Forschung an der Wissensvermittlung der Zukunft

Staubige Bilder, endlose Korridore und die einschläfernde Stimme eines Kuratoren: Besonders bei jungen Leuten haben Museen oft ein echtes Image-Problem. Tübinger Forscher wollen deshalb dafür sorgen, dass die Zukunft bald auch im Museum Einzug hält.

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Von
  • dpa

In der Mitte des abgedunkelten Raums steht ein Tisch mit einer beleuchteten Oberfläche. Darauf verteilt scheinen kleinere Abbilder der ausgestellten Kunstwerke zu liegen. Ein Junge zieht wie auf einem Smartphone mit seinen Fingern das Bild der Mona Lisa auf dem Tisch hin und her, vergrößert und verkleinert es. Ein älterer Herr legt sein iPad auf die Oberfläche – und prompt erscheint auf der Tischoberfläche eine bunte Ansammlung an Zusatzinformationen zu Dürers Selbstporträt.

So etwa könnte schon bald ein Museumsbesuch aussehen. Seit Mitte 2009 arbeiten Wissenschaftler des Tübinger Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM) zusammen mit dem Herzog Anton Ulrich Museum in Braunschweig an dem interdisziplinären Projekt Eyevisit. "Unser Ziel ist es, Informationen in Zukunft intuitiver, personalisierter und vor allem auch multimedialer zu vermitteln", so Peter Gerjets, der gemeinsam mit seinem Kollegen Stephan Schwan für die Leitung des Projekts zuständig ist.

Der Multi-Touch-Tisch ist eine der zentralen Erfindungen innerhalb des Projekts. Seine Oberfläche ist vergleichbar mit der eines Smartphones oder Tablet-PCs. Kunstwerke müssen hier nicht mehr nur von weitem bewundert werden. Mit den Fingern kann man sie drehen und wenden, ja sogar Farben und Schattierungen lassen sich mit dem digitalen Tisch verändern. Vielleicht fällt beim Experimentieren auf, dass das Licht aus einer ganz bestimmten Richtung auf die Nase der porträtierten Dame fällt. Der Maler hat sich wohl etwas dabei gedacht.

Durch Antippen des Bildes bekommt man schnell zusätzliche Informationen zur Entstehung des Werks durch einen Text oder ein Video auf der Rückseite. "Es gibt interessante Forschungen dazu, dass wir Informationen in der Nähe unserer Hände anders verarbeiten", sagt Gerjets. Gestaltung spielt im Projekt eine wichtige Rolle. Design basiert hier auf psychologischen Forschungserkenntnissen. "Das unterscheidet uns von normalen Anbietern von Informationssystemen für Museen", so der Projektleiter.

Eine andere Idee nennt sich "Fundstücke": Mit einem Smartphone kann der Besucher beim Gang durch eine Ausstellung Kunstwerke vormerken, indem er sie zum Beispiel abfotografiert. Im Museumscafé kann er das Gerät auf einen Multi-Touch-Tisch legen und gemütlich bei einer Tasse Kaffee die Hintergrundinformationen zum Bild lesen. Studien des IWM haben gezeigt, dass auch ältere Leute die digitalen Geräte einem gedruckten Begleitheft vorziehen, wenn man ihnen beides zur Auswahl bereitstellt. Momentan noch vor ihrer endgültigen Realisierung steht die Idee, mithilfe einer Interaktion zwischen Tisch und Smartphone eine personalisierte, also auf jede Person individuell zugeschnittene Führung möglich zu machen.

Auch Thomas Thiemeyer ist der Meinung, dass Museen sich dem Trend zu digitalen Medien auf Dauer nicht entziehen sollten. Er ist Juniorprofessor am Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen und beschäftigt sich seit Jahren mit Museen und der dortigen Wissensvermittlung. "Führungs- und Vermittlungsangebote im Museum zu individualisieren ist eine Entwicklung, die den Museen willkommen ist und der sie sich stellen müssen", sagt er.

Ein Problem bleibt. Mit dem Projekt arbeiten die Wissenschaftler an einer Möglichkeit, dem Besucher das zu liefern, was er möchte. Die Kehrseite dabei ist: Informationen, die aus Sicht von Experten wertvoll sind, dem Laien aber auf den ersten Blick langweilig erscheinen, bleiben bei der personalisierten Führung außen vor. Damit werde dem Besucher eine Möglichkeit genommen, Neues zu entdecken. Die lenkende Hand des Kuratoren wird es nach Thiemeyers Meinung deshalb immer geben müssen. Er sieht jedoch noch eine andere Gefahr. "Das klassische Museum lebt von seinen Objekten. Es gibt gute Gründe, diese in den Mittelpunkt zu stellen. Alles andere ist eine Ergänzung." (uh)