Streit um Wikipedia-Zensur in Frankreich geht weiter

Die französischen Behörden wollen sich mit der Blamage nach ihrem Eingriff in die Online-Enzyklopädie offenbar nicht abfinden und gießen weiter Öl ins Feuer. Ein Vertreter der Polizeigewerkschaft bringt Sperren ins Spiel.

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Von
  • Torsten Kleinz

Der Streit über den Wikipedia-Artikel über eine militärisch genutzte Funkstation in Frankreich geht weiter. Ein Funktionär der französischen Polizeigewerkschaft meldet sich mit der Ansicht zu Wort, dass die Online-Enzyklopädie zur Not gesperrt werden soll. Auch in Russland fordern Behörden, dass unliebsame Artikel gelöscht werden sollen.

Am Wochenende war bekannt geworden, dass Beamte des französischen Geheimdienstes Direction Centrale du Renseignement Intérieur (DCRI) einen französischen Wikipedia-Administrator vorgeladen und unter Androhungen eines Strafverfahrens zur Löschung des Artikels gebracht hatte. Doch das Löschmanöver verursachte den gegenteiligen Effekt: Der Artikel wurde von einem Wikipedia-Autoren außerhalb der französischen Jurisdiktion wieder hergestellt und in mittlerweile 24 Sprachen übersetzt.

Doch die französischen Behörden wollen sich anscheinend nicht mit der Blamage abfinden. Zwar hat sich das französische Innenministerium auf Medienanfragen bisher noch nicht geäußert, gegenüber dem französischen Magazin Le Point erklärte der Generalsekretär der Polizeigewerkschaft SCPN, Emmanuel Roux, dass der Fall keineswegs erledigt sei.

Die Staatsanwaltschaft werde wahrscheinlich die Kooperation der Justiz in den Ländern suchen, in denen der Artikel veröffentlich worden sei, meint der Gewerkschafter. Dabei stellte er auch Webblockaden in Aussicht: „Eins der rechtlichen Mittel wäre in Frankreich, die unterschiedlichen Internet-Anbieter juristisch anzuweisen, den Zugang zu den betroffenen Seiten zu sperren.“ Frankreich selbst könne jedoch nicht bestimmen, welche Maßnahmen die Behörden in anderen Ländern verhängten.

Die Wikimedia Foundation in den USA, die juristisch für alle Wikipedia-Ausgaben verantwortlich ist, war bereits im März von den Franzosen kontaktiert worden. Die Stiftung betont, dass man in Sachen der Staatssicherheit selbstverständlich mit Behörden zusammenarbeite – pauschale Löschungen auf Zuruf lehnt sie jedoch ab. Auf Nachfrage habe der DRCI nicht benannt, was konkret an dem Artikel illegal sein soll. Die dort veröffentlichten Informationen seien nach Prüfung lange publik gewesen. Sowohl die Wikimedia Foundation als auch die französische Länderorganisation verurteilen das Vorgehen der Behörden: Der Administrator sei weder für die Wikipedia verantwortlich, noch habe er irgendetwas mit dem Artikel zu tun gehabt.

Auch in Russland droht der Online-Enzyklopädie Maßnahmen der Behörden. So wurde russischen Wikipedianern vergangene Woche offiziell mitgeteilt, dass mehrere Artikel zu Themen wie Drogenkonsum oder Selbstmord auf einer schwarzen Liste der Medienaufsicht stehen. Wenn diese Artikel nicht aus der russischen Wikipedia entfernt oder in Russland blockiert würden, könnten die Online-Enzyklopädie insgesamt von russischen Providern gesperrt werden.

Die Wikimedia Foundation will die Entscheidung, wie man mit diesen Löschungsaufforderungen umgehen will, der Community überlassen. Im Juli 2012 wurde die Wikipedia in Russland aus Protest gegen drohende Internet-Zensur-Gesetze für einen Tag abgeschaltet. Die Regulierungen wurden dennoch Ende des Jahres in überarbeiteter Form Gesetz. Anbieter wie Facebook und Google löschten daraufhin bestimmte Inhalte, im Fall eines Werbefilms für Verkehrssicherheit wehrte sich die Plattform YouTube jedoch gegen das Löschbegehren und legte dagegen rechtliche Schritte ein. (vbr)