Opposition wirft Union Verfassungsblindheit bei Online-Razzien vor

Schäuble, Merkel und andere Unionspolitiker beharren auch nach der Skepsis in Karlsruhe gegenüber heimlichen Online-Durchsuchungen auf dem raschen Einsatz des "Bundestrojaners", was unter anderem die FDP auf die Palme bringt.

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Die Forderung nach einem raschen Einsatz des so genannten Bundestrojaners durch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) auch nach der großen Skepsis in Karlsruhe gegenüber heimlichen Online-Durchsuchungen hat bei Oppositionsparteien Empörung ausgelöst. Die innenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag, Gisela Piltz, sprach von "respektlosen und unangemessene Bemerkungen gegenüber dem Bundesverfassungsgericht", welche das Verfahren über Online-Razzien in Nordrhein-Westfalen zunächst solide prüfen müsse. Damit beweise Schäuble erneut "eine erschreckende Missachtung unserer Verfassung und der Verfassungsorgane". Die Argumentation des Ministers, Terroristen würden sich um rechtsstaatliche Debatten nicht scheren, könne kein Maßstab für die Politik sein. Piltz warf dem CDU-Politiker vor, er wolle eine verfassungswidrige Maßnahme wider besseren Wissens einführen.

Der Innenminister hatte in der Bild am Sonntag erneut darauf gedrängt, die von ihm für das Bundeskriminalamt (BKA) gewünschte Lizenz für verdeckte Online-Durchsuchungen "schnellstmöglich" in die Novelle des BKA-Gesetzes zu nehmen. Zu den geäußerten Bedenken der roten Roben konstatierte der Minister, Karlsruhe schreibe Urteile, keine Gesetze. Außerdem habe die mündliche Verhandlung gezeigt, dass es kein grundsätzliches Verbot von Online-Ermittlungen gebe. "Also muss die Politik jetzt handeln; die Bevölkerungsmehrheit sieht das längst so."

Bundeskanzlerin Angela Merkel gab Schäuble ein weiteres Mal Rückendeckung. Schäuble habe mit seiner Forderung Recht, sagte die CDU-Politikerin am Freitagabend auf einer Regionalkonferenz der CDU in Hamburg. Der Staat müsse auf Festplatten Zugriff haben, wenn darauf Anhaltspunkte dafür vorhanden seien, dass ein terroristischer Anschlag geplant sei. Die innenpolitischen Sprecher von CDU und CSU in Bund und Ländern bekräftigten auf ihrer Jahrestagung in Cuxhaven ebenfalls die Forderung nach Online-Razzien. Diese müssten nach richterlicher Anordnung und Genehmigung heimlich, also ohne Wissen des Betroffenen möglich sein, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung.

Erwogen werden soll demnach aber ein Vorschlag des BKA-Chefs Jörg Ziercke, ob zusätzlich eine vertrauliche Unterrichtung eines parlamentarischen Kontrollgremiums notwendig sei. Die Unionspolitiker erklärten zudem, es sei nicht geplant, Computer von unbescholtenen Bürgern zu durchsuchen. Die Ausforschung "informationstechnischer Systeme" solle sich nur gegen "mittels umfangreicher Vorfeldermittlungen identifizierte Gefährder" richten.

Die Opposition im nordrhein-westfälischen Landtag will derweil die umstrittene Befugnis zu Netzbespitzelungen für den NRW-Verfassungsschutz auch auf Landesebene auf den Prüfstand stellen. "Die Verhandlung bestätigt uns in unserem Vorhaben, umgehend auf der Grundlage des verfassungsrechtlichen Gutachtens zu diesem Gesetz eine Normenkontrollklage beim Verfassungsgerichtshof NRW in Münster einzureichen", teilten die innenpolitischen Sprecher von SPD und Grünen, Karsten Rudolph und Monika Düker, in Düsseldorf mit. Gegen das federführend von NRW-Innenminister Wolf (FDP) geschmiedete Gesetz, das einen "heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme" erlaubt, werde im November in Münster Klage eingereicht. (Stefan Krempl) / (vza)