Der Konkurrenz weit voraus

Vom quirligen Nischenhersteller zum Schreckgespenst der Autoindustrie: Der kalifornische Hersteller Tesla zeigt, wie die Elektromobilität mit klugen Innovationen ein Erfolg werden könnte. TR-Autor Kevin Bullis ist im Model S probegefahren.

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Von
  • Kevin Bullis

Vom quirligen Nischenhersteller zum Schreckgespenst der Autoindustrie: Der kalifornische Hersteller Tesla zeigt, wie die Elektromobilität mit klugen Innovationen ein Erfolg werden könnte. TR-Autor Kevin Bullis ist im Model S probegefahren.

Für Autohersteller gehört es mittlerweile zum guten Ton, ein eigenes Elektromodell zu entwickeln. Einige Unternehmen haben früh damit begonnen, andere sind erst in den letzten Jahren auf den Zug aufgesprungen. Wer das Rennen auf diesem Zukunfstmarkt machen wird, ist noch nicht ausgemacht. Nach einer Probefahrt mit dem Model S von Tesla glaube ich allerdings, dass die kalifornischen Autobauer die Nase vorn haben – dank Innovationen, die ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnten.

Billig ist das Model S bei einm Preis von 70.000 bis 100.000 Dollar zwar nicht. Doch mit einer Reichweite von 426 Kilometer schlägt es die Konkurrenz derzeit um Längen. Zum Vergleich: Der Nissan Leaf schafft nur gut 120 Kilometer. Tesla hofft, den Preis in den kommenden Jahren auf 30.000 bis 35.000 Dollar drücken zu können – bei gleicher Reichweite. Außerdem will das Unternehmen ein Netz aus eigenen Ladestationen in den gesamten USA aufbauen. Sie sollen innerhalb von einer halben Stunde eine Reichweite von 322 Kilometern wiederherstellen. An herkömmlichen Stationen sind dafür noch mehrere Stunden nötig.

Meine Testfahrt begann in Palo Alto mit einem kleinen Schreck. Das Armaturenbrett zeigte eine Reichweite von 335 Kilometern an, da hatte offensichtlich jemand vergessen, das Auto über Nacht einzustöpseln. 335 Kilometer: zu wenig für meinen geplanten Trip nach Santa Cruz im Süden und über Fremont zurück. Ohne unterwegs nachzuladen, würde ich die 370 Kilometer nicht schaffen.

Um zehn Uhr fuhr ich vom Tesla-Parkplatz los, und das rasant: Das Model S beschleunigt von 0 auf 50 km/h in 1,7 Sekunden. Das kam mir im Laufe der Fahrt immer wieder zugute, wenn ich andere Autos auf Steigungen oder beim Anfahren an Ampeln locker abhängte.

Meine Nervosität stieg jedoch, als ich irgendwann auf der Anzeige sah, dass der Strom nur noch für 108 Kilometer reichen würde. Die Bordelektronik errechnete, dass bei der nächstgelegenen Ladestation noch Saft für 32 Kilometer übrig wäre. Die Hälfte von dem, womit ich gerechnet hatte. So recht mochte ich mich darauf nicht verlassen, denn die aktuelle Reichweite hängt wesentlich von Fahrstil, Gelände und Verkehr ab.

Immerhin zeigt das Model S zwei Reichweiten an. Die eine tickt wie bei der Benzinanzeige herunter, die andere jedoch gibt an, wie lange man durchhalten würde, wenn man weiterhin so führe wie in den zurückliegenden Minuten. Sicherheitshalber schaltete ich die Klimaanlage aus, dimmte den riesigen Touchscreen und reduzierte die Beschleunigung. Als ich schließlich an der Ladestation ankam, waren noch 27 Kilometer übrig.

Das Wiederaufladen ging dann viel einfacher, als ich erwartet hatte. Meine bisherigen Erfahrungen stützten sich auf einen Chevrolet Volt: Der hatte einen ganzen Nachmittag gebraucht, um Strom für knapp 50 Kilometer zu ziehen. Ganz anders der Tesla: Der Wagen erkannte den RFID-Chip der Ladesäule, öffnete selbsttätig den Ladestutzen, und während ich kurz auf der anderen Seite des Parkplatzes einen Cheeseburger holte, war die Reichweite schon wieder auf 148 Kilometer hochgeschnellt. Ich hielt noch ein kurzes Schwätzchen mit einem anderen Model-S-Fahrer, und weiter ging's. Am Ende des Tages waren noch 207 Kilometer auf der Uhr. Mehr als eine vollgeladene Batterie der E-Mobile von Toyota, Nissan, Ford, GM, Honda, Fiat, Renault, Mitsubishi, Smart oder Scion bringt. Auch die neuen Modelle von Mercedes und BMW schaffen diese Reichweite nicht.

