Die unvollendete IT-Revolution

Der kürzlich verstorbene Douglas Engelbart wird bis heute als "Erfinder der Computermaus" gefeiert. Das wird der Vision dieses großen Ingenieurs nicht gerecht, meint Howard Rheingold. Eine Würdigung.

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Von
  • Howard Rheingold

Der kürzlich verstorbene Douglas Engelbart wird bis heute als "Erfinder der Computermaus" gefeiert. Das wird der Vision dieses großen Ingenieurs nicht gerecht, meint Howard Rheingold. Eine Würdigung.

Lange vor seinem Tod war Douglas Engelbart klar, dass die Nachrufe ihn zuallererst als den „Erfinder der Computermaus“ würdigen würden. Ich kann ihn förmlich sehen, wie ihm bei diesem Gedanken ein wehmütiges, ironisches Lächeln im Gesicht stand. Denn die Maus war nur ein kleiner Teil dessen, was Engelbart erfunden hat.

Wenn Menschen heute Texte auf Bildschirmen bearbeiten, Computer über Mauszeiger und Klicks steuern, in Audio-Video-Formaten kommunzieren und über Hyperlinks durch das das gesammelte Wissen navigieren – dann sind das alles Ideen, die Engelbarts Augmentation Research Center am Stanford Research Institute in den 1960er Jahren entwickelte. Für die meisten Ideen bekam er keine Unterstützung, auch Jahrzehnte später nicht, als seine Leistung allmählich mehr anerkannt wurde. Als Stanford Engelbart 2008 mit einem zweitägigen Symposium ehrte, lautete dessen Titel treffend „die unvollendete Revolution“.

Für Engelbart waren Computer Schnittstellen und Netzwerke Mittel zu einem wichtigeren Zweck – nämlich die menschliche Intelligenz zu verstärken, damit wir besser in der Welt überleben können, die wir selbst erschaffen haben. Engelbart sprach davon, den „kollektiven IQ“ anheben zu wollen, und die Ergebnisse seiner diesbezüglichen Überlegungen veröffentlichte er 1962 in dem Aufsatz „Augmenting Human Intellect“. Darunter waren „ein schnelleres Verständnis, ...besssere Lösungen und die Möglichkeit, Lösungen für scheinbar unlösbare Probleme zu finden“. Wer verstehen will, wo die heutige Informationstechnik ihre Ausgangspunkte hat, wird sie in diesem Aufsatz entdecken.

Engelbarts Vision von Menschen mit mehr Fähigkeiten, ermöglicht durch elektronische Computer, entstand bereits 1945. Damals hatte er den Artikel „As we may think“ von Vannevar Bush, des großen Forschungsberaters der US-Regierung im Zweiten Weltkrieg, im Magazin Atlantic Monthly gelesen. Bush schrieb darin: „Die Summierung der menschlichen Erfahrung weitet sich mit ungeheurer Geschwindigkeit aus, und die Mittel, mit deren Hilfe wir uns durch das daraus folgende Labyrinth auf einen gerade wichtigen Gegenstand zubewegen, sind noch dieselben wie in den Tagen der Segelschifffahrt.“

Diese Gedanken inspirierten den jungen Elektroingenieur Engelbart zu der Idee, dass Menschen Bildschirme und Computer dazu nutzen könnten, um gemeinsam und kollaborativ Probleme zu lösen. Engelbart verfolgte diese Idee den Rest seines Lebens. Forscher in Industrie und an Universitäten indes warnten ihn immer wieder, mit Computern etwas anderes machen zu wollen als wissenschaftliche Berechnungen vorzunehmen oder Geschäftsdaten zu verarbeiten, sei „verrückt“, sei "Science-fiction“.

Engelbart war jedoch von Anfang an klar, dass Bildschirme, Eingabegeräte, Hardware und Software ein kollaboratives Problemlösen ermöglichen würden. Wobei das Lösen nur Teil eines Systems war, das kognitive, soziale und institutionelle Veränderungen umfasst. Er merkte allerdings, dass es schwieriger war, Menschen effektiver zusammenarbeiten zu lassen – der Kern seiner Vision –, als die Interaktion zwischen Mensch und Computer zu wandeln.

Zeit seines Lebens hatte Engelbart Mühe, andere dazu zu bewegen, sich ernsthaft mit seinen Ideen auseinander zu setzen. Die Computermaus war darin ein wesentliches, aber dennoch untergeordnetes Element. Echte Unterstützung bekam Engelbart in seiner Karriere nur ein Jahrzehnt lang. Diese goldene Zeit brach an, nachdem das US-Verteidigungsministerium ihm 1963 Mittel gegeben hatte, ein Team zusammenzustellen, die Zukunft zu entwerfen und sämtliche Computerkonstrukteure der Welt sprachlos zu machen mit Technologie-Präsentationen, die heute als "The Mother of All Demos" gelten.

