Der Krebsdetektor

Mit neuartigen Mikrofluidikchips lassen sich Tumorzellen direkt aus dem Blut eines Patienten holen.

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Von
  • Susan Young

Mit neuartigen Mikrofluidikchips lassen sich Tumorzellen direkt aus dem Blut eines Patienten holen.

Forscher am Krebszentrum des Massachusetts General Hospital (MGH) arbeiten an einem fingergroßen Kunststoffchip, mit dem es möglich ist, kleinste Mengen von Krebszellen aus einer Blutprobe zu separieren. Diese sogenannten zirkulierenden Tumorzellen könnten dann auf genetische Besonderheiten untersucht werden, um herauszufinden, auf welches Medikament sie ansprechen. Eine fortgesetzte Überprüfung des Blutes mit dem Chip würde Ärzten dann erlauben, quasi in Echtzeit zu überwachen, ob der Wirkstoff greift.

Beobachter glauben, dass der Markt für solche Krebstherapien in den nächsten Jahren milliardenschwer werden könnte. Dutzende Firmen arbeiten an solchen Mikrofluidikchips, deren mikroskopische Kanäle es erlauben, Zellen zu sortieren. Allerdings ist bislang nur ein fertiges Gerät, verkauft von einer Tochter des Medizinkonzerns Johnson & Johnson, mit einer Zulassung der US-Gesundheitsaufsicht gesegnet. Die aktuelle Technik ist zudem nicht in der Lage, zirkulierende Tumorzellen zu detektieren, wenn diese nur in sehr geringer Anzahl im Blut sind, erläutert Daniel Haber, Direktor des MGH-Krebszentrums, der den Detektor entwickelt. Sein Verfahren soll außerdem nahezu alle Tumorarten abdecken, was mit der Hardware von Johnson & Johnson nicht funktioniert.

Haber und sein Team am MGH arbeiten mit dem Biomediziningenieur Mehmet Toner zusammen, um aus dem jüngsten Prototypchip ein kommerzielles Produkt zu machen. Das neue Design soll jede Art von Krebszelle aus dem Blut ziehen können und sie so lange am Leben erhalten, bis Pathologen genetische Tests durchgeführt haben. Das Ergebnis solcher Untersuchungen ist wertvoll, weil die Pharmafirmen zunehmend Krebsmedikamente mit spezifischen molekularen Anknüpfungspunkten entwickeln. Diese gezielten Therapien sollen die Krebsbehandlung verbessern. Die Fachfirma Foundation Medicine meint, dass mehr als 70 Prozent der Tumore, die sie analysiert, genetische Signaturen tragen, die sich für eine Therapie nutzen lassen.

Wissenschaft und Medizin wissen schon lange, dass sich Krebs durch den Blutkreislauf verbreitet. Methoden, die zirkulierenden Tumorzellen einzufangen, gab es aber nicht. "Das sind sehr seltene Zellen, die inmitten von 100 Milliarden anderer schwimmen", sagt Toner. "Mikrofluidiksysteme gaben uns die Chance, das Blut präziser zu manipulieren und zu sehen, ob dieses Tumormaterial in verwendbarer Menge vorhanden ist."

Ein Teil der zirkulierenden Tumorzellen kann, meinen Forscher, Metastasen auslösen. "Am Ende ist es eine Subpopulation dieser Zellen, die den Patienten umbringt", meint Toner. Das Auffinden dieses Materials in Echtzeit habe auch potenziell große Auswirkungen auf die Früherkennung.

Die Technik erlaubt es Ärzten außerdem, den Verlauf einer Krebserkrankung zu beobachten. "Aktuell werden Patienten, die einmal diagnostiziert wurden, normalerweise keinen erneuten Biopsien unterzogen", sagt Haber. Wächst Krebs und verteilt sich im Körper, komme es regelmäßig zu Veränderungen: "Wir können nicht davon ausgehen, dass die anfangs festgestellten Anomalien gleich bleiben." Haber nutzt seinen Mikrofluidikchip bereits experimentell, um genetische Mutationen in Lungentumoren zu definieren und darüber dann die Therapie anzupassen.

Johnson & Johnson arbeitet mit dem MGH zusammen, um Habers Technik auf den Markt zu bringen. "In der Krebsbehandlung geht der Trend hin zur Möglichkeit, molekulare Veränderungen der Erkrankung über einen längeren Zeitraum zu beobachten", sagt Nicholas Dracopoli, Leiter des Bereiches onkologische Biomarker bei der J&J-Pharmatochter Janssen.

Das MGH-Gerät und einige andere in Entwicklung befindliche Chips isolieren seltene Krebszellen, in dem sie die milliardenfach vorhandenen roten und weißen Blutkörperchen aussortieren. Jede Krebszelle wird dann in einer Nährlösung vorgehalten, aus der sie dann einzeln herausgezogen und begutachtet werden kann.

Andere Varianten der Technik, so auch das derzeit von Johnson & Johnson verkaufte Gerät, greifen sich die Zellen anhand ihrer physischen Oberfläche über Antikörperbeschichtungen in den Mikrofluidik-Kanälen, die auf bestimmte Proteine auf der Zelloberfläche abgestimmt sind. Das klappt aber nicht bei allen Tumoren.

Neben der Verbesserung der Krebsbehandlung könnten Geräte, die Tumorzellen einfangen, auch der Forschung dienen. Derzeit ist beispielsweise noch immer nicht genau bekannt, wie sich Krebs im Körper ausbreitet. "Die Frage, wie es zu Metastasen kommt, wurde nie abschließend beantwortet, weil wir keine Werkzeuge dafür hatten", sagt Haber. Mit der neuen Technik seien Tumore nun "in Bewegung" verfolgbar. (bsc)