Störsender gegen Bakterien

Mikrobenbewuchs in Krankenhäusern und Industrieanlagen ist eine große Gefahr für die Gesundheit. Forscher wollen die Biofilmbildung von vornherein verhindern.

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  • Veronika Szentpetery-Kessler

Mikrobenbewuchs in Krankenhäusern und Industrieanlagen ist eine große Gefahr für die Gesundheit. Forscher wollen die Biofilmbildung von vornherein verhindern.

Was haben Glibber im Abflusssieb und klebrige Plaque auf den Zähnen gemeinsam? In beiden Fällen handelt es sich um einen undurchdringbaren, klebrigen Schutzschleim von Bakterien. Mit dem sogenannten Biofilm schotten sich diese und viele andere Bakterien gegen schädliche Umwelteinflüsse ab. Dazu reichen ihnen eine kleine ungeschützte Fläche und etwas Feuchtigkeit. Besiedeln solche Mikroben Industrieanlagen, können sie ganze Produktionschargen verunreinigen und sind aus Rohren und Maschinen nur schwer rauszubekommen. Besonders schlimm wird es, wenn sich krank machende Bakterien in Biofilmen einigeln.

Auch die Politik hat den Ernst der Lage erkannt: Seit 2010 fördert das Bundesforschungsministerium das Forschungsprojekt ChemBiofilm mit 2,4 Millionen Euro. Ziel des Konsortiums aus Forschern und Industriepartner ist es, eine neue Strategie zur Bekämpfung der bakteriellen Schutzschilde zu entwickeln. "Wenn Biofilme einmal da sind, ist es bereits zu spät", sagt Professor Wolfgang Streit von der Universität Hamburg, der das Programm koordiniert. Deshalb wollen die Forscher die Bakterien daran hindern, den Schutzschleim überhaupt zu bilden. "Wir schätzen, dass Biofilme jedes Jahr bei etwa 100.000 Patienten mit Implantaten Infektionen verursachen", sagt Holger Rohde vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), einer der Forschungspartner bei ChemBiofilm. Das ist angesichts der jährlich fast 2,5 Millionen Menschen, die ein Implantat erhalten, eine ganze Menge.

Biofilme gefährden zum Beispiel Patienten auf Intensivstationen und besetzen Blasen- und Gefäßkatheter, die mehrere Tage oder gar Wochen im Körper verbleiben. Rohde sieht auch viele Patienten, deren Hüft- oder Knieprothesen besiedelt wurden. Bei ihnen allen können die giftigen Abfallstoffe der Bakterien lang anhaltende Entzündungen verursachen. Die üblichen Antibiotika helfen oft nicht, dann bleibt nur das Entfernen des Implantats. Selbst an so vermeintlich unproblematischen Orten wie Farbeimern gedeihen Biofilmbildner. Problematisch sind solche Mikroben auch für viele Industrieanlagen, in denen bei der Herstellung große Wassermengen notwendig sind, von der Papierherstellung bis zur Metallverarbeitung. Bisher kommen als Gegenmaßnahme Biozide zum Einsatz. "Aber das führt zu höheren Kosten und belastet Mitarbeiter, Endverbraucher und die Umwelt", sagt Roman Grabbe von Thor, einem Hersteller von Konservierungsmitteln und Bioziden.

Besser ist es daher, die Besiedlung von vornherein zu unterbinden. Um das zu schaffen, hat Holger Rohde den Biofilm verschiedener Bakterienarten genau unter die Lupe genommen. "Wir wollten wissen, weshalb er vom Immunsystem nicht zerstört werden kann." Auch Antibiotika und andere Wirkstoffe können den Schleim nicht komplett durchdringen oder dauerhaft abbauen. Rohde fand lange Zuckerketten, die wie eine Art klebriges Kettenhemd funktionieren, und identifizierte Gene, die für seine Bildung sorgen.

"Unsere Strategie besteht darin, ihre Kommunikation zu stören", sagt Streit. "Wir wissen, dass sich die Bakterien für die Bildung des Biofilms sozusagen verabreden müssen." Mit entschlossenen Bewegungen skizziert er den Plan auf einem DIN-A4-Blatt. Mit seinem üppigen, gepflegten Schnauzbart erinnert er dabei an einen General, der die Bewegungen seiner Truppen vor der entscheidenden Schlacht aufmalt: Zwei Kringel für zwei Bakterien, dazwischen Pfeile für die Signalmoleküle, mit denen sich die Keime verständigen. Gegen die Signalmoleküle suchten die Forschungspartner nach chemischen Störsendern. Sie wurden bei Bakterienenzymen fündig. Schwungvoll streicht Streit die Signalpfeile auf dem Papier durch.

Erste Tests zur Störwirkung verliefen vielversprechend. Lars Henningsen, ein Bachelor-Student von Wolfgang Streit, deutet auf eine grün leuchtende Gebirgslandschaft auf dem Computerbildschirm. Die Mikroskopaufnahme zeigt einen Querschnitt durch den Biofilm eines Bakteriums, das für viele Infektionen und Biofilme in der Lunge verantwortlich ist. Auf dem nächsten Bild, das nach dem Verabreichen der Enzymlösung aufgenommen wurde, ist das Gebirge nur noch ein Drittel so hoch. Der Wirkstoff hat zudem breite Canyons in den Schleim geschnitten.

Das Ziel ist, die störende Substanz als feste Beschichtungen in Kanülen oder Rohre zu integrieren. So muss sie nicht wie ein Desinfektionsmittel immer wieder neu aufgesprüht werden. Im Rahmen von ChemBiofilm laufen deshalb auch Untersuchungen, wie gut sich die Enzymkandidaten auf Testflächen wie Schläuchen und Glas verankern lassen und wie lange sie dort haften. Bis die neuen Materialien aber tatsächlich in Krankenhäusern zum Einsatz kommen kann, wird es noch dauern. Denn hinzu kommt noch eine weitere Schwierigkeit: Ein einziger Störsender wird nicht reichen. "Die Bakterien sprechen nicht nur eine Sprache, sondern im Schnitt sogar drei", erklärt Streit. Die Beschichtung wird deshalb wohl mehrere Enzyme enthalten müssen oder solche, die sozusagen mehrsprachig sind. (vsz)