So beeindruckend die Fahrt mit dem Model S war, die zwei grundlegenden Probleme von Elektroautos sind noch nicht gelöst: Kosten und Reichweite. In den USA gibt es bislang erst 16 Superladestationen. Wer vergisst, über Nacht wiederaufzuladen oder sonst eine Panne hat, ist aufgeschmissen. Hätte ich meine Spritztour durch die Gegend nördlich des Silicon Valley gemacht, wäre ich am Straßenrand liegen geblieben – mangels erreichbarer Ladestation.

Während sich eine Infrastruktur aus Ladestationen aufbauen lässt, ist das Batterieproblem der Elektroautos nicht so leicht zu beheben. Die Akkus sind nach wie vor so teuer, dass ein Model S für die meisten Autofahrer jenseits ihrer Möglichkeiten bleibt.

Dass Tesla hier dennoch schon weiter als die Konkurrenz ist, konnte ich am Tag vor meiner Probefahrt im F&E-Zentrum der Firma nahe der Stanford University sehen. Tesla-CTO JB Straubel führte mich herum, zeigte mir einen Roadster, das erste Modell von Tesla, und das Fahrgestell eines Model S. Die beiden Modelle bezeugen eindrucksvoll, wie weit Tesla gekommen ist: Während die Batterien im Roadster noch ein Drittel des Wagenvolumens einnehmen, scheinen sie im Model S verschwunden zu sein. Tatsächlich sind sie flach im Fahrzeugboden untergebracht – und speichern dennoch mehr Energie als die des Roadsters. Mehr noch, die Firma konnte auch die Kosten pro Kilowattstunde halbieren.

Straubel zeigte mir diverse Varianten von Lithium-Ionen-Batterien, die Tesla testet. Darunter sind auch die kleinen zylindrischen Akkus von der Größe einer Mignon-Batterie, die im Model S verbaut sind. Mit denen hat sich Tesla wohl einen der wichtigsten strategischen Vorteile im Wettbewerb verschafft.

Denn viele große Autohersteller haben sich für größere Akkus entschieden. Die machen die Batteriesteuerung zwar einfacher, weil man weniger Einzelstücke braucht. Aufgrund ihrer höheren Energiedichte sind sie aber gefährlicher. Manche Hersteller nutzen deshalb Materialien für geringere Energiedichten und flache Einzelzellen, doch sind die wiederum teurer in der Fertigung.

Weil die Mignon-artigen Akkus ursprünglich für Laptops entwickelt wurden, lassen sie sich inzwischen sehr günstig herstellen. Tesla muss bei der Energiedichte keine Abstriche machen, weil viele kleine Zellen sicherer sind als einige große. Die eigentliche Herausforderung für Tesla war die Verschaltung der vielen tausend Einzelzellen. Straubel selbst erfand außerdem ein Kühlsystem, in dem eine Kühlflüssigkeit in den Zwischenräumen der Batterien zirkuliert. Deren Abwärme wird so rasch abgeführt, dass eine heißgelaufene Zelle eine benachbarte nicht beeinträchtigen kann.

Die flache Anordnung im Fahrzeugboden ist überhaupt nur dank der Mignon-Größe möglich. Große Flachbatterien hingegen müssen so im Fahrzeug untergebracht werden, dass sie im Falle eines Aufpralls möglichst nicht deformiert werden oder gar in Brand geraten. Folge: Die Akku-Packs befinden sich im Innen- oder Kofferraum. Probleme, die Tesla nicht mehr hat. Crashtests überstanden die Batterien unbeschadet, auch die Batteriekühlflüssigkeit lief nicht aus.

Nach bisherigen Schätzungen tragen die Batterien des Model S zum Gesamtpreis des Wagens mit 42.500 bis 55.250 Dollar bei. Das wäre der halbe Kaufpreis. Straubel sagte mir jedoch, dass die Kosten bereits viel niedriger lägen – "viel weniger als der halbe Preis, und in den meisten Fällen bereits weniger als ein Viertel des Preises". Um die Batteriekosten weiter zu senken, arbeitet Straubel mit Batterie- und Materialherstellern zusammen, um die Energiedichte zu erhöhen. Auch an der Form der Zellen tüfteln sie, um die Fertigung zu vereinfachen.

Die anderen Autohersteller beobachten inzwischen aufmerksam, was Tesla macht. General-Motors-Boss Dan Akerson hat gar eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet, die Tesla genau studieren soll. Die kalifornische E-Mobil-Firma habe sich "vom umtriebigen kleinen Medienliebling zu einer Firma, die die Autoindustrie zum Grübeln bringt", gemausert, sagt Brett Smith vom Center for Automotive Research in Ann Arbor, Michigan.

Das ging mir nicht anders auf meiner Probefahrt am folgenden Tag. Auf der Autobahn zurück nach San Francisco hatte ich mit einem Mal das Gefühl, dass Elektroautos wirklich die Zukunft sind. Und dass dank Tesla mit seinen Fortschritten bei Batterien und Ladetechnik diese Zukunft schneller da sein könnte, als ich bisher gedacht habe. (nbo)