Scharfe Reaktionen auf Absegnung der Vorratsdatenspeicherung

Bürgerrechtler, Datenschützer und Medienverbände haben die Verabschiedung der Novelle der Telekommunikationsüberwachung verurteilt. Das Gesetz erwarte nun die bislang größte Verfassungsbeschwerde hierzulande.

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Bürgerrechtler, Datenschützer und auch Medienverbände haben die Verabschiedung der Novelle der Telekommunikationsüberwachung und die damit einhergehende Verpflichtung zur Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten durch den Bundestag entschieden verurteilt. "SPD, CDU und CSU haben das Vorhaben gegen alle Warnungen und Widerstände durchgepeitscht und nicht einmal die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs abgewartet, die in wenigen Monaten ansteht", moniert der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Das Gesetz erwarte nun die mit rund 7.000 Teilnehmern größte Verfassungsbeschwerde, die dem Bundesverfassungsgericht jemals vorgelegt worden sei. Diese werde eingereicht, sobald die Bestimmungen voraussichtlich Ende des Jahres im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden seien.

Entgegen der Einschätzung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zeigen sich die Kritiker optimistisch. "Das Fernmeldegeheimnis wird von den Gerichten wieder hergestellt werden", meint Patrick Breyer von dem Zusammenschluss von Bürgerrechtsorganisationen und Internet-Nutzern. Dagegen sei die Wählbarkeit von SPD, CDU oder CSU für die Generation Internet "endgültig verloren gegangen". Diesmal habe die Koalition noch "auf stur geschaltet", ergänzt der Politikwissenschaftler Ralf Bendrath. "Aber der Protest gegen die Vorratsdatenspeicherung wird sich ausweiten zu einer gesellschaftlichen Bewegung für mehr Freiheit und weniger Angst."

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar bemängelte ebenfalls, dass der Bundestag "trotz der von vielen Seiten vorgebrachten erheblichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit die generelle und verdachtslose Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten beschlossen hat". In verschiedener Hinsicht gehe das Gesetz über die Vorgaben der entsprechenden EU-Richtlinie hinaus, insbesondere bei der Verwendung der Daten für weniger schwere Straftaten und ihre Übermittlung an die Nachrichtendienste und Ordnungsbehörden. Im Gegensatz zur Polizei werde diesen sogar "ohne richterliche Prüfung ein Zugriff" auf die Datenberge gestattet. Nicht zuletzt werde die Möglichkeit zur anonymen und unbeobachteten Internetnutzung "künftig nicht mehr gewährleistet".

Besonders bedauert der Datenschützer, dass bei der Neuregelung der Vorgaben zum Abhören der Telekommunikation in der Strafprozessordnung im Rahmen der parlamentarischen Beratungen "keine substanziellen Verbesserungen erreicht wurden". Im Gegenteil habe der Bundestag Änderungen beschlossen, die etwa bei der Anordnungsdauer von Telekommunikationsüberwachungen oder bei den über die Maßnahmen zu erstattenden Berichten die verfahrensrechtlichen Schutzvorkehrungen des Regierungsentwurfs "wieder verwässern". Unzureichend seien auch die Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Weiter stößt sich Schaar am "nicht ausreichenden Schutz besonderer Vertrauensverhältnisse".

Das Zwei-Klassen-Recht bei Berufsgeheimnisträgern hat auch Medienverbände erneut zu scharfen Reaktionen veranlasst. Der Schutz der Pressefreiheit bleibe auf der Strecke, heißt es beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und beim Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Anders als bei Abgeordneten, Geistlichen und Strafverteidigern, die von der Überwachung ausgenommen werden, solle bei Journalisten nur im Einzelfall eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen. Wie schwach dieser Maßstab sei, habe zuletzt die Beschlagnahmeaktion von Briefen an verschiedene Berliner Zeitungen deutlich gemacht. Kein Informant werde künftig noch reden, wenn seine Telefonnummer, E-Mail-, IP-Adresse und seine Standortdaten ebenso erfasst würden wie auch Zeitpunkt und Dauer des Kontakts. Ähnlich äußerte sich der Deutsche Fachjournalisten-Verband (DFJV).

