird die Wikimedia-Zentrale tätig. Inwieweit die US-Stiftung die Jurisdiktion anderer Länder anerkennt, ist ein diffiziles Thema. So hatte die Wikimedia Foundation zum Beispiel einen Rechtsstreit mit den Erben des Humoristen Vicco von Bülow alias Loriot vor einem deutschen Gericht geführt. Die US-Stiftung unterstützte aber auch Protestaktionen in Italien und Russland, die sich gegen Gesetze richteten, die freiwillige Wikipedia-Autoren für die Inhalte der Online-Enzyklopädie verantwortlich machen sollten. Immer wieder steht Wikipedia im Zentrum wie Webzensur -- Regimes wie in der Volksrepublik China filtern inzwischen auf Providerebene jedoch meist einzelne Artikel anstatt die Enzyklopädie vollständig zu sperren.

Gleichwohl warnt die Wikimedia Foundation Autoren davor, staatliche Behörden unvorsichtig herauszufordern. „Wir möchten unsere Autoren darauf hinweisen, dass sie – auch wenn sie nach bestem Wissen und Gewissen arbeiten – für ihre Beiträge juristisch verantwortlich sind“, schreibt Paulson. Zwar habe die Wikimedia Foundation einen Fonds zur Verteidigung berechtigter Interessen seiner Autoren, doch dieser könne keinen Erfolg garantieren. Sollten Wikipedia-Autoren von staatlichen Stellen unter Druck gesetzt werden, sollten diese die Behörden auf die Wikimedia Foundation verweisen, die jede Anforderung sorgsam prüfe. (dwi)