Bundesverfassungsgericht klärt Zuständigkeit für Klage gegen Vorratsdatenspeicherung

In das Klageverfahren über die massenhafte Speicherung von Telefon- und Internet-Verbindungsdaten kommt Bewegung.

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Von
  • Jürgen Kuri

In das Klageverfahren über die massenhafte Speicherung von Telefon- und Internet-Verbindungsdaten kommt Bewegung. Das Bundesverfassungsgericht hat die zunächst umstrittene interne Zuständigkeit für die Beschwerden gegen die seit Anfang des Jahres geltende sechsmonatige Speicherpflicht geklärt. Für den Hauptteil der Verfahren ist der Erste Senat unter Vorsitz von Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier zuständig, wie das Gericht mitteilte. Damit ist der Weg frei für eine Entscheidung über die Eilanträge gegen das umstrittene Gesetz. Wann damit zu rechnen ist, ist nach den Angaben einer Gerichtssprecherin gegenüber dpa aber noch offen.

Insgesamt hatten zuletzt drei Verfassungsrichter die Zuständigkeit für die Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung für sich reklamiert. Anfangs beschränkte sich das Zuständigkeitsgerangel auf Udo di Fabio und Wolfgang Hoffmann-Riem, später schaltete sich auch Rudolf Mellinghoff ein. Die Vorkehrungen zur Vorratsspeicherung von Telefon- und Internet-Verbindungsdaten sollen hierzulande prinzipiell eine EU-Richtlinie umsetzen; für Verfassungsbeschwerden, die europarechtliche Regelungen betreffen, ist an sich der Zweite Senat zuständig. Dessen konservatives Mitglied, Udo di Fabio, setzte sich vor Kurzem sehr kritisch mit den Gefahren eines "Präventionsstaats" auseinander. Di Fabio gilt zugleich als EU-Skeptiker. Eigentlich behandelt die meisten Grundrechts- und Überwachungsfragen aber der Erste Senat, wo noch bis zum Frühjahr der Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zuständig ist. In das Aufgabenspektrum Hoffmann-Riems während seiner letzten Monate im Amt gehört das Urteil über heimliche Online-Durchsuchungen in Nordrhein-Westfalen, die das Gericht im Oktober mit großer Skepsis verhandelte. Mellinghoff wiederum berief sich auf seine Zuständigkeit für strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen.

Über die Zuständigkeit hat nun der für solche Konfliktfälle zuständige "Sechser-Ausschuss" des Gerichts entschieden. Die Beschwerden der FDP-Rechtspolitiker Burkhard Hirsch, Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sowie weiterer, vom Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik vertretener Kläger landen damit im Ersten Senat. Federführend ist der für Datenschutz zuständige Richter Hoffmann-Riem. Weitere Beschwerden, die sich gegen strafprozessuale Regelungen richten, wurden dem Zweiten Senat zugeschlagen.

Diese Festlegung ist auch im Sinne von Starostik, der zunächst im Namen von acht Erstbeschwerdeführern an Silvester gemeinsam mit dem Reutlinger Steuerberater Heinz Raschdorf persönlich in Karlsruhe die Klage des Bundesverfassungsgerichts einreichte und insgesamt rund 30.000 Vollmachten besorgter Bürger für die Klage einsammelte: Er hatte schon zuvor die Ansicht geäußert, dass der Schwerpunkt der Beschwerde nicht auf dem Europarecht liege und daher eigentlich der Erste Senat zuständig sei.

Burkhard Hirsch hatte am Dienstagabend in Karlsruhe laut dpa die Speicherpflicht als Einstieg in den Überwachungsstaat kritisiert. "Der Staat darf nicht jeden seiner Bürger ohne jeden konkreten Anlass wie einen potenziellen Straftäter behandeln", sagte der frühere Bundestagsvizepräsident bei einer Veranstaltung der Justizpressekonferenz. Hirsch wies darauf hin, dass moderne Technik schon ohne neue Gesetze vielfältige Möglichkeiten zur Überwachung biete, die früher undenkbar gewesen seien. Mit einer langen Reihe von Gesetzesverschärfungen habe der Bundestag zudem eine "innenpolitische Aufrüstung" betrieben.

Siehe dazu auch:

Zu Details der neuen Telekommunikationsüberwachung und der auf Vorrat gespeicherten Verbindungsdaten siehe:

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(jk)