34.443 Klageschriften gegen die Vorratsdatenspeicherung

Die größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik ist in Karlsruhe angekommen. Nach der Einreichung von acht Vollmachten von Erstbeschwerdeführern liegen dem Verfassungsgericht nun auch die übrigen vor.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 482 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Die größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik ist komplett in Karlsruhe angekommen. Nach der Einreichung von acht Vollmachten repräsentativ ausgewählter Erstbeschwerdeführer Ende vergangenen Jahres hat der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung am heutigen Freitag insgesamt 34.443 Klageschriften gegen die verdachtslose Protokollierung von Telefon- und Internetdaten dem Bundesverfassungsgericht übergeben.

Der zuständige Rechtsanwalt Meinhard Starostik wachte darüber, wie Aktivisten den Schriftsatz mit 331 Seiten sowie die fünfstellige Zahl an Vollmachten in 12 Umzugskartons zur Poststelle der Karlsruher Rechtsinstanz trugen. Zuvor waren Helfer des Anwalts mehr oder weniger Tag und Nacht im Endspurt damit beschäftigt, die ihm zugestellten Bevollmächtigungen für die "Massenbeschwerde" zu erfassen und einzuscannen.

Zuvor hatten mit Roben bekleidete Mitglieder des Zusammenschlusses von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern am Platz der Grundrechte in Karlsruhe symbolisch 17 Thesen "zur Verteidigung der Grundrechte in der heutigen Zeit" angeschlagen. Für jeden entsprechenden Artikel im Grundgesetz nagelten sie eine Forderung an wie: "Ich möchte meine E-Mails genauso unbeobachtet lesen und empfangen wie meine Briefe". Auf der Rückseite der Zettel standen Äußerungen von Politikern wie die Ansage von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): "Es kann doch keinen Raum geben, in dem Terroristen sicher sein können, dass sie sich austauschen können, ohne dass der Staat einen Zugriff hat."

Vertreter des Arbeitskreises gegen die Anfang Januar in Kraft getretene Vorratsdatenspeicherung forderten Regierung und Parlament auf, eine unabhängige Überprüfung aller seit 1968 beschlossenen Überwachungsgesetze auf ihre Effizienz und schädlichen Nebenwirkungen hin einzuleiten. Darüber hinaus müssten neue Gesetzesvorhaben wie die Überwachung von Flugreisenden, das geplante zentrale Melderegister, der biometrische Personalausweis sowie die Präventivbefugnisse für das Bundeskriminalamt einschließlich der vom Verfassungsgericht gerade zurechtgestutzten Möglichkeiten für heimliche Online-Durchsuchungen sofort gestoppt werden.

Mit der Sammelbeschwerde verknüpft ist ein Eilantrag auf Aussetzung der gigantischen Sammlung von Telekommunikationsdaten, über den Verfassungsrichter im März nach der Klärung der Zuständigkeiten innerhalb des Gerichts entscheiden wollen. Am Monatsanfang hatten sie das Begehr der Bürgerrechtler zunächst Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat und den Länderregierungen zur Stellungnahme zugeleitet. Dabei fragte das Gericht unter anderem, ob es zutreffe, dass auch ohne Vorratsdatenspeicherung nur zwei Prozent der Abfragen von Verbindungsdaten erfolglos bleiben. Gesondert gegen die Novelle der Telekommunikationsüberwachung geklagt haben Bundestagsabgeordnete der FDP sowie der Grünen.

Mit juristischen Schritten wollen sich die Aktivisten nicht begnügen. Der Arbeitskreis zählt so neben der Bürgerrechtsinitiative "Freiheit ist Sicherheit", dem Chaos Computer Club (CCC) sowie lokalen Verbänden der Grünen, der Linken und der Piratenpartei zu den Unterstützern einer erneuten Demo "gegen die immer weiter fortschreitende Überwachung durch Staat und Wirtschaft" am 15. März in Köln. Dabei sollen besorgte Bürger einmal mehr unter dem Motto "Für ein Morgen in Freiheit!" auf die Straße gehen. Treffpunkt ist um 14 Uhr auf der Domplatte. Zu den Forderungen gehört unter anderem ein Stopp der Vorratsdatenspeicherung sowie der Pläne zur Ausspähung von IT-Systemen; die ausführlichsten Informationen zur Demo bietet gegenwärtig die Website von "Freiheit ist Sicherheit".

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries verteidigte die pauschale Aufzeichnung der elektronischen Spuren der Nutzer derweil erneut. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte die SPD-Politikerin: "Wir nutzen hier die Möglichkeiten, die es seit jeher gibt, und bauen diese nach den EU-Richtlinien aus." Dass die Brüsseler Vorgaben nicht vom Himmel fallen, thematisierte sie nicht. Zugleich räumte sie ein, dass die Grundrechte in der Hektik der Berliner Politik in gewisser Weise einem "Terror-Realisierungsvorbehalt" unterstünden. Was nütze einem das beste Grundrecht, fragte sie, "wenn ich konkret fürchten muss, dass abends in der U-Bahn eine Bombe hochgehen kann". Da seien Sicherheitsmaßnahmen nötig, die aber die Grundrechte wiederum nicht unbedingt massiv einschränken müssten.

Siehe zur aktuellen Entscheidung über die heimliche Online-Durchsuchung von PCs:

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)