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Was war. Was wird.

Gern bejammert man derzeit die Nische, in der sich die Netzpoltik manövriert habe. Dabei gibt's nix zu jammern, kluge Köpfe wissen, dass die Selbstsetzung der Netzpolitik aller Übel Ursprung ist, kommentiert Hal Faber. Manchmal kann man doch alles haben.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Zeitung stirbt, genauer die Tageszeitung. Die Magazine, Sonntagszeitungen und Wochenzeitungen leben etwas länger, aber auch sie werden aussterben. Papier hat keine große Zukunft, wenn der Frischfisch in Folie eingeschweißt wird. Was bleibt, ist die eigens gedruckte Feiertagszeitung zum Geburtstags- oder Hochzeitstag, sofern diese Tage vor dem Zeitpunkt liegen, an dem die letzten Tageszeitungen sterben. Natürlich sind das traurige Sätze für die, die mit dem Zeitungslesen bestimmte Erinnerungen verbinden und sei es die Lektüre eines Blattes mit großen Buchstaben und einem Matthäus-Komplex. Das Drucken auf toten Bäumen kam richtig in Fahrt, als William Bullock die Rollen-Rotationsmaschine so verbesserte, dass Zeitungen in Massen billig produziert werden können. Er erfand "die solideste Maschine, die je Papier bedruckt hat". Am Anfang der modernen Tageszeitung stand der Tod Pate: Heute vor 200 Jahren geboren, starb Bullock kurz vor seinem Geburtstag an den Folgen eines Wundbrands, nachdem sein Bein in eine seiner Druckmaschine geraten war. Damit gehört unser Mann zur illustren Gruppe der ErfinderInnen, die durch ihre Erfindungen starb.

*** Das Lamentieren über den Tod der Zeitung passt in eine Woche, in der beim Spiegel die beiden Chefredakteure an die Luft gesetzt wurden, weil sie "maßgeblich dazu beigetragen [haben], den SPIEGEL als ein weltweit beachtetes kritisches Magazin und SPIEGEL ONLINE als führendes journalistisches Angebot im deutschsprachigen Internet zu positionieren und weiterzuentwickeln". Der Rauswurf erfolgte nach einem lütten Snack der Mitarbeiter KG, wie das auf Hamburgisch heißt, hat aber seinen eigentlichen Grund darin, dass man an einer Paywall für das führende Angebot im deutschsprachigen Internet bastelt. Die Zeitung stirbt, der Journalismus lebt weiter und seine 40.000 deutschsprachigen Produzenten müssen ja von irgendetwas leben.

*** Eigentlich ist das alles kein Problem. Mit einer kleinen, einfachen Gesetzesänderung könnte man dekretieren, dass alle Menschen mit 40 Jahren sterben, äh sanft entschlafen werden. Die unter 40-Jährigen lesen aus Zeitmangel keine Zeitung mehr und wer dann noch Journalist ist, hat nur noch Zeit, sich auf große, bedeutende Netz-Berichte zu konzentrieren, die geflattrt werden oder für die es gute Bitcoins und Crowdtaler gibt. Keine Zeit für Sponsinn über den Orgasmus oder den Tod einer alten Hexe. Gerade bei einem Schreckgespenst wie Margaret Thatcher ist der Datenjournalismus ein gutes Antidot.

*** Der Verlierer dieser Woche ist Microsoft. Das führende Angebot titelte mit einem Zitat: Windows 8 hat versagt und meinte damit, dass der Tiefstand der PC-Verkäufe mit der Einführung der Kachelei zusammenhängt. Ist es wirklich ein PC-Desaster? Vielleicht ist der PC schon so tot wie die Tageszeitung, weil das Spaß&Spiel-System für die Konsumenten ein Tablet ist. Fett ausgestattete Desktops mit satter Videokarte werden vielleicht nur noch von den Bitcoin-Mineuren benötigt, dazu die Laptops für den Rest der arbeitenden Klasse. Man kann halt nicht alles haben, wir sind schließlich nicht in Alice's Restaurant.

*** Die Gewinner dieser Woche haben alle einen Big Brother Award bekommen. Das führende Angebot hält diese seit Jahren eingeübte Zeremonie zwar für ein rituelles Schattenboxen und sehnt sich nach der Wucht der früheren Jahre. Dass einstmals Preise für Datenkraken an Aktionen wie die Privacy-Karte gekoppelt waren und lustige Enttarnungen durchgeführt wurden, die Reaktionen zeitigten, wird mit aller Wucht vergessen. Aus dem einst kleinen FoeBuD ist Digitalcourage geworden und die Forderungen sind entsprechend groß. "Google zerschlagen", das hat was, wo googlen im Wörterbuch steht und drauf und dran ist, als Kirche etabliert zu werden. In dieser Woche hat sich Google dran gemacht, sich um unser Nachleben zu kümmern, wenn wir gestorben sind wie eine Zeitung.

