Adobe probiert Hardware

Erstmals in der Firmengeschichte stellte Adobe in Los Angeles gleich drei Projekte vor, die sich mit Hardware beschäftigen. Ob man sie selbst auf den Markt bringen will, steht noch nicht fest.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 11 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Frank Puscher

Wird Adobe die Hardware selbst herstellen und verkaufen?

Ein auf den ersten Blick unscheinbarer digitaler Stift, Codename Projekt Mighty, markiert einen spannenden Kulminationspunkt in der Adobe-Geschichte. Nachdem man sich soeben aus dem Distributionsgeschäft in Sachen Software verabschiedet hat, will der Softwareriese nun ausziehen, um die Hardware-Händler zu beglücken – obwohl es eine Reihe von Hardwarefirmen gibt wie Wacom, die sich auf die Ergänzung von Adobes Software durch passende Kreativ-Hardware spezialisiert haben. "Wir sind die einzigen, die vom Anfang bis zum Ende genau wissen, was die Designer wünschen", verteidigt Adobe-CEO Shantanu Narayen den Vorstoß bei der Präsentation auf der Hausmesse Adobe Max.

Das Konzept des Mighty ist so simpel und schlüssig, dass man sich wundert, warum Wacom einen solchen Stift nicht längst produziert hat. Er verbindet sich via Bluetooth mit dem Tablet, auf dem eine App wie Adobe Ideas läuft. Dann kann Mighty nicht nur Zeichnen und Radieren, er verfügt auch über ein Kontextmenü, mit dem er auch Speichern, Dateien öffnen oder Zusatzfunktionen auslösen kann. Eine sehr gelungene Implementierung zeigt das Farbsystem Kuler, mit dem der Mighty-Benutzer Farbschemata aufrufen und für die Zeichnung verwenden kann.

Die Akkulaufzeit des digitalen Stifts soll bei 30 Stunden liegen.

Und genau hier liegt für Adobe der Schlüssel: Die Kuler-Einbindung kommt aus der Cloud. Mighty nutzt die Netzverbindung des Tablets, um online zu gehen. Selbst die Zwischenablage – Mighty kann Zeichnungen oder Bilder kopieren und wieder einfügen – arbeitet nicht über den internen Speicher. Der ist im Prototyp nur acht Kilobyte groß. Tatsächlich liegt im Speicher nur ein Referenzcode. Die eigentlichen grafischen Daten liegen wiederum auf den Adobe-Servern. Theoretisch kann Mighty also auch Bildelemente von einem Tablet zu einem anderen "übertragen", sofern beide Zugang zur Creative Cloud haben. Narayen hat also recht: Diese Form der Integration von Hardware, Software und Cloud kann derzeit nur Adobe.

Mighty fühlt sich extrem intuitiv an. Das Tablet unterscheidet tatsächlich, ob ein Finger oder die Stiftspitze den Bildschirm berühren. Das ermöglicht, dass der Künstler mit dem Stift Farbe aufträgt und mit der freien Hand verwischt – ein Prozess, der aus der analogen Welt vertraut wirkt. Adobe selbst fehlt noch das umfassende Mal- und Zeichenprogramm, um die Möglichkeiten voll auszureizen.

Napoleon und Mighty integrieren sich sehr intuitiv in die kreative Arbeit mit dem Tablet.

In der proprietären Einbindung liegt einerseits Marktpotential, andererseits aber auch Gefahr. Adobe gibt sich seit dem Flash-Debakel sehr viel Mühe, das Commitment zu offenen Standards und offenen APIs zu betonen. Wenn man anderen Hardwareherstellern den Zugang zur Cloud nicht öffnen würde, verlöre man nicht nur Reputation, sondern auch das kreative Potential des Wettbewerbs unter den Hardwareherstellern.

Napoleon nennt Adobe das zweite Stück Hardware, dass es auf der Max präsentiert. Dabei handelt es sich um ein schickes kleines Lineal, das in der Lage ist, perfekte Linien, Kreisbögen oder Winkel zu zeichnen. Schiebt man das schicke Gadget über das Tablet, wandern halbtransparente Hilfslinien mit. Kaum ein Besucher, der nicht sowohl Stift als auch Lineal (in der Kombination „Mighty Napoleon“) mit nach Hause genommen hätte.

David Whadwani präsentiert Context, die interaktive Pinwand fürs Büro.

Das dritte Hardwareprojekt fand dagegen nur in einer Keynote statt. Gemeinsam mit der Redaktion von Wired hat man eine digitale Pinwand erdacht, die sich ebenfalls mit der Cloud und auch mit umgebenden iPads verbindet. Sie soll das redaktionelle Finish digitalisieren, das bei Wired noch mit Papierfahnen gebastelt wird. Tatsächlich aber zeigt das Projekt "Context" die größere Stärke bei der App-Entwicklung. Hier kann die horizontale und vertikale Navigation auf einem riesigen Bildschirm gezeigt und manipuliert werden. (jo)