Starker Pudding

Schon lange schwärmen Wissenschaftler von Nanocellulose als neuem Wunderwerkstoff. Doch bisher ließ sie sich nicht im industriellen Maßstab herstellen. Nun gehen die ersten Fabriken in Betrieb.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 3 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von

Schon lange schwärmen Wissenschaftler von Nanocellulose als neuem Wunderwerkstoff. Doch bisher ließ sie sich nicht im industriellen Maßstab herstellen. Nun gehen die ersten Fabriken in Betrieb.

Es gibt offenbar kaum etwas, was Nanocellulose nicht kann: Wunden verschließen, Häuser isolieren, Schadstoffe filtern, Kunststoffe verstärken, Soßen verdicken. Dazu ist sie umweltfreundlich und ungefährlich. Der Chemiker Dieter Klemm, der Nanocellulose seit 15 Jahren erforscht, spricht von "einzigartigen und potenziell wertvollen Eigenschaften". Ein Wunderwerkstoff also – wäre da nicht die schwierige Herstellung. Pflanzen synthetisieren Cellulose, den Hauptbestandteil von Holz, zwar schon seit Jahrmillionen, doch die Menschheit tat sich bisher schwer, daraus die vielseitige Nanocellulose zu gewinnen. Bisherige Verfahren bestanden meist darin, Cellulose mit chemischen Zusätzen und hohem Druck von den restlichen Pflanzenteilen zu trennen und bis in den Nanometer-Bereich aufzuspalten. Das verbraucht nicht nur viel Energie, sondern beschädigt auch die wertvollen Fasern ("Fibrillen"). Neue Ansätze bringen das begehrte Bio-Polymer nun in Reichweite.

"Nanocellulose" steht als Oberbegriff für drei verschiedene Fasertypen:

  • "Mikrofibrillierte Cellulose" (MFC) besteht aus Fasern, die bis zu 60 Nanometer dick und einige Hundert Nanometer lang sind. Sie eignen sich unter anderem als Verdickungsmittel von Lebensmitteln. Nach brauchbaren kommerziellen Anwendungen suchen die Forscher allerdings noch.
  • "Nanokristalline Cellulose" (NCC) setzt sich aus Kristallen zusammen, die etwas dünner und deutlich kürzer sind als die MFC-Fasern. NCC wird seit Kurzem von drei Fabriken in Kanada, den USA und Schweden hergestellt. Diese Nanokristalle sind im Verhältnis zu ihrem Gewicht etwa achtmal so zugfest wie Edelstahl und etwa so biegesteif wie Kevlar oder Glasfaser. Forscher erhoffen sich von ihnen eine preiswerte und umweltfreundliche Alternative zu Carbonfasern. Da NCC zudem elektrisch leitfähig ist, arbeiten Forschergruppen auch an ihrem Einsatz in der Elektronik.
  • "Bakterielle Nanocellulose" (BNC) mit ihren 20 bis 100 Nanometer dicken Fasern ist das eigentliche Lieblingskind der Forscher. Ihre Herstellung und Eigenschaften unterscheiden sich radikal von ihren Geschwistern. Sie wird nicht aus Pflanzencellulose gewonnen, sondern von Bakterien aus Bausteinen wie Traubenzucker neu zusammengesetzt.

Zunächst scheiden die Bakterien dabei Cellulosefibrillen aus. Diese Fasern vereinen sich zu Bändern und dann zu dreidimensionalen Netzen. Das Endprodukt ist ein festes Gebilde, das – ähnlich wie menschliches Gewebe – knapp das Hundertfache seines Eigengewichts an Wasser binden kann. Diese Eigenschaft macht BNC interessant für medizinische Anwendungen, etwa als Wundauflage. Die Art der Vernetzung lässt sich schon während der Herstellung durch bestimmte Stellschrauben beeinflussen – beispielsweise über den eingesetzten Bakterienstamm, die Temperatur oder die Nährstoffversorgung.

Dieter Klemm forscht in zwei Spin-offs der Uni Jena, der "Polymet Jena Association" und der "Jenpolymer Materials", an medizinischen Anwendungen der Nanocellulose. Dabei nutzt er aus, dass sich die Fasernetze schon bei der Synthese in die gewünschte Form etwa als Vlies, Film oder Hohlkörper bringen lassen. Wenn er die Bakterien etwa auf einem Zylinder wachsen lässt, verbinden sich die von ihnen produzierten Fasern zu einer dichten Hülle. Entfernt man die Form, bleibt ein Röhrchen aus Nanocellulose übrig, das sich direkt als Implantat für Blutgefäße einsetzen lässt. Solche Implantate testet Klemm bereits an Tieren.

Lange fehlte aber auch hier eine ausreichende Menge an Rohstoff. Nun ist Malcolm Brown von der University of Texas in Austin ein entscheidender Schritt in diese Richtung gelungen. Zu den wenigen Organismen, die in der Natur Nanocellulose synthetisieren, gehören die Essigsäurebakterien der Gattung Acetobacter. Sie verlangen allerdings nach hochreinen Nährstoffen, damit sie in den industriellen Fermentern gedeihen. Brown hat deshalb die für die Cellulose-Produktion zuständigen Gene von Acetobacter in robustere Blaualgen eingeschleust. Diese brauchen zum Leben nur Wasser, Luft und Sonne. Derzeit arbeitet Brown daran, das Verfahren vom Labor auf den industriellen Maßstab zu übertragen. "Wenn wir das schaffen, haben wir einen der wichtigsten landwirtschaftlichen Umbrüche aller Zeiten erreicht", sagt Brown.

Bereits einen Schritt weiter ist das polnische Unternehmen Bowil Biotech in Wladyslawowo nahe Danzig. Es will als erstes BNC in pharmazeutischer Qualität industriell herstellen – und zwar mit Acetobacter. Die Fabrik ist derzeit im Bau und soll ab Ende 2013 jährlich 15000 Quadratmeter BNC-Film produzieren. Die ersten Produkte werden Wundverbände sein. In klinischen Tests hat sich gezeigt, dass sich BNC-Verbände etwa bei Verbrennungen den Befall mit Bakterien vermindern, der Verband muss seltener gewechselt werden. Zudem will das Unternehmen kosmetische Hautmasken sowie Diät- und Ernährungsprodukte auf BNC-Basis herstellen.

Bis zu einer wirklich breiten Anwendung von Nanocellulose sind noch weitere Hürden zu nehmen. So können verschiedene Bakterienstämme, Kultivierungs- und Aufarbeitungsverfahren zu Nanocellulose mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften führen. "Diese Parameter müssen Teil eines standardisierten Verfahrens werden", sagt Dieter Klemm. "Vieles ist in der Entwicklung noch am Anfang." Der Start von Bowil Biotech dürfte jedoch einen großen Schritt nach vorn bedeuten. ()