Sie sind tatsächlich da draußen

Das Internet, unser großartigstes Emanzipationsmittel, hat sich in den gefährlichsten Wegbereiter des Totalitarismus verwandelt, mit dem wir es je zu tun hatten... Na, wer hat das gesagt?

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Das Internet, unser großartigstes Emanzipationsmittel, hat sich in den gefährlichsten Wegbereiter des Totalitarismus verwandelt, mit dem wir es je zu tun hatten... Na, wer hat das gesagt?

"Die Welt steuert nicht gemächlich, sondern mit Siebenmeilenstiefeln auf eine neue, transnationale Dystopie zu … Das Internet, unser großartigstes Emanzipationsmittel, hat sich in den gefährlichsten Wegbereiter des Totalitarismus verwandelt, mit dem wir es je zu tun hatten. Das Internet ist eine Bedrohung der menschlichen Zivilisation."

Na, kommt Ihnen das vage bekannt vor? Das ist aus der Einleitung zu "Cypherpunks - Unsere Freiheit und die Zukunft des Internets" von Jacob Applebaum, Andy Müller-Maguhn, Jérémie Zimmermann und Julian Assange. Als die englische Version – im wesentlichen die Mitschrift einer langen Diskussion zwischen den vier Aktivisten – im November 2012 erschien, waren die Reaktionen eher skeptisch. Nach dem Motto: ja, ganz nett. Aber soooo schlimm ist die Lage dann doch nicht und irgendwie ist dieser Assange ja auch ein bisschen durchgeknallt. Wittert halt hinter jedem Busch einen US-Agenten. Und nimmt sich selbst zu wichtig.

Jetzt sind wir schlauer. Zumindest ein bisschen – vieles ist noch unklar. Aber es sieht ganz so aus, als ob die NSA – und wer weiß, wer noch – alles gespeichert hat, was sie bekommen konnten: E-Mails, Suchanfragen, Skype-Telefonate, Facebook-Postings, Tweets, einfach alles. Dagegen ist die Vorratsdatenspeicherung, gegen die sich Datenschützer hier seit Jahren wehren, ein Kindergeburtstag. Mal ganz abgesehen davon, dass die NSA sich die Verbindungsdaten ohnehin auch noch besorgt hat. Was fehlt noch? Flächendeckende Auswertung von Video-Überwachung mit Gesichtserkennung und das Scannen von Nummernschildern? Würde mich nicht wundern, wenn das auch schon läuft.

Gemessen am Ausmaß dieses Skandals sind die Reaktionen bemerkenswert fatalistisch: Na ja, die sind halt so. Man kann ja nix machen, meint sogar ein ansonsten intelligenter Sicherheits-Experte wie Bruce Schneier. Wenn aber eine Demokratie nicht mehr in der Lage ist, ihren eigenen Sicherheitsapparat zu kontrollieren, ist es dann wirklich noch eine Demokratie?

Der zweite Punkt, der mich beunruhigt, ist die Brute-Force-Logik des Prism-Projektes. Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass Überwachung an sich dem Staat noch keinen Informationsvorsprung bringt. Im Gegenteil, manchmal führt mehr Überwachung einfach nur dazu, dass die Überwacher in einem Meer von Daten ersticken. Das scheint hier nicht zu gelten. Prism funktioniert wie die Raupe Nimmersatt – je mehr Daten sie kriegt, desto hungriger wird sie. Die einzig gute Nachricht ist: Wenn man sich ständig verfolgt fühlt, ist man nie mehr allein. (wst)