Analyse: Das Urteil des BGH zur Autocomplete-Funktion von Google

Der BGH orientiert sich in seinem Urteil an den Grundsätzen der Störerhaftung. Außerdem weist es nach Ansicht des Fachanwalts Thomas Stadler sowohl eine europarechtliche als auch eine verfassungsrechtliche Komponente auf.

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Von
  • Thomas Stadler

Google präsentiert bei der Eingabe von Suchbegriffen in die Suchmaske Vorschläge zur Vervollständigung der Suchanfrage. An dieser Autocomplete-Funktion hatte sich im vergangenen Jahr unter anderem Bettina Wulff gestört und Google auf Unterlassung verklagt, weil die Suchmaschine dem Nutzer bei Eingabe ihres Namens vorgeschlagen hatte, die Suche um Begriffe wie "Rotlicht" oder "Escort" zu ergänzen. Nach der Aussage von Google schlägt diese Funktion automatisiert aber einfach nur diejenigen Begriffe vor, nach denen die Nutzer am häufigsten suchen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem anderen Fall nun entschieden (Az.: VI ZR 269/12), dass eine Haftung von Google für eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch seine Autocomplete-Funktion zumindest in Betracht kommt. Der BGH hat die Ergänzungsvorschläge "Scientology" und "Betrug" bei Eingabe des Namens des Klägers in die Suchmaschine als Verletzung des Persönlichkeitsrechts bewertet, da sie die Aussage enthalte, zwischen dem Kläger und den negativ belegten Begriffen "Scientology" und/oder "Betrug" bestehe ein sachlicher Zusammenhang.

Was die Haftung von Google angeht, orientiert sich der BGH dann an den Grundsätzen der (mittelbaren) Störerhaftung, ähnlich wie es das Gericht bei der Verantwortlichkeit von eBay oder der Haftung von Hostern und Forenbetreibern in der Vergangenheit schon getan hat. Google haftet danach grundsätzlich erst ab dem Zeitpunkt der Kenntnis von der Persönlichkeitsrechtsverletzung und muss deshalb nicht vorab die automatisiert erzeugten Ergänzungsvorschläge auf Rechtsverletzungen hin überprüfen.

Ab dem Zeitpunkt der Kenntnis ist Google nach der Mitteilung des BGH allerdings verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sich derartige Verletzungen künftig nicht wiederholen. Ob Google diese Vorgabe technisch sinnvoll umsetzen kann und will oder sich nunmehr dafür entscheidet, die Autocomplete-Funktion für Deutschland vollständig abzuschalten, bleibt abzuwarten.

Die Mitteilung des BGH lässt Raum für Spekulationen über die Reichweite des Urteils, denn der Kläger hatte sich ausdrücklich darauf berufen, dass es kein einziges Suchergebnis gegeben habe, aus dem sich eine Verbindung zwischen ihm und "Scientology" beziehungsweise "Betrug" ergeben hätte. Ob der BGH sein Urteil maßgeblich auf diesen Aspekt stützt oder die Wortkombination ganz generell für rechtsverletzend hält, dürfte entscheidend dafür sein, welche Auswirkungen das Urteil tatsächlich haben wird.

Dies soll anhand eines aktuellen Beispiels verdeutlicht werden. Wenn gegen eine bestimmte Person bereits ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren läuft, über das die Presse auch schon berichtet hat, dann findet man bei der Google-Suche meist auch entsprechende Suchtreffer. Gibt man beispielsweise den Begriff "Hoeneß" bei Google ein, schlägt die Autovervollständigung unter anderem die Begriffe "Steuer" und "Gefängnis" vor. Ergänzt man die Suchanfrage nun um den Begriff "Gefängnis", dann bestehen die ersten fünf Treffer ausschließlich aus Artikeln von Tageszeitungen, die sich mit der Frage beschäftigen, ob Uli Hoeneß wegen der bundesweit diskutierten Steueraffäre eine Gefängnisstrafe droht.

Könnte man Google also auch in diesem Fall verbieten, durch die Autocomplete-Funktion den eventuell ehrenrührigen Zusammenhang zwischen dem Namen Hoeneß und dem Begriff Gefängnis herzustellen oder darf Google wegen der bereits vorhandenen umfangreichen Berichterstattung diese Begriffe bei der Autovervollständigung weiter vorschlagen? Entscheidend ist letztlich, ob man den Inhalt der von Google gefundenen Ergebnisseiten ebenfalls in die Betrachtung einbeziehen muss oder nicht.

Ob eine bestimmte Äußerung noch von der Meinungsfreiheit gedeckt ist oder die Persönlichkeitsrechte eines anderen verletzt, kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BGH nämlich nur nach Würdigung des gesamten Kontexts, in dem die beanstandete Äußerung steht, beurteilt werden. Nachdem vom Schutz der Meinungsfreiheit unter Umständen auch die bloße Weitergabe von Aussagen Dritter umfasst ist, müsste dieser Gesamtzusammenhang auch hier von Bedeutung sein.

Aber was ist bei der Autovervollständigung der rechtlich relevante Kontext? Hätte der BGH also eventuell anders entschieden, wenn es zur Person des Klägers bereits Berichte über einen Betrugsvorwurf gegeben hätte, die auch in der Trefferliste aufgetaucht wären? Ob sich der BGH mit diesen Fragestellungen auseinandergesetzt hat, wird man erst erfahren, wenn das schriftliche Urteil vorliegt.

Die Entscheidung des BGH weist außerdem sowohl eine europarechtliche als auch eine verfassungsrechtliche Komponente auf. Es stellt sich nämlich die Frage, ob sich Google nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als Dienst der Informationsgesellschaft auf die Haftungsprivilegierung der E-Commerce-Richtlinie berufen kann, auch wenn der BGH das für Unterlassungsansprüche bislang verneint hat. Nachdem der Senat aber nicht an den EuGH vorgelegt hat, wird diese Frage jedenfalls in diesem Verfahren offen bleiben. Denkbar ist außerdem, dass Google Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BGH erhebt und als Informationsvermittler eine Verletzung von Art. 5 Grundgesetz rügt.

Thomas Stadler ist Fachanwalt für Informationstechnologierecht und gewerblichen Rechtsschutz in der Münchener Kanzlei Alavi/Frösner/Stadler sowie Betreiber des bekannten juristischen Blogs internet-law.de. (hob)