Interview: "Die Schönheit im Schrecklichen"

In den ärmsten und entlegensten Regionen Afrikas und Asiens sucht Eric Lafforgue nach Schönheit im Schrecken des Alltags. Manche Menschen sehen sich auf den Fotos zum ersten Mal selbst.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Kristin Haug

In den ärmsten und entlegensten Regionen Afrikas und Asiens sucht Eric Lafforgue nach Schönheit im Schrecken des Alltags. Manche Menschen sehen sich auf den Fotos zum ersten Mal selbst.

siehe auch:
- Die Magie der Riesenröhren
- Lafforgue-Fotos auf seen.by

Eric Lafforgue studierte in Toulouse ein paar Semester Wirtschaft. Einige Jahre arbeitete er beim französischen Radio und bei Fernsehkanälen. 15 Jahre hat er Spiele und Klingeltöne für Handys entwickelt. Im Jahr 2006 wurde Lafforgue Fotograf. Jetzt lebt er in Toulouse, ist aber 20 Wochen im Jahr in Ländern wie Äthiopien, Indien, Eritrea, Somalia und Saudi-Arabien unterwegs. Kristin Haug hat ihn getroffen.

Herr Lafforgue, Sie fotografieren im Herzen von Äthiopien und Eritrea Menschen, die sich noch nie weiter als 40 Kilometer von ihren Stämmen wegbewegt haben. Was sagen die zu Ihren fertigen Bildern?

Lafforgue: Viele von ihnen freuen sich darüber, andere reagieren sehr merkwürdig darauf. In Omo Valley in Äthiopien habe ich Stämme getroffen, die geglaubt haben, dass sie zu klein auf den Fotos aussehen. Sie wollten Fotos in Lebensgröße. Aber sie verstehen nicht, dass das nicht geht. Eine Frau des Bodi-Stammes hat mal ein Bild von sich weggeworfen. Ich hatte es mit einem Blitz gemacht und sie sagte: "Meine Haut ist so weiß. Es ist eine Schande." Manche Menschen fürchten, ich sauge ihnen das Blut aus, wenn ich ein Foto von ihnen mache. Auch begreifen sie nicht, wie es sich jemand leisten kann, aus der Ferne nach Afrika zu reisen. Aber ihre Welt verändert sich.

Mwila-Frau mit Albino-Kind, Angola

(Bild: Eric Lafforgue)

Inwiefern?

Lafforgue: Die Kinder gehen außerhalb der Stämme in die Schule und erzählen ihren Eltern von den Dingen, die sie kennenlernen, vom technischen Fortschritt, von anderen Ländern. Dann trifft die Tradition auf die Gegenwart.

Und wie sieht das dann aus?

Lafforgue: Im Süden von Angola müssen sie in einem bestimmten Gebiet auf einen Hügel gehen, erst von dort können sie telefonieren, erst dort haben sie Handy-Empfang. Die Frauen da tragen riesige runde Lippenplatten, die von ihrer Unterlippe gehalten werden. Das sieht schon sehr merkwürdig aus: Diese Frauen mit den Lippenplatten und dem Handy in der Hand.

Massentanz in Pjöngjang, Nordkorea

(Bild: Eric Lafforgue)

Wie bauen Sie Vertrauen zu den Menschen auf?

Lafforgue: Humor funktioniert immer. Sogar in Nordkorea.

In dem Land haben Sie Soldaten und Familien fotografiert. Wie sind Sie hinein gekommen?

Lafforgue: Ich war sechs Mal mit einem Touristenvisum dort. Natürlich habe ich Aufnahmen gemacht, die nicht unbedingt die positive Seite des Landes zeigen. Aber darauf kam es mir gar nicht an, ich war an den Einwohnern, an ihrem Alltag interessiert. Jetzt darf ich nicht mehr ins Land reisen. Die Behörden sagen, ich zeige Nordkorea in einem schlechten Licht.

Was genau wollen Sie überhaupt mit Ihren Arbeiten zeigen?

Lafforgue: Wie Menschen leben, was sie ausmacht. Ich will aber keine Kriegsgräuel oder Armut darstellen, sondern die Schönheit und Freude der Menschen in Ländern wie Äthiopien, Eritrea oder Nordkorea.

Und wie gehen Sie konkret dabei vor?

Lafforgue: Wenn ich in einem Dorf ankomme, um etwa Fotos von einem dort ansässigen Stamm zu machen, versuche ich zuerst einmal jemanden zu finden, der Englisch spricht. Den frage ich, ob er mir hilft und als Stringer für mich arbeiten möchte. Auf meinem iPad zeige ich den Menschen, welche Art von Fotos ich mache. Manchmal nehme ich die Einwohner auch mit meiner Polaroidkamera auf. Die Bilder schenke ich ihnen. Für manche ist die Kamera ein Spiegel. Einige haben sich noch niemals in ihrem Leben selbst gesehen.

Sie haben 15 Jahre lang in einem Unternehmen gearbeitet, das Klingeltöne, Spiele und Logos für Handys verkauft. Wie wechselt man von dort zur Fotografie?

Lafforgue: Eine große japanische Firma hatte das Unternehmen aufgekauft und mir wurde gekündigt. Und da stand ich nun ohne etwas da und musste einen neuen Job finden. Also habe ich versucht, Fotograf zu werden.

Heute werden Ihre Bilder von renommierten Blättern wie "Geo", "National Geographic" und "The Times" veröffentlicht. Wie haben Sie das geschafft?

Lafforgue: 2006 habe ich meine Bilder auf dem Fotoportal flickr hochgeladen. Das deutsche Magazin "Geo" hat dort Fotos von mir aus Papua-Neuguinea entdeckt. Zehn Stück wollten sie kaufen. Für mich war das ein Wunder. In diesem Moment habe ich verstanden: Es ist ein richtiger Job, den du da jetzt hast. Ohne das Internet würde ich jetzt vielleicht immer noch eine Arbeit suchen.

Sie hatten keine Ausbildung oder Erfahrung. Wo haben Sie gelernt, auf professionellem Niveau zu fotografieren?

Lafforgue: Am Anfang habe ich viele Fehler gemacht. Ich hätte mir sicher viel Zeit gespart, wenn ich Unterricht genommen hätte. Als ich mir meine Bilder auf dem Computer angeschaut habe, habe ich verstanden, was ich falsch gemacht hatte: Die Bilder waren unscharf, und die Tiefenschärfe hat nicht gestimmt.

Sie fotografieren viele arme Menschen. Helfen Sie denen auch?

Lafforgue: Ich versuche, die Hälfte des Geldes, das ich mit den Fotos verdiene, an die Hilfsorganisation zu spenden, mit der ich im jeweiligen Land arbeite. Und wenn ich die Stämme besuche, die ich schon kenne, gebe ich ihnen Geld. Aber es gibt so viele traurige Schicksale, gegen die man mit Geld nicht ankommt.

Welche sind das?

Lafforgue: In Tansania wollte ich ein Foto von einem kleinen Albino-Mädchen und ihren Freunden machen. Doch dann sagte das Mädchen zu mir, es hätte nicht einen einzigen Freund. Die Kleine war so süß und die Mutter so nett. Aber Albinos werden dort oft von der Gesellschaft ausgestoßen. (keh)