Sachsen-Anhalts Landesdatenschützer Harald von Bose sagte der Mitteldeutschen Zeitung: Wenn das Kommunikationsverhalten des Bürgers so eklatant berührt und er unter Generalverdacht gestellt werde, müsse man sich fragen, ob nicht auch ein Stück des demokratischen Fundaments durch diese informationelle Fremdbestimmung berührt werde. "Dass diese Entscheidung zum Einschnitt in Freiheitsrechte genau am 9. November als dem Tag des Mauerfalls getroffen wird, ist bitter." Für Claudia Roth und Malte Spitz aus der Bundesspitze der Grünen zeigt der "bewusste Verfassungsbruch", dass Bürgerrechte in der großen Koalition kein schützenswertes Gut sind. Bei der Online-Durchsuchung versuche die SPD noch, "nach außen den Schein der Anständigkeit zu wahren". Doch mit der Zustimmung zur Vorratsdatenspeicherung mache sie sich unglaubwürdig.

Für den Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Klaus Jansen, ist die Vorratsdatenspeicherung eine Ermittlungshilfe, die nur unter gewissen Voraussetzungen eingesetzt wird. Wenn man erkenne, dass ein Verdächtiger etwa häufiger mit einer bestimmten Person Kontakt habe, würden zu dieser Person Hintergrundinformationen eingeholt. "Es hilft uns also zu einer Verdachtsfindung, zu der wir sonst nicht in der Lage wären", sagte Jansen im ZDF-Mittagsmagazin. "Ich glaube, unsere Demokratie ist stark genug, um das aushalten zu können."

Telcos müssen im Rahmen der Massendatenlagerung vom 1. Januar 2008 an Rufnummern, Uhrzeit und Datum der Verbindung, bei Handys auch den Standort zu Beginn des Gesprächs sowie die Gerätenummern erfassen und sechs Monate aufbewahren. Für Internetanbieter gilt eine "Schonfrist" bis Anfang 2009. Danach sind von ihnen die zugewiesene IP-Adresse, Beginn und Ende der Internetnutzung und die Anschlusskennung zu speichern. Von Anbietern von E-Mail-Diensten verlangt der Staat vor allem die Kennungen der elektronischen Postfächer, also die E-Mail-Adressen, und die IP-Adressen von Absender sowie Empfänger nebst Zeitangaben. Wer Internet-Telefonie (VoIP) zur Verfügung stellt, muss die Rufnummern, Zeitpunkte der Kommunikation und ebenfalls die IP-Adressen vorhalten. Deutsche Anbieter von Anonymisierungsdiensten sind ausdrücklich nicht von den Auflagen ausgenommen.

Abrufbar ist inzwischen die genaue Abstimmungsliste (PDF-Datei). Demnach haben neben der Opposition fünf Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion sowie sieben Sozialdemokraten gegen den Entwurf gestimmt. Eine Übersicht bietet die Plattform Abgeordnetenwatch. Der medienpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Jörg Tauss, konnte wegen dringender Verpflichtungen in Baden-Württemberg nicht an der Sitzung teilnehmen. In einer Erklärung bedauerte er die politische Entscheidung der Mehrzahl seiner Genossen. Bei ihm seien "massive Bedenken hinsichtlich der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einer solchen flächendeckenden Speicherung von Telekommunikationsdaten auf Vorrat" geblieben. Fest stehe, dass die Umsetzung zurückgenommen werden müsse, wenn der EuGH die in Brüssel gewählte Rechtsgrundlage für nichtig erkläre. Er prüfe, ob er rechtliche Schritte gegen den "Dammbruch" im deutschen Datenschutzrecht anstrengen und sich einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht anschließen werde.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (pmz)