Sicheres Simsen unterwegs

Forscher an der University of Manitoba haben eine Technik entwickelt, die vielbeschäftigte Smartphone-Nutzer warnen kann, bevor sie in Autos, Laternen oder andere Menschen krachen.

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Von
  • Rachel Metz

Forscher an der University of Manitoba haben eine Technik entwickelt, die mobile Smartphone-Nutzer warnen kann, bevor sie in Autos, Laternen oder andere Menschen krachen.

Handy-Süchtige kennen das Problem: Konzentriert man sich beim Gehen auf Straße oder Bürgersteig zu intensiv auf das Gerät, kann man schnell einen Unfall produzieren. Der kanadische Wissenschaftler Juan-David Hincapie-Ramos hat Mitleid mit dieser Personengruppe und deshalb nun eine neuartige Kombination aus Hard- und Software entwickelt, die eine Art Frühwarnsystem für Smartphone-Abgelenkte darstellt.

Der Postdoc am Human-Computer Interaction Lab der University of Manitoba im kanadischen Winnipeg entwickelte zusammen mit Kollegen ein System namens CrashAlert, das eine Tiefenkamera nutzt, um Hindernisse frühzeitig zu erkennen und eine Warnung auf dem Smartphone-Bildschirm anzuzeigen, bevor es zu spät ist. So soll es möglich sein, sich auch beim Gehen voll und ganz auf die neuesten E-Mails und Twitter-Botschaften zu konzentrieren, ohne eine Verkehrsgefährdung darzustellen.

Hincapie-Ramos räumt zwar ein, dass es besser wäre, die Menschen dazu zu bringen, unterwegs einfach mal ihr Gerät wegzustecken. Doch das sei eben mittlerweile unrealistisch. "Die Leute werden nicht einfach aufhören, beim Laufen zu simsen. Um Handys an unsere Alltagsgewohnheiten anzupassen, müssen sie deshalb selbst dabei helfen, uns das zurückzugeben, was wir durch sie verlieren." Dazu gehöre oft genug das periphere Erfassen der Umgebung.

Der Forscher hofft, dass seine Lösung demnächst in erste Geräte eingebaut werden kann. Der Prototyp, den Hincapie-Ramos mit dem Juniorprofessor Pourang Irani umgesetzt hat, besteht derzeit aus einem sieben Zoll großen Acer-Tablet, an das ein kostengünstiger Microsoft-Kinect-Bewegungssensor angeschlossen ist. Und noch ist das System reichlich unpraktisch: Ein Laptop mit großer Batterie, an dem die Kinect-Hardware hängt, muss in einem Rucksack mitgeführt werden.

Um eine Aufgabe zu simulieren, die ähnlich viel Konzentration wie das Schreiben von SMS verlangt, dabei aber erfassen kann, wie praktikabel CrashAlert tatsächlich ist, nutze das Forscherteam ein "Whac-a-Mole"-artiges Spiel. Die acht Versuchspersonen, die es gewohnt waren, beim Laufen SMS zu versenden, spielten auf den Tablets und versuchten dabei, sich durch eine volle Cafeteria zu bewegen. Um sicherzustellen, dass jede Person mindestens vier potenzielle Kollisionen abbekam, musste sich ein Freiwilliger ihnen regelmäßig in den Weg stellen.

Die Forscher übermittelten die Warnmeldungen der Tiefenkamera mit Hilfe verschiedener Darstellungsmethoden innerhalb eines Rechtecks am oberen Rand des Tablet-Bildschirms. Jedes Mal, wenn ein Hindernis nur noch zwei Meter entfernt war, gab es ein kleines rotes Quadrat zu sehen. Geprüft wurde dann, wie weit die Nutzer gehen konnten, ohne irgendwo dagegen zu laufen, wie erfolgreich sie trotzdem beim "Whac-a-mole" waren und wie viele Zusammenstöße sie verursachten (oder vermieden). Laut Hincapie-Ramos fühlten sich die CrashAlert-Nutzer insgesamt sicherer und wichen Hindernissen schneller aus, ohne dass ihre Leistungsfähigkeit im Spiel litt.

Derzeit arbeiten die Forscher an einem Prototypsystem, das ohne Laptop und großen Kinect-Sensor auskommt und in ein Handy-Gehäuse passt. Auch an der Software wird gefeilt. Das Team glaubt, dass es leicht für Smartphone-Hersteller wäre, ein Warnsystem wie CrashAlert einzubauen. Bilderkennungssysteme seien grundsätzlich gut geeignet, Smartphones bessere Daten über ihre Umgebung zu liefern.

Nicht alle Experten finden die Idee gut. Clifford Nass, Professor für Human-Computer Interaction an der Stanford University, sieht in CrashAlert gar ein Beispiel für den zunehmenden Rückzug aus der realen Welt. "Warum wollen wir die Leute auch noch dazu ermutigen, sich von der Menschheit abzukoppeln?"

Juan Pablo Hourcade, Juniorprofessor für Human-Computer Interaction an der University of Iowa, ist nicht ganz so pessimistisch. Auch wenn CrashAlert es erlaube, sich von der Umwelt noch mehr zurückzuziehen, sei es doch mit solchen Systemen beispielsweise möglich, Nutzer automatisch auf in der Umgebung anwesende Freunde aufmerksam zu machen. (bsc)