Ich selbst traf Engelbart zum ersten Mal 1983 in seinem Büro in Cupertino, das in einem kleinen Gebäude inmitten des Apple-Firmengeländes lag. Die Reste seines Labors waren von einer – heute nicht mehr existenten – Firma namens Tymshare aufgekauft worden. Die stellte ihn auch ein, nachdem das Stanford Research Institute sein Augmentation Research Center wegen Mittelkürzungen seitens des Pentagons nicht länger unterstützte.

Engelbart registrierte mit Bestürzung, dass sich zwar der PC schnell weiterentwickelte, andere Elemente seines Plans jedoch nicht. Damals waren PCs noch nicht miteinander vernetzt, so wie bereits die Terminals von Großcomputern. Eine Maus, mit der man etwas ansteuern und –klicken kann, gab es auch noch nicht.

In unserem ersten Gespräch erzählte mir Engelbart – und er wird es sicher auch vielen anderen gesagt haben –, Computer und Maus seien lediglich „Artefakte“ in einem System, dass auf Menschen ausgerichtet sei und „Sprache, Artefakte, Methodologie und Training“ einsetze.

Ende der 1980er Jahre gründete Engelbart das selbstfinanzierte „Bootstrap Institute“. Es sollte seinen Ideen zu effektiverem Arbeiten zur selben Reputation verhelfen, die seine Geräte, seine „Artefakte“ bereits erlangt hatten. Er entwickelte Verfahren, um die Tätigkeit von Menschen in einer Organisation zu analysieren oder den „kollektiven IQ“ zu heben. Seine detaillierten Präsentationen über diese Methoden begannen mit dem so genanten CODIAK-Ansatz, kurz für "COncurrently Develop, Integrate, and Apply its Knowledge": „Der kollektive IQ ist ein Maß dafür, wie effektiv eine Ansammlung von Menschen gleichzeitig ihr Wissen entwickeln, integrieren und auf ihre Mission anwenden können.“ (Hervorhebung im Original von Engelbart)

Der Maus-Hersteller Logitech stellte ihm Büroraum zur Verfügung. Doch das Bootstrap Institute – zu dem neben ihm noch seine Tochter Christina gehörte – verkaufte weder die Idee mit dem Kollektiv-IQ oder CODIAK je an einen Investor, ein Unternehmen oder eine Behörde.

Engelbart schaffte es nicht, die weniger griffigen Teile seiner Vision zu verbreiten. Das hatte mehrere Gründe: Er war im Grunde seines Herzens ein Ingenieur, und utopische Lösungen von Ingenieuren berücksichtigen nicht immer die Komplexität sozialer Institutionen. Engelbart stellte erst kurz bevor das Labor geschlossen wurde einen Sozialwissenschaftler ein.

Mehr noch, Engelbarts Anpreisung von Technologiesprüngen, die an ein fortschrittlicheres Verhalten in Organisationen geknüpft sind, klangen in 1980er Jahren für Firmenmanager genauso verrückt wie seine Idee in den 1960ern, den menschlichen Verstand mittels Maschinen zu erweitern. Am Ende wandelten sich die Unternehmen im Silicon Valley doch noch radikal – aber nicht, weil sie Engelbarts Konzept folgten, sondern weil etablierte Firmen durch radikal neue Start-ups verdrängt wurden.

Als ich Mitte der 2000er Jahre wieder mit ihm sprach, zeigte sich Engelbart begeistert, dass die Leute in ihren Taschen Millionen mal mehr Rechenleistung mit sich herumtrugen, als sein gesamtes Lab in den sechziger Jahren zur Verfügung gehabt hatte. Die weniger greifbaren Teile seines Systems hatten sich hingegen nicht so spektakulär weiterentwickelt.

So wie Tim Berners-Lee hat Engelbart nie versucht, seinen Beitrag zu Wissenstechnologien zu seinem Eigentum zu machen. Frustriert hat ihn aber, dass am Ende so viele Menschen die digitalen Medien angenommen hatten, die er mit kreiert hatte, während die wichtigen Aufgaben, für die er diese Medien ersonnen hatte, nicht angepackt wurden.

Howard Rheingold, Sozialwissenschaftler, Publizist und Gastdozent an der Stanford University, beschäftigt sich seit den 1980ern mit den Auswirkungen von Innovationen in der Computertechnik auf die Menschen. 1985 schrieb er ein Buch über die Forschung von Douglas Engelbart. (nbo)