"Das deutsche Arbeitsrecht mag den Whistleblower nicht"

Der Fall Edward Snowden zeigt: Wer seinen Arbeitgeber an den Pranger stellt, steht anschließend oft ziemlich alleine da. Das gilt nicht nur bei Fällen von solch großer Tragweite.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Arbeitnehmer, die Missstände bei ihrem Arbeitgeber anprangern oder anzeigen, werden nur unzurechend vor arbeitsrechtlichen Folgen geschützt. Rechtsanwalt Alexander Bredereck erklärt, wie Betroffene sich verhalten sollten.

Edward Snowden hat die Praktiken der NSA offen gelegt. Ist er der klassische Whistleblower?

Bredereck: Zum Glück nicht. Die überwiegende Zahl der Whistleblower ist natürlich nicht einem solchen Verfolgungsdruck ausgesetzt. Allerdings kann man hier im Großen sehen, was auch im Kleinen zu beobachten ist. Die Gesellschaft profitiert zwar von den Aussagen der Whistleblower. Im Gegenzug wird diesem aber nur ein sehr unzureichender Schutz gewährt. Im Grunde genommen ist das genauso schäbig, wie die Ablehnung der Aufnahme Snowdens durch die Bundesrepublik.

Aber ist es nicht normal, dass die Petze unbeliebt ist?

Bredereck: Im Kindergarten ja, der Rechtsstaat sollte dazu eine etwas differenziertere Haltung entwickeln. In Deutschland sind wir da allerdings im Bereich des Arbeitsrechts eher mit dem Kindergarten vergleichbar. Das deutsche Arbeitsrecht mag den Whistleblower nicht, es schützt ihn jedenfalls nicht ausreichend.

Alexander Bredereck, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht

(Bild: Alexander Bredereck)

Alexander Bredereck arbeitet seit 1999 als Rechtsanwalt und seit 2005 als Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei Bredereck Willkomm Rechtsanwälte in Berlin. Er ist Vorstand der Verbraucherzentrale Brandenburg e.V. sowie Mitglied im Verband deutscher Arbeitsrechtsanwälte e.V. und Mitglied im Arbeitskreis Arbeitsrecht im Berliner Anwaltsverein e.V. Schwerpunkt seiner Tätigkeit als Fachanwalt für Arbeitsrecht ist die Vertretung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Kündigungsschutzprozessen.

Hat sich die Lage durch einige Gerichtsentscheidungen in der jüngeren Vergangenheit verbessert?

Bredereck: Sie meinen das Urteil des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Verfahren Heinisch gegen die Bundesrepublik Deutschland (Nr. 28274/08). Der EGMR stellte klar, dass das Aufdecken von Missständen – sogenanntes Whistleblowing – in der Regel und jedenfalls in diesem Fall, nicht zu einer Kündigung hätte führen dürfen und sprach der betroffenen Altenpflegerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 Euro zu. Viele haben diese Entscheidung als eine Aufforderung an den deutschen Gesetzgeber interpretiert, den arbeitsrechtlichen Schutz der Whistleblower zu verbessern. Die weitere Entwicklung hat dann aber gezeigt, dass der Gesetzgeber jedenfalls auf diesem Ohr taub ist.

Wer seinen Arbeitgeber verpfeift, muss also Konsequenzen fürchten. Es muss ja nicht gleich die Flucht um die halbe Welt sein, aber mit einer Kündigung muss man rechnen, oder?

Bredereck: Eindeutig ja. Der Schutz der Hinweisgeber hat sich nicht verbessert. Anders lautende Aussagen in der Presse der letzten Zeit halte ich für irreführend. Vielleicht werden nun die Öffentlichkeit und auch der eine oder andere Arbeitgeber sensiblert im Umgang mit der Problematik. Diese Sensibilität sollte man aber nicht mit effektivem Schutz vor einer Kündigung verwechseln.

An welche Regeln muss sich der Arbeitnehmer halten, damit er Missstände anprangern und seinen Job trotzdem behalten kann?

Bredereck: Jeder Hinweisgeber sollte sich zunächst darüber im Klaren sein, dass er, wie auch immer er sich verhält, seinen Job gefährdet. Wer will später den Nachweis erbringen, dass eine betriebsbedingte Kündigung im Zusammenhang mit der früheren Anprangerung von Missständen steht?

