Endspurt zu den Protestaktionen gegen die Vorratsdatenspeicherung

Journalisten, Mediziner, Juristen und Datenschützer haben noch einmal eindringlich vor der geplanten Aufzeichnung der elektronischen Nutzerspuren gewarnt und zu Kundgebungen in 35 Städten am Dienstag aufgerufen.

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Journalisten, Mediziner, Juristen und Datenschützer haben noch einmal eindringlich vor der geplanten Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten gewarnt und zu Protestkundgebungen in über 35 Städten am Dienstag aufgerufen. Christoph Fiedler vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) befürchtet mit der im Raum stehenden Massenvorhaltung von Verbindungs- und Standortdaten für Telefon- und Internetnutzung ein "deutliches Nachlassen des Stroms der Informationsquellen". Es gebe zwar kleine Verbesserungen für die Presse durch die Absprachen der großen Koalition zu geringfügigen Änderungen des Regierungsentwurfs zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung, räumte der Jurist bei einem Pressegespräch des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in Berlin am heutigen Freitag ein. Es bleibe aber dabei, dass "aber unterm Strich kein wirklich spürbarer Informantenschutz" gegeben sei. Vielmehr würde die Pressefreiheit ausgehöhlt.

Werner Lohl vom Berufsverband Deutscher Psychologen erwartet gar schwere Auswirkungen auf das Selbstverständnis der Gesellschaft durch die anstehende sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung, die der Bundestag mit den Stimmen von Schwarz-Rot voraussichtlich Ende nächster Woche verabschieden will. Mit dem schweren Eingriff in die Autonomie der Bürger drohe deren Entmündigung, sagte der Datenschutzbeauftragte der Vereinigung. "Das persönliche Erkennen der Speichertatsache wird Befangenheit in der Kommunikation und befremdliches Vermeidungsverhalten auslösen", konstatierte Lohl. Das "beklemmend unklare Gefühl des Überwachtwerdens" dürfte konkret etwa eine Zurückhaltung bei der Meinungsäußerung in digitalen Medien oder schon bei der Internetsuche auslösen. Psychologen müssten zudem Angebote wie Beratungs-Chats stoppen, da eine "Abschaffung des Berufsgeheimnisses" drohe.

Vor einem "erheblichen Angriff auf das Arzt-Patienten-Recht" mit der Massenspeicherung warnte Martin Grauduszus, der Präsident der Freien Ärzteschaft, und knüpfte so an seine Ausführungen bei der Großdemo gegen den "Überwachungswahn" Ende September in der Hauptstadt an. Bürger und Ärzte würden unter Generalverdacht gestellt. Dagegen sei nicht absehbar, "dass in nennenswertem Umfang Straftaten aufgedeckt werden". Grauduszus sprach von einem reinen Aktionismus der Politiker, mit dem der Staat bei der Bekämpfung von Terrorismus aber nicht viel erreichen werde. Die von der Verfassung geforderte Verhältnismäßigkeit der Maßnahme sei damit nicht gegeben.

Konkrete mögliche Auswirkungen des Gesetzesentwurfs schilderte Karl Lemmen, Referent der Deutschen AIDS-Hilfe. Er sieht die "Grundlagen der erfolgreichen HIV-Prävention in Frage gestellt". Schon heute dürfe seine Einrichtung angesichts der besonderen Sensibilität der persönlichen Daten bei einer Kontaktaufnahme von Ratsuchenden nicht auf eine reine E-Mail antworten. Vielmehr müsse eine sichere Beratungsplattform genutzt werden, "wo Verbindungsdaten nach 24 Stunden gelöscht werden". Schon aufgrund der allgemeinen Datenschutzbestimmungen müsste sich die AIDS-Hilfe so überlegen, ob sie dieses Angebot bei einer halbjährigen Zugriffsmöglichkeit auf die IP-Adressen aufrecht erhalten werden könne. Für Lemmen ist daher klar: "Man kann nur gegen dieses Gesetz in der vorgegebenen Form sein."

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar warnte im Deutschlandradio erneut vor einem "Generalverdacht" gegen jeden Bürger. Die Vorratsdatenspeicherung sei "der bedenklichste Schritt in Richtung von mehr Überwachung". Denn hier gehe man von einer konkreten Verdachtsituation, von einer konkreten Gefahr ab, und sage, jeder, der das Internet benutzt, jeder, der telefoniert, wird registriert. Durch diese Verbindungs- oder Verkehrsdaten sei zudem so etwas wie ein Kommunikationsprofil zu bilden. Das sei doch schon sehr weitgehend.

Ricardo Remmert-Fontes vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung forderte besorgte Bürger auf, sich an einer der vielen Demonstrationen am Dienstag zwischen 17 und 19 Uhr in Städten von Aachen bis Wetzlar zu beteiligen. Die zentrale Kundgebung unter dem Motto "Freiheit statt Angst" sei vor dem Berliner Reichstag geplant, wo auch Bundestagsabgeordnete aus der Opposition wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Petra Pau oder Hans-Christian Ströbele sprächen. Da Lichterketten geplant seien, sollten Laternen, Kerzen, Fackeln oder Grablichter mitgebracht werden. Anders als bei der Demo im September, bei der es zu schweren Polizeizugriffen gekommen war, habe man dieses Mal nicht gesondert versucht, auch Leute aus der ultralinken Szene einzubinden.

Der Verbandsexperte Fiedler sieht prinzipiell aber nur wenig Chancen, dass die Vorratsdatenspeicherung vom Parlament noch ausgesetzt wird: "Der Bundestag lässt sich treiben." Die Sicherheitsbehörden würden sagen, dass sie die Maßnahme "wollen und brauchen", da werde ein solches Vorhaben entgegen gegenteiliger Beschlüsse aus dem Jahr 2005 in Zeiten der großen Koalition durchgezogen. Zudem gebe es eine "juristische Verpflichtung" zur Umsetzung der EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung. Auf die Klage Irlands vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die gewählte Rechtsgrundlage zu vertrauen, hieße für Fiedler zudem "auf Sand zu bauen". Die Luxemburger Richter seien bislang weder "gewillt noch in der Lage" gewesen, eine EU-Rechtsnorm als grundrechtswidrig zu kippen. Das Bundesverfassungsgericht habe zudem bereits die Erwartungen von Gegnern der Massendatenhaltung relativiert und sich nur zum Teil zuständig erklärt. Ein Vertreter des Deutschen Anwaltvereins bezeichnete die Aussichten der Kläger in Luxemburg dagegen als "ziemlich gut".

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (jk)