*** Google zerschlagen, das klingt größenwahnsinnig, hat aber den teuflischen Kern, der in dem netten Suchpudel steckt. Mit Streetview hat Google unsere Straßen vermessen und dabei ganz zufällig die aufgefundenen WLAN mit in die Datenbank gesteckt, der besseren Ortung halber. Bei uns hatte das keine Folgen, in den USA kostete es ein Fetzel aus der Portokasse. Mit Google Glass steht eine komplette Neudefinition der Privatsphäre an, ganz zu schweigen von dem, was Google-Mitarbeiter aufzeichnen. Da sind Datenschützer gefragt, die bei Google traditionell aus der IT kommen und keine Juristen sind. Das ist vielleicht nach der Google-Logik gut, wo Eric Schmidt gerade den Kämpfer gegen die Überwachungsdrohnen mimt. "Google policy is to get right up to the creepy line and not cross it", dieses Zitat von Eric Schmidt über einen Konzern, der aktiv daran arbeitet, soziale Normen zu verändern, ist preiswürdig.

*** Die Frage ist halt, ob die Argumentation mit der informationellen Selbstbestimmung zur Verleihung des Big Brother Awards an Google überhaupt greifen kann, wenn es heißt: "Wer sich ständig beobachtet fühlt und annimmt, dass die gespeicherten Informationen ihm oder ihr irgendwann schaden könnten, wird zögern, Grundrechte wie freie Meinungsäußerung oder Versammlungsfreiheit wahrzunehmen. Wenn das passiert, ist das keine Privatsache mehr, sondern das schadet der Allgemeinheit und einer lebendigen Demokratie." Kann für eine solch zögerliche Haltung allein Google verantwortlich sein? Ist das Gegenstück der datenliebenden Spackeria, das universale "Juckt mich nicht, ihr könnt mich mal" nicht genauso hilflos? Immerhin organisiert(e) Digitalcourage nicht nur die Big Brother Awards, sondern zusammen mit dem AK Vorrat auch die Demonstrationen unter dem Motto Freiheit statt Angst. Das mutlose Bild eines Menschen, der sich ständig im Internet beobachtet fühlt, hat wenig mit den Netzaktivisten zu tun, die "unser Netz" gegen die Anfechtungen der Konzerne verteidigen wollen. Addiert man dazu die Tatsache, dass Netzpolitik ein Nischenthema ist, ist das Fazit bescheiden und etwa so wie bei SchülerVZ. Dabei sind 77 Prozent der erwachsenen Deutschen online und 19 Prozent wollen ohne Internet nicht mehr leben. Der Rettungsruf heißt Code for Germany: Manchmal kann man doch alles haben, genauso wie in Alice's Restaurant.

Was wird.

Während diese kleine Wochenschau ins Internet geschüttet wird, bereitet sich die SPD auf den Wahlkampf vor. Es soll kämpferische Reden gegen den Generalverdacht geben, dass die Partei eine Deppentruppe und angeblich zu blöde zum Googlen ist. Dabei war "Das Wir entscheidet" gar nicht in Google auffindbar, vielleicht aus dem Ranking genommen, wie diese Geschichte, die nach drei Tagen an der Spitze – bei der Suche nach "Piratinnenkon" – sang- und klanglos verschwand und gesperrt wurde. Bei Bing liegt er derzeit an achter Stelle. Steinbrücks Satz "Hätte, hätte, Fahrradkette" ist übrigens der weit bessere Wahlslogan. Er ist ökologisch, anschlussfähig bei Altgenossen (Dachlatte), koalitionskompatibel, Google Adsense-freundlich, passt auch zu einer Niederlage gegen Mutti und reimt sich auf Nuss-Schogette. Das kann man von anderen Wahlparolen nicht behaupten. Das letzte Mal, dass ein Wir Parole bei der SPD war, ist etwas her: Mit "Wir sind eine Familie" trat erstmals Willy Brandt zur Wahl an.

Der Jahreszeit entsprechend kommen in München wieder die Freunde des Vintage Computing zusammen, diesmal mit einem generationsübergreifenden Wettbewerb hungriger Biester. In einem ersten Test werden alte, ganz alte und moderne Computer in einem Netz per TCP/IP oder RS232 an eine eigens für Biester programmierte Kampfarena angeschlossen und ausbattlen. Die Kommunikation erfolgt über ein textbasiertes 7-bit ASCII-Protokoll, die Teilnehmer bekommen je nach Rechnerklasse unterschiedliche Bedenkzeiten. Die Idee stammt aus einem Forth-Projekt der Hochschule Augsburg, die schiere Systemvielfalt ist unbegrenzt: "Ein Agent in Forth geschrieben, laufend auf einem MSP430 Launchpad kann gegen einen in Java geschriebenen Agenten auf einem Apple Mac-Book antreten. Unfair, aber möglich", lästern die Autoren. Auch so kann Code for Germany aussehen. (jk)