"Wir müssen das Kleine im Großen bewahren"

Einige Konzerne reagieren auf Collaborative Consumption, indem sie Verkaufs- in Mietmodelle umwandeln. Ist das gut? Fragen an Rachel Botsman.

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Von
  • Jens Lubbadeh

Einige Konzerne reagieren auf Collaborative Consumption, indem sie Verkaufs- in Mietmodelle umwandeln. Ist das gut? Fragen an Rachel Botsman.

TR: Microsofts „Office 2013“ gibt es nur noch in der Cloud, Apples Betriebssystem im App Store, Amazon hat jederzeit Zugang zu E-Books auf dem Kindle. Die Konzerne haben dadurch mehr Kontrolle, sparen Geld und häufen wertvolle Nutzerdaten an. Ist das aus Ihrer Sicht eine falsche Auffassung oder sogar ein Missbrauch der ursprünglichen Idee von Collaborative Consumption?

Rachel Botsman: Collaborative Consumption ist Ausdruck einer massiven Konsumänderung vom Besitzen zum Nutzen. Eine wachsende Zahl traditioneller Firmen – vom Automobilgiganten über den Einzelhändler bis hin zur Bank – hat diese große Chance erkannt, ihr Businessmodell zu verändern, um neues Konsumverhalten und neue Erwartungen zu befriedigen. Ich stimme insofern zu, dass die wahre Chance darin liegt, aus einem reaktiven Angstmodus herauszukommen. Viele Konzerne verfahren noch nach dem Motto: Das Modell vom gemeinsamen Nutzen gefährdet unser Geschäft, wir müssen irgendetwas tun.

Ich kann allerdings keinen Missbrauch der Idee erkennen, wenn Unternehmen wie Daimler oder BMW im Carsharing aktiv werden. Sie haben die nötige Masse und die Markenwirkung, damit diese neue Wirtschaft Mainstream wird. Die Leute wollen, dass gemeinsames Nutzen ihnen Annehmlichkeiten und Wahlfreiheit verschafft. Wenn die großen Marken ihnen das geben können, ist das in meinen Augen keine schlechte Sache.

Meine einzige Sorge ist nur, dass die Großen die innovativen Start-ups ausquetschen könnten und die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Werte verloren gehen könnten. Wir müssen das Kleine im Großen bewahren, um sicherzustellen, dass Collaborative Consumption weiterhin mehr Menschlichkeit ins Geschäft und in die Gesellschaft bringt.

Sollte dann nicht Peer-to-Peer-Sharing, also dezentral organisiertes gemeinsames Nutzen, die bevorzugte Variante sein?

Wenn die Bewegung erfolgreich sein soll, brauchen wir eine Kombination von zentral und dezentral organisierten Modellen – je nach Kontext und Zielgruppe. Die Vorteile der Konzernmodelle sind zentral verwaltete Bestände, was bessere Qualitätskontrolle ermöglicht und in vielen Fällen auch besseren Einsatz von Technik und höhere Effizienz. Einige Nutzer vertrauen diesem Modell auch mehr, wählen also den Carsharing-Anbieter Zipcar und nicht RelayRides [das amerikanische Pendant zu Nachbarschaftsauto.de; d. Red.].

Die Stärken dezentralen Sharings liegen darin, dass es Kapital besser einsetzt, Verwaltungskosten niedrig hält und ressourceneffizienter ist. Mir liegt es sehr am Herzen, die positiven sozialen Auswirkungen zu betonen, die entstehen, wenn Leute sich direkt miteinander vernetzen. Und hier stärken dezentrale Modelle Individuen in einer Art und Weise, wie es Konzerne nicht vermögen.

Gern wird auch auf die Umweltvorteile der Collaborative Consumption verwiesen. Aber wenn ich die Bohrmaschine leihe, muss ich sie erst abholen und dann wieder zurückbringen. Der Transportaufwand vermindert die ökologischen Vorteile.

Der Transport verursacht Kohlendioxid, das stimmt. Aber als letztendliches Ziel sollen die Leute alles, was sie brauchen, leicht zugänglich in ihrer unmittelbaren Umgebung vorfinden. Darüber hinaus ist es ein Nebeneffekt des Nichtbesitzens, dass man erkennt, wie selten man einen Gegenstand eigentlich nutzt. Das wiederum verändert unser Verhältnis zum Besitz generell, auch zu dem von anderen Gegenständen. Die Leute hören auf, Dinge zu kaufen, die sie nicht regelmäßig nutzen. Das spart die Energie für ihre Herstellung.

(jlu)