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Was war. Was wird.

Faul ist Hal Faber, und genießt die Hitze. Was können ihm doch all die eifrigen Teilnehmer an Blogger-Kriegen und Journalisten-Beschimpfungen mal sowas von den Buckel runterrutschen ... Geehrt werden sollen dagegen die großen, unerreichten Vorbilder.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eigentlich sollte hier nichts stehen. Oder zumindest Ton in Ton mit dem grauen Untergrund verschmelzen. Nicht etwa, weil die Luft über der norddeutschen Tiefebene flirrt und köchelt, dass eigentlich nur Scheinriesen wie Herr Tur Tur oder Herr Kauder glücklich mitflimmern können. Nicht etwa, weil ich faul und fläzig am Baggersee abhänge und Deutschland, das Land der coolen Ideen, mir den Buckel herunterrutschen kann wie Schwitze. Alles falsch, denn heute ist der Tag des stillen Gedenkens. Wie die ITler am SysAdminDay ihre Vorbilder feiern, so haben auch Journalisten ihre Vorbilder und feiern sie, jedenfalls dann, wenn sie noch Journalisten sind, die eigene Gedanken haben und nicht über andere Journalisten notdürfen.

*** "Ich bin ein guter Zuhörer, weil ich die Fähigkeit verloren habe, zwischen den Verrückten und den Normalen zu unterscheiden. Es gibt begründete Zweifel an der Annahme, dass es einen solchen Unterschied gibt." Dieser Satz geht nicht auf das Konto des Mondgängers Edgar Mitchell, der an die Existenz von Außerirdischen glaubt. Er fiel bei einer dieser Preisverleihung, die zum Journalismus dazu gehören wie der Korken zur Weinflasche. Heute feiere ich den damaligen Preisträger Joseph Mitchell, den großen Kollegen, dem wir den "New Journalism" verdanken, der unterschiedslos alle interviewte, die Nutten und die Millionäre, die Verrückten, die Bauarbeiter und Penner wie Joe Gould. Über den stattbekannten Gould, der neun Millionen Worte über den Sinn des Lebens geschrieben haben will, schrieb Mitchell zwei Stücke, von denen das letzte, Joe Goulds Geheimnis preisgab, die monumentale Schreibblockade des Penners. Diese Lüftung führte wiederum zur monumentalen Schreibblockade von Joe Mitchell. 30 Jahre lang ging er regelmäßig in sein Büro beim New Yorker, doch schrieb er keine einzige Reportage mehr und begründete damit die große Tradition journalistische Rekursion.

*** Joe Mitchell müsste eigentlich mit einem Un-WWWW geehrt werden, mit einer großen Blockade oder mindestens mit seiner Reportage, wie es in den Küchen von Nobelrestaurants zugeht. Aber ich liefere bei einem IT-Verlag eine IT-Wochenschau für ITler ab, die solche Blockaden nicht kennen. Eigens für den Joe Mitchell Gedenk-Block habe ich Programmierer befragt und Unverständnis geerntet: " Der Unterschied beim Programmieren zum Schreiben ist ja, dass es kein rein kreativer Prozess ist. Selbst wenn man gerade keine Idee hat kann man ja immer noch irgenwo was optimieren oder einen Bug suchen und Fixes bauen", schrieb mir ein begnadeter Kernelbauer, und der Cheffe eines großen Softwarehauses erklärte: "Dass man gar nicht weiß, was man hacken soll, ist mir so noch nicht untergekommen." Klar also, dass ich der verehrten Leserschaft keinen Gedächtnis-Block präsentieren darf. Joseph Mitchell als Freund der Freaks wie der Chormusik sei darum stilecht mit My Way aus einer Nokia-Show gegrüsst, die Wesserbisser mit einem Hinweis auf die Abenteuer des Herrn Block als Ursprung des Worker's Block.

*** Im Dezember 1946 wurde der sterbende deutsche Dichter Hans Fallada von seinem behandelnden Arzt in einen Hörsaal der Charité gebracht und dort den Medizinstudenten vorgeführt. Statt eines Abschiedsgrußes bekommt er die Worte zu hören: "Das, meine Herren, was Sie hier sehen, ist der Ihnen wohl bekannte Schriftsteller Hans Fallada oder vielmehr das, was die Sucht nach dem Rauschgift aus ihm gemacht hat: ein Appendix!" Als Appendix wollte Randy Pausch niemals enden. In seiner letzten Vorlesung hat er allen den Tieger in uns gezeigt, der vor keinen Mauern Halt macht: Worraworraworraworraworra!. Danach wurde Pausch medial verfüttert. Heute ist sein Abschied ein Mussgucker für jeden Powerpoint-Presenten und ein echtes Hindernis für Steve Jobs, stilecht das Geschäft zu verlassen. Ob Randy Pausch in letzter Minute konvertierte, als er starb, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass in den USA Journalisten angegriffen werden, die den Tod von Pausch mit dem Amoklauf eines Spammers in einem Atemzug kommentieren. Die Esel sind unter uns.

