Netz ohne IPv4 – nicht viele Möglichkeiten zum Ausgehen [Update]

Ein Experiment der Internet Society ISOC ergab, dass IPv6 sich inzwischen einfach installieren und benutzen lässt. Allerdings sind im Internet noch sehr wenige Angebote darüber erreichbar.

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Von
  • Monika Ermert

Wie sieht das Netz durch eine IPv6-Brille aus? Aktuell noch recht finster. Das ist das Ergebnis der IPv4-Abschaltung bei der Konferenz der Internet Engineering Task Force (IETF) in Philadelphia vergangene Woche. Gerade mal 750 Domains erreichten die IETF-Besucher im Netz innerhalb der Stunde. Der Datenverkehr auf dem von Comcast eingerichteten 100 Gbps-Konferenznetz sank von 30 Mbps auf 3 Mbps. Zwar ließen sich erstaunlich viele Betriebssysteme auf ein reines IPv6-Netzwerk bringen, sagte der deutsche IPv6-Experte Hans-Peter Dittler nach dem Test. "Allerdings bleiben erschreckend wenig Plätze übrig, wo man hingehen kann."

Windows XP-Nutzer hatten dabei ein paar Hürden zu nehmen, bevor sie sich den Kollegen mit BSD-Derivaten, Linux, Mac oder Windows Vista anschließen konnte. [Update:] XP beherrscht kein IPv6-DHCP. Die Adresse eines IPv6-DNS-Servers ließ sich zwar von Hand eintragen, doch der XP-DNS-Client spricht selbst nur IPv4. Ein lokal auf jeder XP-Maschine installierter BIND-Nameserver sollte hier helfen. XP sprach BIND per IPv4 an, der Nameserver schickte seine Anfragen aber per IPv6 nach draußen – doch das funktionierte erst nach einem Patch für BIND. [/Update]

Wer mit XP auf dem Trockenen saß, freute sich daher über das im Verlauf der Sitzung zugeschaltete Netz, das den lokalen IPv4-Verkehr per Netzwerk Adress Translation (NAT) durchs IPv6-Transportnetz von Comcast schleuste und am Ende wieder in überall gesprochenes IPv4 übersetzte. Die Lösung funktionierte ohne Probleme. Die Alternative wäre das Tunneln des IPv4-Verkehrs durch das IPv6-Netz; dies ist nach Informationen von IETF-Teilnehmern etwa beim chinesischen Forschungsnetz CERNET2 geplant, das als reines IPv6 konzipiert ist. Ohne Tunnel oder NAT hätten strenge Zensoren einen entspannten Arbeitstag.

Leslie Daigle, Chief Internet Technology Officer of the Internet Society (ISOC), die das "IPv6-only"-Experiment in Philadelphia mit vorbereitet hatte, erinnerte vor dem Abschalten der IPv4-Verbindung daran, dass ein solches Szenario keine für die Praxis relevante Übergangsstrategie hergebe. Vielmehr wird der Wechsel nur über den parallelen Betrieb von IPv4 und IPv6 möglich sein.

Das Vorbereiten der eigenen Netze, der eigenen Software oder auch nur der eigenen Laptops auf den reinen IPv6-Datenverkehr sei ein wesentliches Ziel der Aktion gewesen, sagte Daigle gegenüber Heise Online. Mit der Aktivierung von Google, Vorbereitungen bei Organisationen wie dem Virtual Private Network Consortium oder der XP-Hilfe von Seiten der BIND-Entwickler habe man das Ziel erreicht, sagte Daigle. "Es sollte den Leuten ein Kick geben", sagte sie. Auch bei der ISOC, deren Seite als eine von wenigen schon seit längerem von IPv6 aus erreichbar ist, fand man noch einen Fehler: Es fehlte am so genannten "Glue", um die IPv6-Seite über die ISOC-Domain zu erreichen.

Besonders bemerkenswert war nach Ansicht von Dittler letztlich, wie rasch ein Anbieter wie Google ein IPv6-Angebot einrichten kann. Die Trefferlisten erwiesen sich aber als wenig hilfreich, weil kaum eine der gelisteten Seiten über reines IPv6 erreichbar war. Gerade große Portale oder Social Networking Seiten seien aufgefordert, den Schritt zu IPv6 jetzt vorzubereiten, sagt Dittler. Geht man von einer Entwicklungszeit von zweimal zwei Jahren aus, könnte man gerade noch fertig werden, bevor die letzten IPv4-Adressen von den regionalen Internet Registries (RIR) vergeben sind.

Laut den kontinuierlich neu kalkulierten Berechnungen von Geoff Huston, Chief Research Scientist bei APNIC, gehen den RIRs die Adressen im April 2012 aus. Bbei der zentralen Vergabestelle IANA ist schon im Januar 2011 Schluss. John Curran, Vorsitzender beim ARIN, der IP-Adressvergabestelle für Nordamerika, legte in Philadelphia ein Papier vor, das einen straffen, dreistufigen Übergangsplan zu IPv6 vorsieht. Darin vorgesehener Start für Phase eins: "jetzt". Nach 2012 – in der "Nach-Übergangsphase", wie Curran sie beschreibt – "müssen" alle ISPs und Organisationen/Unternehmen IPv6-Dienste anbieten. Die IETF kann allerdings keine verbindlichen Fristen festlegen. Das wäre Sache der Regulierer in den einzelnen Ländern. (Monika Ermert) / (it)