So ist die Google Glass

Lange hat ein Produkt nicht mehr einen derartigen Hype ausgelöst wie die Datenbrille des Technologie-Giganten Google. Technology Review hat sie als erstes Medium in Deutschland ausprobiert.

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Von
  • Robert Thielicke

Lange hat ein Produkt nicht mehr einen derartigen Hype ausgelöst wie die Datenbrille des Technologie-Giganten Google. Technology Review hat sie als erstes Medium in Deutschland ausprobiert.

Kürzlich wurden die ersten 3000 Google Glasses verschickt. In Berlin habe ich eines der begehrten Modelle in die Hand bekommen und aufgesetzt. Sie ist leicht und erstaunlich wenig störend, das ist der erste Eindruck. Der zweite: Das Display hat längst nicht die Schärfe eines Smartphones, einzelne Bildpunkte sind sichtbar. Aber da die gezeigten Inhalte so dicht vor dem Auge liegen, ist es kein Problem, die Uhrzeit oder den Betreff einer Email zu lesen. Ob die Auflösung des Displays auch reichen würde, um beispielsweise die Details einer Karte zu erkennen, während die Brille mich durch eine Stadt lotsen würde, konnte ich nicht feststellen. Denn um Inhalte aus dem Web anzeigen zu können, muss der Träger sie über Bluetooth mit einem Smartphone koppeln – und das klappte während meines Kurzzeit-Tests nicht. Ein Display so unmittelbar vor dem Auge zu tragen, ist allerdings gewöhnungsbedürftig und lenkt schnell ab. Allerdings ist die Brille normalerweise im Standby-Modus. Erst der Befehl „Okay Glass“ weckt sie auf.

Gegeben hat mir die Datenbrille Robert Scoble auf der Digital-Konferenz „Next“ in Berlin. Scoble ist einer der bekanntesten Tech-Blogger und ein alter Hase des Silicon Valley. Er gehört zu den ersten, denen Google überhaupt ein Modell geschickt hat. Seit einer Woche prüft er nun, was es mit dem vermeintlich revolutionären Produkt auf sich hat. Sein fundierteres Urteil fällt wie mein Kurz-Eindruck durchwachsen aus: „Sie haben einige Kompromisse gemacht, damit das Device nicht zu teuer wird“, meint er. Der Prozessor sei vergleichsweise langsam, Anrufe klängen über das eingebaute Mikrophon recht dumpf, die Auflösung der Videokamera hinke weit hinter jener in den meisten Smartphones her, die Batterie schwächele schnell. „Schon nach sechs Minuten Videoaufzeichnung war die Ladekapazität um 20 Prozent gesunken“, berichtet Scoble. Was aber auch sein Gutes hat. „Niemand muss fürchten, dass jemand mit dem jetzigen Modell den ganzen Tag herumläuft und alles mitschneidet.“

Gesteuert werden kann Google Glass entweder per Wischbewegung am Rahmen entlang oder über Sprachbefehle. Das klappt laut Scoble verlässlich, auch, da es nur wenige klar definierte Kommandos gibt. Neben „Okay Glass“ sind das beispielsweise „Take a picture“, „Take a video“ oder „Show me direction“. Die Spracherkennung versteht sogar verschiedene englische Akzente – bisher allerdings kein Deutsch. Nicht möglich ist Augmented Reality, also die Fähigkeit, über reale Bilder einen zweiten Level aus digitalen Zusatzinformationen zu legen. Der Nutzer kann demnach beispielsweise nicht vor dem Parlamentsgebäude in Berlin stehen und sich anzeigen lassen, welche Schäden es durch den Reichstagsbrand 1933 erlitten hat.

Für Scoble waren die 1500 Dollar, die er für die Datenbrille bezahlt hat, dennoch gut investiert. Ich bin nicht ganz überzeugt. Aber sollte sie in etwa zwei Jahren 200 Dollar kosten, wie Scoble prophezeit, wäre es durchaus eine Überlegung – wenn in der gleichen Zeit auch die Elektronik schrumpfen und das Design etwas eleganter würde. Dann dürften auch die App-Entwickler Wege gefunden haben, wie uns das Gadget im Alltag helfen könnte. Ich würde sie aber selbst dann kaum den ganzen Tag über tragen – sondern vielleicht im Auto als Navigationshilfe. Oder um mir Aufbauanleitungen von Ikea-Möbeln einspielen zu lassen.

(rot)