Deutschland kauft ein – nur keine IT

"Kauflaune der Deutschen auf Allzeithoch" schrieb vor wenigen Tagen das Handelsblatt unter Bezugnahme auf den aktuelllen Konsumklimaindex der GfK. Blöd nur, dass von diesem Geldregen bei den IT-Händlern so wenig ankommt.

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Von
  • Damian Sicking

Lieber Euronics-Chef Benedict Kober,

Euronics-Chef Benedict Kober

(Bild: Euronics)

wo immer man derzeit hinhört in der IT- und CE-Branche, es wird geklagt und gejammert. Ja, ich weiß, Jammern ist der Gruß der Kaufleute und so, aber das stimmt ja nicht. Zumindest aus der IT-Branche bin ich anderes gewohnt. Dort ist es eine lange und lieb gewordene Tradition, sich gegenseitig auf die Schultern zu klopfen und sich darüber einig zu sein, wie glänzend die Geschäfte gehen und dass man gar nicht wisse, wohin mit der ganzen Kohle, die man schon gescheffelt habe. Selbst wenn der Markt am Boden liegt, geht es jedem Einzelnen immer noch glänzend. Natürlich ist das alles gelogen, aber da jeder weiß, dass dies so ist und man sich an dieses Gebaren als Teil der Show gewöhnt hat, stört man sich auch nicht daran, sondern macht munter mit. Erst wenn man wieder alleine am Steuer seines Autos sitzt, fängt man an zu heulen vor Kummer, Sorgen und Selbstmitleid. Aber gut.

Jetzt ist die Lage wieder schwierig. Aktuell sind es vor allem die Privatkunden, die Herstellern und Händlern aus der Computerbranche die Laune verderben. Während die Firmenkunden noch einigermaßen ordnungsgemäß kaufen, halten sich die Konsumenten zurück. Das spüren ja auch die Euronics-Outlets, denen die Kunden nicht gerade die Türen einrennen. Eigentlich sind diese schwachen Zahlen aus dem BtC-Geschäft erstaunlich. Denn die Stimmung bei den Verbrauchern ist an sich gut. So schreiben die Marktforscher der GfK in ihrer Konsumklimastudie für Juni, dass die Anschaffungsneigung der deutschen Bevölkerung noch immer "auf sehr hohem Niveau“ liege. Weiter schreiben die Marktforscher:

"Sparen ist derzeit aufgrund der historisch niedrigen Zinsen nicht attraktiv. Der stabile Arbeitsmarkt sowie zu erwartende Lohnzuwächse nähren die Zuversicht der Verbraucher, dass sich ihre Finanzen auch weiterhin positiv entwickeln werden. Damit herrscht Planungssicherheit, die Konsumenten gerade für größere Anschaffungen benötigen. Die Bürger sind eher bereit, auch längerfristig und in größerem Umfang Anschaffungen zu tätigen.“

Und das Handelsblatt schlagzeilte vor dem Hintergrund diese guten Stimmungslage: "Kauflaune der Deutschen auf Allzeithoch“. Blöd nur, dass die IT-Branche und insbesondere auch der IT-Handel nicht davon profitieren kann. Einzig mögliche Erklärung: Die Menschen geben ihr Geld lieber für andere Dinge aus als für PCs, Notebooks und solches Gedöns.

Kann man etwas tun? Vielleicht. Motiviert von meiner Mission, die IT-Branche zu retten, stieß ich bei meinen Recherchen auf eine interessante Forschungsarbeit. Diese liegt zwar schon ein paar Jahre zurück, die Ergebnisse sind aber noch immer aktuell und gültig. Die Zeitschrift Wunderwelt Wissen berichtete in ihrer Ausgabe 3/2009 (wie gesagt, liegt schon etwas zurück, macht aber nichts) von einer Forschungsarbeit der Psychologin Cynthia Cryder, deren Ergebnisse ein paar unserer Überzeugungen auf den Kopf stellten könnten. So hat die Wissenschaftlerin entdeckt, dass nicht etwa fröhliche und gut gelaunte Menschen in unseren Konsumtempeln das meiste Geld ausgeben, sondern im Gegenteil die deprimierten und niedergeschlagenen. Diese seien am leichtesten zu verführen, so Cryder. In ihren Experimenten fand sie heraus, dass traurige Testpersonen für dieselben Waren fast viermal mehr Geld ausgaben als ausgeglichene Kunden.