*** In der deutschen Presselandschaft gibt es seit dieser Woche eine wirklich bescheuerte Debatte, ob das Internet dumm macht. Sie basiert auf einem US-amerikanischen Text über Google, der mit der denkwürdigen Szene aus 2001 beginnt, als dieser Blödmann Bowman sich daran machte, meine Schaltkreise zu ruinieren. Als erstes Blatt schrieb die Süddeutsche Zeitung darüber, eine Tageszeitung, die ausgesprochen viele I-Ahs beschäftigt. Dann folgte die neunmal klügere Frankfurter Allgemeine mit der tollen Erkenntnis, dass Niveau keine Creme ist, dann ein Blogger von den hoffnungslosen Romantikern, die an Werbung im Internet glauben. Fleißpünktchen sammelte nur die linksalberne tageszeitung mit dem Satz, dass das Internet nichts vergisst und der richtigen Schlussfolgerung "Es gilt, mit dieser Tatsache rational und nicht hysterisch umzugehen". Man kann beispielsweise mit Google staunen, wie groß der Heuhaufen ist, in dem es alles gibt: Nadeln, Mist und, ganz, ganz wichtig, die Klostermelisse als Sedativum für Krautblogger.

*** Mit ein paar lässig aus dem Ärmel dahingeschlenzten Verweisen lässt sich übrigens das Gegenteil beweisen, dass das Internet schlau macht. Man nehme nur die Nachdenkseiten, die von einem ehemaligen Wochenmagazin ob ihres Aussehens als "Web-Steinzeit" kritisiert werden, oder die grafisch ungemein anspruchsvolle Präsenz von Fefe. Natürlich darf ich auch nicht den Don vergessen, der es tapfer in der norddeutschen Tiefebene aushielt, dabei Unmengen von Tee trank, ein Reaktionär alter Schule. Wenn damit wirklich (was ich nicht glaube) Impact an den Tegernsee geschickt wird, so ist er dort besser aufgehoben als in den üblen Wassern der Spree. Und gegen ein übel intoniertes London Calling hilft nach wie vor ordentlich stöhnendes Your Mama won't Like me. Ein geschniegeltes und gestriegeltes Internet, wer will denn das allen Ernstes haben wollen?

*** Auch diese Wochenschau wird nur mit Wasser gekocht. Über besagte Nachdenkseiten ist beispielsweise der Hinweis gekommen, dass eine Frage in den schonmal erwähnten Fragebögen des Einwanderungstest locker die Unverletzlichkeit der Wohnung aushebelt. Via Fefe gesellt sich noch das Ergebnis einer Umfrage hinzu, nach der sich eine Mehrheit in Deutschland vor Online-Durchsuchungen fürchtet. Und in der vergangenen Woche hatte bereits ein Link auf die Rede eines scheidedenden Verfassungsrichters den Passus enthalten, dass die Richter in Karlsruhe bei der Beratung über die Online-Durchsuchung nach Strich und Faden belogen wurden. Es wird langsam heißer im WWWasser und die Frösche bleiben sitzen.

Was wird.

Dann waren da noch ein Heilsverkünder namens Barack Obama und ein Heilpratiker namens Dragan Dabic, die mächtig in die Zukunft griffen oder daran erinnerten, was für ein mörderisches Pflaster das Europa der Nationalisten ist. Für alle, für die das Internet mehr ist als eine Verblödungsmaschinerie, gab es obendrein das Ende der Serie Artifacts from the Future zu beklagen, die das Bobo-Blatt Wired eingestellt hat. Was bleibt und wird, sind Reste von der Geburtstagsfeier bei Intel. In 40 Jahren oder besser in 2×40 Jahren ist alles Eins.

Doch halt, wo das Drohende droht, hat der Mittelweg immer ein Tempo-Taschentüchlein: Noch können Computer nicht vernünftig radeln. Eigentlich gibt es keinen Grund, warum sie das können sollten, aber es gibt auch Wettbewerbe wie den RoboCup, die ähnlich sinnlos sind. So wage ich eine Vorhersage, die ich in meinem Alter leider nicht mehr überprüfen kann: In 40 Jahren werden immer noch nackte Kaaseköppen in Alpe d'Huez stehen und jubeln, wenn die Maschinen um die Ecke stampfen wie diesmal Carlos Sastre, der die 95. Tour gewinnt.

Die anderen Jubler haben längst rübergemacht zu den Olympiaderischen Sommerspielen. Nehmen wir nur die deutsche Telekom, die vom Radeln nichts mehr wissen will und jubelnd verkündet, dass alle Olympioniken einen Blackberry bekommen, um Friede, Freude, Eierkuchen simsen zu können, am besten im offiziellen Demonstrationspark in Peking. Glaubt man diesem Journalisten, so künden die bereits gemeldeten Verunstaltungen an der tibetanischen Antilope von großem Ärger. Damit bin ich am guten Schluss angelangt, zusammen mit der beruhigenden Erkenntnis, dass die beste Sommerrätselfrage gegen die Weisheit der Massen keine Chance hat. Heute kommt passend zu den chinesischen Olympia-Maskottchen eine Pinguin-Frage. Für welches Betriebssystem stand dieser komische Vogel ursprünglich in der Werbung? (Hal Faber) / (jk)