Wer bereit ist, dieses Risiko einzugehen, sollte das Risiko einer Kündigung zumindest minimieren. Dafür ist es wichtig zu wissen, dass ein Arbeitnehmer aus dem Arbeitsvertrag heraus verpflichtet ist, auf die geschäftlichen Interessen und den Ruf des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Infolgedessen ist es im Regelfall vor dem Gang an die Öffentlichkeit oder vor einer Strafanzeige notwendig, zunächst den Vorgesetzten oder die Geschäftsführung über die Probleme in Kenntnis zu setzen und dort auf Abhilfe zu dringen.

Ist ein Mitarbeiter auch verpflichtet, zuerst eine interne Klärung zu suchen, wenn er dadurch schon Nachteile für die eigene Person befürchten muss?

Bredereck: Es gibt Fälle, in denen ein betrieblicher Abhilfeversuch dem Arbeitnehmer unzumutbar ist. Sicher ist das der Fall, wenn die Straftaten durch die Geschäftsführung gedeckt, bzw. selbst begangen werden oder wenn der Arbeitnehmer gezwungen wird, sich an Straftaten zu beteiligen.

Wäre es da nicht am einfachsten, die Verstöße des Arbeitgebers einfach anonym weiterzugeben?

Bredereck: Dazu möchte ich eigentlich nur ungern aufrufen. Die Missbrauchsgefahr ist nicht unerheblich. Es mag aber im Einzelfall ein Weg sein. Die Frage ist dann jedoch, in wieweit einer solchen anonymen Anzeige überhaupt nachgegangen wird.

Wie weit darf ein Arbeitnehmer bei der Veröffentlichung von schweren Missständen gehen? Ist bei der offiziellen Anzeige Schluss oder kann er damit auch an die Öffentlichkeit gehen ohne seinen Job zu verlieren?

Bredereck: Im Verfahren Heinisch ./. Bundesrepublik Deutschland (Nr. 28274/08) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ausdrücklich das öffentliche Interesse über das Recht des Arbeitgebers auf Schutz vor Rufschädigung gestellt. Es kommt letztlich immer auf den Einzelfall an. Handelt es sich überhaupt um allgemeine Missstände bei dem Arbeitgeber oder geht es "nur" um eine einzelne Straftat? Derartige Fragen können selten absolut sicher beantwortet werden, die Folgen sind daher jeweils schwer abzuschätzen. Das ist genau der Grund, warum der Gesetzgeber endlich Rechtssicherheit schaffen muss.

Fast jeder Mitarbeiter hat eine Verschwiegenheitsklausel in seinem Vertrag. Greift die in solchen Fällen nicht?

Bredereck: Auch wenn der Arbeitnehmer keine Verschwiegenheitsklauseln in seinem Arbeitsvertrag hat, ist er zur Verschwiegenheit verpflichtet. Es geht hier genau um diese Grenzen der Verschwiegenheitspflicht. Eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag Straftaten zu verschweigen, wäre wenn sie denn überhaupt so getroffen werden würde, bzw. gemeint sein sollte, unwirksam.

Was tun, wenn der Arbeitgeber nicht nur kündigt, sondern auch noch Schadenersatz fordert?

Bredereck: Hinsichtlich der Kündigung empfehle ich innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage einzureichen. Auch gegen die Schadensersatzforderungen sollte man sich zur Wehr setzen. Hier muss der Arbeitgeber ja erst einmal eine Pflichtverletzung darlegen und beweisen. Häufig ist es für den Arbeitgeber zudem gar nicht so einfach, den Schaden darzulegen. Schließlich muss der Arbeitgeber auch die Kausalität des pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers für den Schaden beweisen. Alles Punkte an denen in der Vergangenheit die eine oder andere Schadensersatzforderung gescheitert ist. Selbst wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass eine Kündigung wegen des Whistleblowings wirksam war, bedeutet dies nicht, dass damit der Arbeitnehmer ohne weiteres auch zum Schadensersatz verpflichtet ist. Hier gelten die arbeitsrechtlichen Besonderheiten der Arbeitnehmerhaftung. (masi)