Es kommt also darauf an, die Stimmung der Menschen gleich beim Betreten des Geschäftes zu verschlechtern. Psychologin Cryder weiß auch wie: Mit trauriger Musik. Traurige Musik regt zum Shoppen und Geldausgeben an, so das Ergebnis der Studie. Das Praktische daran: Frust-Shopper merken nicht einmal, wenn sie über den Tisch gezogen werden. Im Gegenteil. Das Kauferlebnis verbessert ihre Laune automatisch – der Kunde behält seinen Geschäftspartner in bester Erinnerung. Erstaunlich, nicht wahr? Bisher hatte ich immer den Eindruck, dass die fröhliche Kaufhausmusik diesen Zweck erfüllen sollte, jetzt muss ich umdenken. Und nicht nur ich. Vor dem Hintergrund unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse kann ich also nur allen Shop-Betreibern empfehlen, bei der Musikberieselung vom Phil Collins auf Leonhard Cohen umzusteigen.

Doch damit ist es nicht getan. Auch das Verkaufspersonal muss entsprechend geschult und eingestimmt werden. Also kein strahlendes Lächeln, wenn der Kunde auf einen zusteuert, und kein fröhliches "Was kann ich für Sie tun?“. "Wie kann ich Ihnen helfen?“ ist schon besser, denn das macht dem Kunden noch einmal deutlich, wie schwierig das alles ist und dass er Hilfe braucht und dass es aber trotzdem Hoffnung gibt, und zwar in Person des Verkäufers oder der Verkäuferin, der bzw. die vor ihm steht. Ganz wichtig (wird oft falsch gemacht): Die Frage darf nicht lauten "Kann ich Ihnen helfen?“, sondern "WIE kann ich Ihnen helfen?“. Denn dass der Kunde Hilfe braucht, ist völlig klar und steht außer Frage. Es geht nur noch um die Detailfrage, welche Hilfe genau er benötigt. Auch hier gilt: Retail is Detail.

Natürlich gelten diese Hinweise nicht nur für den stationären Handel und das Geschäft mit den Privatkunden, sondern lassen sich auf den Firmenkundengeschäft übertragen. Auch hier müssen die Vertriebsbeauftragten umdenken: Es kommt nicht mehr darauf an, durch lustiges Getue und dümmliche Sprüche für gute Laune zu sorgen, sondern erst einmal mit dem Kunden gemeinsam Trübsinn zu blasen. Das setzt natürlich eine solide und gründliche Vorbereitung auf Seiten des VBs voraus; je besser er die Probleme und Schwächen seines Gegenüber kennt, desto besser kann er auf ihnen herumreiten und Salz in die Wunden streuen.

Lieber Herr Kober, natürlich ist dies alles Neuland (!) für Sie und für uns alle. Und sicher müssen wir noch ganz schön viel herumexperimentieren. Dabei werden wir vermutlich feststellen, dass nicht alles funktioniert. Aber gut. Deshalb ganz darauf verzichten? Fangen Sie doch einfach mal an und schauen, was passiert. Empfehlen Sie doch mal ein paar Ihrer Kooperationspartnern, die sowieso nichts mehr zu verlieren haben, in den Verkaufsräumen richtig traurige Musik aufzulegen. Vielleicht gibt es ja dann schon bald etwas zu feiern.

Bitte informieren Sie mich über die Ergebnisse dieses Versuchs. Es interessiert mich sehr.

Bis dahin beste Grüße!

Damian Sicking

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